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Ungarn befindet sich mitten im Wahlkampf für die Parlamentswahlen am 7. April. Der Parteienstreit gleicht längst einem rhetorischen Hauen und Stechen.
Den bisherigen Höhepunkt bildeten Anfang Februar Äußerungen von Politikern der nationalliberalen Regierungspartei FIDESZ, die die Sozialisten (MSZP) und die linksliberalen Freien Demokraten als „Landesverräter“ bezeichneten. Deren Abgeordnete verließen daraufhin wutentbrannt das Parlament.
Vorausgegangen war eine Debatte über das zu Jahresbeginn in Kraft getretene Statusgesetz für Auslandsungarn. Dabei zeigte sich wiederum, wie sehr sich die Mitte-Rechts-Regierung der national en Solidarität verpflichtet fühlt. Allen voran der junge Ministerpräsident Viktor Orbán. Er beschwört gern und oft den grenzüberschreitenden Zusammenhalt der ungarischen Nation.
Charakteristisch für Orbán ist es, daß er am 26. Januar bei der Eröffnung eines ungarischen Konsulates in Esseg (Osijek) selbst dabei war, um die noch am gleichen Tag erfolgte Ausgabe spezieller Bescheinigungen für in Kroatien beheimatete Ungarn mitzuerleben. Diese Papiere ermöglichen es der kleinen Minderheit, an den Vergünstigungen des Statusgesetzes teilzuhaben.
Großes Aufsehen erregte der Besuch des Ministerpräsidenten in Brüssel in der zweiten Februarhälfte. Orbán übte dort vor dem Außenpolitischen Ausschuß des Europaparlaments unverhohlene Kritik an den Benesch-Dekreten. In deren Folge waren ja nicht nur die Deutschen im tschechoslowakischen Staat entrechtet worden, sondern auch die Ungarn (deren Vertreibung wurde allerdings nur teilweise umgesetzt) .
Auf die Frage eines österreichischen Abgeordneten machte der redegewandte Budapester Regierungschef eine eigentlich selbstverständliche, von deutschen Spitzenpolitikern aber viel zu selten zu vernehmende Feststellung: Er bemerkte, daß die Dekrete mit ihrem Prinzip der Kollektivschuld in scharfem Gegensatz zur Rechtsordnung der EU stünden und daher mit der Osterweiterung ihre Gültigkeit verlieren müßten.
Ein für den 1. März anberaumter Gipfel der Visegrád-Staaten Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn mußte daraufhin ausgesetzt werden, weil die Ministerpräsidenten Zeman und Dzurinda die Teilnahme demonstrativ absagten.
Viktor Orbán sah sich trotzdem nicht genötigt, irgendwelche Abstriche von seinen Äußerungen zu machen. Außenminister Martonyi erklärte lediglich, daß Ungarn die Frage der Benesch-Dekrete nie in den bilateralen Beziehungen zur Sprache gebracht habe und das auch nicht zu tun gedenke.
Doch man müsse nun mal die Tatsache anerkennen, so fuhr er fort, „daß sich europäische Politiker wiederholt mit dieser Frage befassen“. Orbán habe nur bekräftigt, was bereits in einer Resolution des Europaparlaments festgehalten sei.
Die ungarische Linke verfolgt den nationalen Politikansatz der Regierung mit Argwohn. Ihn offen abzulehnen erscheint angesichts des bei den Madjaren weit verbreiteten Stolzes auf die eigene Herkunft jedoch wenig ratsam.
Statt dessen thematisiert man beharrlich die angeblich übergroßen Belastungen der Beziehungen zu Rumänien und zur Slowakei oder zitiert mit klammheimlicher Freude kritische Kommentare aus Brüssel und Washington. Scheinheilig forderten die Sozialisten in der besagten Skandalsitzung des ungarischen Parlaments, den mit Rumänien geschlossenen Kompromiß zum Statusgesetz aufzukündigen. Dieser besagt, daß nicht nur Madjaren aus Siebenbürgen oder dem Banat, sondern alle rumänischen Staatsbürger jährlich bis zu drei Monate legal in Ungarn arbeiten können.
Selbstverständlich wissen auch die Sozialisten, daß eine Rücknahme der mit Bukarest mühsam ausgehandelten Sondervereinbarungen das Statusgesetz wohl dauerhaft blockieren würde. Und wahrscheinlich ist es genau das, was die Opposition wirklich will. Daß der Vize-Vorsitzende des FIDESZ, László Kövér, daraufhin von „Landesverrat“ sprach, ist nicht nett gewesen, aber auch nicht gänzlich abwegig.
Nachdem die gewendeten Sozialisten in der ersten nach-kommunistischen Legislaturperiode von den Wählern in die Wüste geschickt worden waren, hatte sie der Reformfrust breiter Schichten von 1994-98 an die Macht zurückgespült. Danach siegten erneut die bürgerlichen Kräfte, und nun soll es - so hofft die Linke - einen weiteren Machtwechsel geben. Auf jeden Fall dürfte die Wahl im April knapp enden, weshalb beide Blöcke in den entscheidenden Wahlkampfwochen sämtliche Register ziehen. Das Regierungslager - also vor allem der FIDESZ, auf dessen Liste auch Politiker der Mitte-Rechts-Partei MDF antreten - stellt die geschrumpfte Inflation, das Absinken der Arbeitslosigkeit auf unter sechs Prozent und die rückläufige Kriminalität heraus.
Von Bedeutung sind auch die guten Verbindungen zur katholischen und reformierten Kirche. Zur Zeit versammeln sich jeden Donnerstag Tausende Katholiken vor der MSZP-Zentrale, um gegen kirchenfeindliche Äußerungen sozialistischer Politiker zu protestieren.
Der sozialistische Bewerber für das Amt des Regierungschefs, Ex-Bankier Peter Medgyessy, weiß im Gegenzug die Gewerkschaften an seiner Seite. Und er verfügt über zwei wirksame Propaganda-Waffen: Erstens wird er von großen Teilen der ungarischen Presse unterstützt, darunter interessanterweise auch von den im Besitz des Springer-Verlages befindlichen früheren KP-Bezirksblättern.
Zweitens schwingen Medgyessys Mannen eifrig die Faschismuskeule. Denn da absehbar ist, daß die mitregierenden Kleinlandwirte (FKGP) wegen ihrer dauernden Streitereien und Abspaltungen an Wählerstimmen einbüßen werden, bleibt der Mitte-Rechts-Regierung eventuell nur der Ausweg, die weit rechts stehende Ungarische Partei für Gerechtigkeit und Leben (MIÉP) des Schriftstellers Czurka mit ins Regierungsboot zu holen.
Sogar während seiner Brüssel-Reise wurde Ministerpräsident Orbán auf die „rechtsradikale“ MIÈP und den angeblichen Antisemitismus in seiner Heimat angesprochen. Doch er ließ sich nicht beirren und beklagte seinerseits, es sei für ihn unwürdig und unangebracht, mit einem derartigen Verdacht konfrontiert zu werden.
Schließlich gebe es in Ungarn keinen politischen Antisemitismus, und auch sonst sei die Lage keineswegs schlimmer als in anderen europäischen Staaten. - Nein, eher im Gegenteil. Man kann den Madjaren deshalb nur wünschen, daß sie sich nicht irritieren lassen und ihre Kreuze am 7. April wieder an der rechten Stelle machen.
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