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Wie stehen die Chancen auf einen Wahlsieg von Rot/Grün? Vergangenes Wochenende haben sich die Umfragewerte der SPD wieder verbessert. Gelingt der Partei eine Trendwende in letzter Minute wie schon 2002? Damals gewannen die Sozialdemokraten die Wahl in den Neuen Bundesländern, meinen Forscher. Dort wildert nun die PDS/Linkspartei in der einstigen SPD-Klientel. Der Wind ist rauher geworden. Hier einige Impressionen des vergangenen Wochenendes - von einem Wahlkampf zwischen Trotz und Verzweiflung:
Sonnabendvormittag: Brandenburg an der Havel ist eine beschauliche Mittelstadt mit gut 75.000 Einwohnern. Auf der Landesvertreterversammlung im städtischen Kulturzentrum nominiert die SPD ihre Kandidaten für den Bundestag.
Der Kanzler ist persönlich erschienen und hält eine kämpferische Rede. Ministerpräsident Matthias Platzeck tut es ihm nach. "Wir können gewinnen", ruft er den Delegierten zu. Die demonstrieren treue Gefolgschaft: Die Kandidatenliste, die der Parteivorstand vorgeschlagen hat, wird ohne Widerspruch "durchgewinkt".
Spitzenkandidat ist Steffen Reiche, 1989 Mitbegründer der Ost-SPD. Weiter hinten auf der Liste findet sich ein alter Kumpane Reiches aus den Gründungstagen der SDP, wie sich die SPD in der DDR zunächst genannt hat: Markus Meckel. Der 52jährige ist manch einem noch als letzter DDR-Außenminister unter Lothar de Maizière bekannt.
Die Stimmung ist gut. Die Genossen glauben offenbar tatsächlich an den Sieg. 2002 hatte die SPD im Land Brandenburg die Mehrheit in allen zehn Wahlkreisen geholt und damit erheblich zum knappen Erfolg Gerhard Schröders beigetragen. Zusammen mit der Grünen-Abgeordneten Cornelia Behm gehören damit bis zur nächsten Wahl elf der 16 Brandenburger Abgeordneten Regierungsfraktionen an - gegenüber fünf Schwarzgelben. Wenn Schröder siegen kann, dann hier mitten in der roten Provinz, da ist man sich sicher. Noch vor dem Mittagessen ist die Versammlung fertig, und Platzeck fordert seine Genossen auf, den restlichen Tag mit Wahlkampf zu verbringen.
Sonnabendnachmittag: Die Berliner Genossen sind bereits mittendrin im Wahlkampf. Im Prenzlauer Berg wirbt das Nobel-Einkaufscenter "Allee-Arkaden" um Kunden. Davor hat neben einem schwarzen Mercedes-Kleinbus eine ganze Horde junger Leute mit roten T-Hemden Posten bezogen. Auf einem Schild steht "Klaus Uwe Benneter, Heute hier, ab 15.00 Uhr". Darüber grinst der SPD-Generalsekretär aus Pappe.
In der Wirklichkeit grinst er noch viel breiter als auf seinem Plakat. Benneter läuft herum und spricht Leute an. "Ich will Sie überzeugen", flötet der SPD-General. Die Passanten lassen ihn giftig abblitzen. Statt Zuspruch erntet Benneter von ihnen nur wütende Beschimpfungen. Er muß sich schrecklich fühlen, läßt sich aber nichts anmerken. Ein Juso redet nebenan unentwegt auf einen jungen Südländer ein. Der Ausländer trägt ein Pappschild, auf dem die kostenlose Parkmöglichkeit eines anderen Einkaufszentrums angepriesen wird.
Der Juso spricht und spricht. Und er benutzt dabei den vermeintlichen Kauderwelsch seines Gegenübers, ganz volksnah: "Der Eichel hat voll kraß viel Kohle mit der UMTS-Lizenz-Versteigerung gemacht. Das ganze Geld haben wir zum Schuldenabbau verwandt." Der Gesichtsausdruck des jungen Ausländers sagt: "Was gehen mich eure deutschen Schulden an?" Er schweigt. Bevor er geht, fragt der junge Mann noch nach einem Kugelschreiber oder einer Schachtel Streichhölzer. Dann plötzlich bemerken die Jusos, daß sich Benneter einfach davongemacht hat, ohne Tschüs zu sagen. Er hat es wohl nicht mehr ausgehalten. Auch Profis haben Grenzen.
Sonntagmittag: Zweite Runde beim Landesparteitag der Berliner SPD. Heute nominieren die Hauptstadt-Genossen ihre Kandidaten für den Urnengang. Sie brauchen dafür sichtlich länger als die Brandenburger. Thierse und Benneter werden neben zwei Quotenfrauen auf die ersten vier Plätze gesetzt. Dann kommt es zum Kampf um Rang fünf auf der Liste. Wolfgang Clements Staatssekretär Ditmar Staffelt tritt an. Seine Chancen, den Wahlkreis Neukölln gegen CDU-Veteran Eberhard Diepgen direkt zu gewinnen, stehen nicht gut. Staffelt braucht dringend den sicheren Listenplatz. Er ist der einzige Berliner Sozialdemokrat in der Bundesregierung. Doch trotzdem will ihn die Basis nicht - wegen Hartz IV. Staffelt gilt als "Erfinder" dieser Reform. Die Ost-Berliner Boulevardpresse hat sich auf den 57jährigen, der als "SPD-Rechter" gilt, eingeschossen.
Gegen Staffelt kandidiert Swen Schulz. Alle, die in der SPD als "rechts" gelten, rufen zur Wahl Staffelts auf. Zuletzt Annette Fugmann-Heesing, in den 90ern Berliner Finanzsenatorin. Die Wahl von Staffelt sei wichtig, fleht sie. Denn: "Wir stehen zur Reformpolitik, wir wollen diese Regierungspolitik erfolgreich fortsetzen." Doch gerade jene gepriesene "Reformpolitik" scheint bei den Berliner Genossen besonders schlecht wegzukommen. Ditmar Staffelt unterliegt im anschließenden Wahlgang mit 104 zu 115 Stimmen. Sollte Schröder doch noch hoffen, Kanzler zu bleiben, ist das keine gute Nachricht für ihn.
"Hamse nich lieba n Kugelschreiber für mich?": SPD-General Benneter beim Straßenwahlkampf in Berlin |
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