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Als Bundespräsident Horst Köhler wenige Stunden vor Ablauf der vom Grundgesetz vorgegebenen Frist im Fernsehen den Bürgern unseres Landes seine Entscheidung bekanntgab, den Bundestag ein gutes Jahr vor dem Ende der Legislaturperiode aufzulösen, hat kaum jemand etwas anderes erwartet. Hatten doch die Parteien längst mit ihren Vorbereitungen zum Wahlkampf begonnen. Kandidaten wurden aufgestellt, Programme erstellt, Agenturen angeheuert und Säle gemietet, ohne Rücksicht darauf, wie der Bundespräsident entscheidet.
Die Verfassungswirklichkeit, wie sie vom Souverän, dem deutschen Volk, gelebt wird, übersprang locker und deutlich die Verfassungstexte, die vor mehr als einem halben Jahrhundert, nach dem Zweiten Weltkrieg unter dem Eindruck des Scheiterns der Weimarer Republik niedergeschrieben worden und auch nach dem Beitritt der Länder zwischen Thüringer Wald und Rügen nicht den neuen Gegebenheiten entsprechend gestaltet worden sind.
So begann der Wahlkampf un-mittelbar nachdem Bundeskanzler Gerhard Schröder und der Parteivorsitzende der SPD Franz Müntefering am Abend der verlorenen Wahl in Nordrhein-Westfalen (NRW) mit ihrer politischen Bankrotterklärung den Startschuß dazu gegeben hatten. Die Neuaufstellung der Linken, die sich schon ab 2004 - damals noch mit Blick auf den Wahltermin 2006 - angedeutet hatte, konnte zügig vollzogen werden. Sie besteht in der Umwerbung des richtungsmäßig nicht festgelegten Protestwählerpotentials und der Herauslösung der kommunistischen PDS aus der undemokratischen "Schmuddelecke", beides als Voraussetzung dafür, gegen beide Unionsparteien und die FDP eine nicht auszuschließende rot-rot-grüne Volksfrontmehrheit im Bundestag zu erringen.
Der Bundespräsident hat die gegenwärtige wirtschaftliche, soziale und verfassungsrechtliche Lage Deutschlands am Beginn seiner Rede klar beschrieben: "Unser Land steht vor gewaltigen Aufgaben. Unsere Zukunft und die unserer Kinder steht auf dem Spiel. Millionen von Menschen sind arbeitslos, viele seit Jahren. Die Haushalte des Bundes und der Länder sind in einer nie dagewesenen Lage." Dann kommt der Satz der Rede, der das wichtigste verfassungsrechtliche Problem Deutschlands knapp und deutlich beschreibt: "Die bestehende föderale Ordnung ist überholt."
Dieser gewiß mit Bedacht geschriebene Satz des Hüters dieser Verfassung fordert dazu auf, endlich die föderalistische Struktur nach Inhalt und Form zu überprüfen und sie den Notwendigkeiten der viel zitierten globalen und europäischen Erfordernisse anzupassen. Diese Worte Köhlers weisen über die bevorstehende Wahl hinaus auf die seit Jahren ausstehende Verfassungsreform.
Zuletzt war dabei im Dezember des vergangenen Jahres die Föderalismuskommission nach einjährigen Verhandlungen gescheitert. Das könnte sich als Glücksfall herausstellen, denn ihre Ergebnisse waren nicht bis zum Kern der föderalistischen Struktur des Staates selbst gekommen. Hauptgrund ihres Scheiterns war nämlich die Bildungspolitik, die der neuralgische Punkt deutscher Innenpolitik ist und von den Bundesländern als ihre Domäne betrachtet wird.
Diese Bildungspolitik hat durch die Pisa-Studie ein mehr als miserables Zeugnis erhalten, das damit den für diese Politik seit Gründung der Bundesrepublik verantwortlichen Bundesländern gilt. 16 Kultusminister mit ihren Verwaltungsapparaten, gestützt auf 1.914 Landtagsabgeordnete, den daraus resultierenden 16 Gesetzgebungen und in deren Folge ein unüberschaubares Meer von Vorschriften aller Art sind die bildungspolitische Realität in Deutschland, die immer neue Koordinierungsversuche erzwingt. Diese absurde Form des Föderalismus in Deutschland hat längst begonnen, sich auch in der "Hauptstadt Europas" Brüssel einzunisten, nachdem alle Bundesländer dort ihre offiziellen Vertretungen eingerichtet haben, deren Existenz bei den anderen Mitgliedsstaaten Erstaunen und Kopfschütteln auslöst.
Der Föderalismus in seinem heutigen deutschen Erscheinungsbild darf von dem Ruf nach Reformen nicht ausgenommen werden. Die Halbierung der Zahl der Bundesländer von 16 auf acht könnte endlich den "Ruck" ausmachen, den der damalige Bundespräsident Herzog schon vor Jahren angemahnt hat. Diese acht Bundesländer müßten so gestaltet werden, daß endlich auch auf dieser wichtigen Verfassungsebene die deutsche Einheit vollzogen werden kann, nachdem die "Wiedervereinigung" 1990 lediglich zum Zusammenschluß zweier Strukturen, der Bundesrepublik und der DDR (als sogenannte "neue Länder") geführt hatte. So könnte ein Reform-Föderalismus auch seinen Beitrag zur Herstellung der "inneren Einheit" leisten und sich als zukunftsfähig erweisen.
Die erste Reaktion des frischgebackenen Ministerpräsidenten von NRW Jürgen Rüttgers auf die Anregung des Bundespräsidenten spricht nicht dafür, daß diese allgemein auf fruchtbaren Boden fällt. Meinte Rüttgers doch, bei den föderalen Strukturen seien wir Deutschen "Vorbild" und "Ich möchte nicht nur von Berlin regiert werden." Er hoffe auch, daß "regionale Widerlager" "da sein würden".
Glücklicherweise sieht das Hessens Ministerpräsident Roland Koch anders. Er will nach der Konstituierung des neuen Bundestages auf die Föderalismusreform "zurückkommen". Hoffentlich gibt es dann nicht wieder Stückwerk, sondern endlich den "großen Wurf" den Deutschland braucht, um seine Zukunft zu gewinnen. |
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