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Wohl keiner hat den Blick aus der Gegenwart auf Adolf Hitler so geprägt wie Joachim Fest. Der am 11. September dieses Jahres verstorbene ehemalige Herausgeber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" hat uns als letzte Schrift unter dem Titel "Ich nicht" seine Erinnerungen an Kindheit und Jugend hinterlassen.
1926 geboren, wuchs Fest in Berlin-Karlshorst auf. Seine Eltern gehörten dem katholisch en Bildungsbürgertum an. Man könnte vermuten, betrachtet man Joachim Fests Ruf als zurückhaltender intellektueller Preuße, er habe eine Kindheit als immerwährendes Kommunionskind in tiefer Demut geführt. Weit gefehlt: Der junge Fest war aufsässig, hitzig und schrammte als Schüler immer wieder an Schulverweisen vorbei.
Während die meisten Kinder im Dritten Reich eine nationalsozialistische Erziehung in der Schule oder zumindest in Jungvolk und Hitlerjugend durchliefen, prägte Fests Vater früh seine Söhne in der Haltung, daß aus dem Nationalsozialismus auf Dauer nichts Gutes erwachsen könne. Ein lateinischer Sinnspruch des Vaters begleitet Joachim Fest und seine Brüder fortan: Auch wenn alle mitmachen, ich nicht!
Der Vater, von Beruf Lehrer, wurde wegen politischer Unzuverlässigkeit früh aus dem Schuldienst entlassen. Joachim Fest selbst wurde wegen einer despektierlichen Hitler-Karikatur von der Schule verwiesen.
Das zuvor bürgerliche Karlshorst entwickelte sich - zumal nach den ersten erfolgreichen Kriegsverläufen im Westen - zu einer Siedlung der Mitläufer.
Die Begeisterung hatte selbst gottesfürchtige Menschen erreicht: Der Führer Hitler galt manch einem als von Gott gesandt.
Wiederholt wurde die Familie Fest vor Besuchen der Gestapo anonym gewarnt. Erst nach dem Krieg - es sind die Jahre des "kommunikativen Beschweigens" und der Schuldabwehr - sollte herauskommen: Der Blockwart des Viertels hatte die Familie Fest geschützt.
Kurios: Der frühere Blockwart leugnete zunächst die Wohltat. Er sei kein Verräter, er habe dem Führer die Treue geschworen. Erst spät gab er die Warnanrufe zu, er sei "kein Schurke", werde aber noch lange an dem Treubruch zu tragen haben.
Joachim Fests Jugenderinnerungen sind wohl in erster Linie die Erinnerungen an einen Vater, der sich konsequent gegen das NS-Regime gestellt hat, und - das macht den Wert dieser Haltung aus - der sich auch nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus nicht wie einige zurückgekehrte Emigranten hat für "politische Entscheidungen bezahlen lassen".
Joachim Fests ausgesprochen lesenswerte Erinnerungen sind erschütternd, machen aber zugleich jedem Mut, der etwas für gelebte preußische Tugenden auf christlicher Basis übrig hat.
G. Langer
Joachim Fest: "Ich nicht - Erinnerungen an eine Kindheit und Jugend", Rowohlt Verlag, Reinbek 2006, geb., 368 Seiten, 19,90 Euro 5797 |
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