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Zehn Jahre nach der Kapitulation der Deutschen Wehrmacht machten die Pariser Verträge in Deutschland den Bau und die Konstruktion von Flugzeugen wieder möglich. Zwar hatte die Bundesregierung mit dem Ankauf des F 104 Starfighter der US-amerikanischen Firma Lockheed ein neuzeitliches Jagdflugzeug erworben, aber in der Bundeswehr kamen Zweifel auf, ob dieser Typ wirklich das geeignete Flugzeug für die Bedürfnisse der deutschen Bundesluftwaffe war.
Hatte in den 50er Jahren Willy Messerschmidt versucht, mit seiner Konstruktion HA 300, die dann schließlich in Ägypten zum Fliegen kam, dem Starfighter Konkurrenz zu machen, so erhielt Anfang der 60er Jahre der "Entwicklungsring Süd" von der Bundesregierung einen Entwick-lungsauftrag für ein Jagdflugzeug, das senkrecht starten sollte. Die Luftwaffenführung fürchtete, das die kilometerlangen Betonstartbahnen gegen feindliche Luftangriffe sehr verletzlich sein würden. Man hoffte, dieser Bedrohung mit der Senkrechtstarttechnologie begegnen zu können. Hinter dem Entwicklungsring Süd verbargen sich zahlreiche deutsche Flugzeugbauer, darunter Messerschmitt und Heinkel. Die einzelnen Firmen waren zu klein, um einen solchen Auftrag allein abarbeiten zu können. In späteren Jahren schlossen sich die meisten der beteiligten Firmen zur MBB-Gruppe zusammen. Das Ergebnis der Entwicklung war der VJ 101 C. VJ bedeutete Verfolgungsjäger, das C stand für den dritten Kompromißentwurf, nachdem die Firmen Messerschmitt und Heinkel jeweils einen eigenen Entwurf vorgelegt hatten.
Vier Jahre nach der Erteilung des Auftrages konnte am 10. April 1963 mit Chefpilot G. Bright am Steuerknüppel die Neukonstruktion zu einem ersten Schwebeflug abheben. Am 8. Oktober des gleichen Jahres gelang es zum ersten Male, senkrecht zu starten und anschließend den Übergang zum normalen Flugvorgang zu vollziehen. Anschließend landete VJ 101 C X1 wohlbehalten, wobei X1 für erster Prototyp steht. Die Flugerprobung des Musters war sehr ausgiebig. Am 14. September 1964 erreichte VJ 101 C X1 erstmals Überschallgeschwindigkeit. Der Verfolgungsjäger wurde von sechs Rolls Royce Strahlturbinen angetrieben, von denen jeweils zwei an den Außenflügeln schwenkbar angebracht waren. Zwei weitere Triebwerke befanden sich im Rumpf. Mit diesen Triebwerken erreichte der Jäger eine Höchstgeschwindigkeit von 1.320 Kilometern in der Stunde. Für das Serienmodell war indessen vorgesehen, stärkere Turbinen einzusetzen, um zweifache Schallgeschwindigkeit zu erreichen.
1965 entschied die Bundesregierung endgültig, das Muster nicht in Serie herzustellen und bei der Bundesluftwaffe einzuführen. Angeblich war die Senkrechtstartertechnologie für die Luftwaffe nun nicht mehr vorrangig. Das Bedrohungspotential der Warschauer Vertragsorganisation war aber das gleiche geblieben. Wie gehabt, wurde bei der Führungsmacht im Bündnis für teures Geld ein neues Kampfflugzeug bestellt. Anfang der 70er wurde das US-amerikanische Modell F 4 Phantom bei der Bundesluftwaffe als Abfangjäger der dritten Generation eingeführt. So waren nicht nur die milliardenschweren Entwicklungskosten verloren, sondern die Bundesregierung hatte mit ihrer Entscheidung der deutschen Luftfahrt einen schweren Schaden zugefügt. So sicherte die deutsche Bundesregierung in den 70er Jahren Arbeitsplätze in der US-Luft- und Raumfahrtindustrie und verhalf ihr zu schönen Gewinnen. Die Flugversuche mit dem VJ 101 wurden dennoch fortgeführt, um Erfahrungen für andere beabsichtigte Neuentwicklungen zu sammeln. Die VJ 101 C X1 fiel einem Unfall zum Opfer, während der zweite Prototyp bis heute erhalten ist. Sein letzter Flug fand im Juni 1971 statt. Anschließend wurde VJ 101 C X2 dem Deutschen Museum in München übergeben.
VJ 101 C war der erste aber nicht der einzige deutsche Senkrechtstarter. Mit VAK 191 (leichter Bomber und Schlachtflugzeug, Erstflug am 10. September 1971) und DO 31 (mittleres Transportflugzeug, Erstflug am 14. Juli 1967) wurden in Deutschland nach dem Verfolgungsjäger zwei weitere senkrecht startende Militärflugzeuge zur Serienreife entwickelt. Besonders das taktische Nahkampfunterstützungsflugzeug, die VAK 191, das als Ersatz für die Fiat G 91 entworfen worden war, hätte nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch im Ausland gute Verkaufsaussichten gehabt. Die Bundesregierung hielt es für richtig, diese Muster für die eigenen Streitkräfte nicht zu bestellen. In Großbritannien wurde in eben diesen Jahren bei der britischen Firma Hawker der Senkrechtstarter "Harrier" entwickelt und für die eigene Luftwaffe und Marine in Serie produziert. Das einzige Militärflugzeug, das die Vereinigten Staaten in großer Zahl im Ausland beschafft haben, ist der "Harrier". Weitere Exportkunden sind die Marinen Spaniens, Italiens, Indiens und Thailands. Letztlich zeigt dieses Beispiel deutlich, daß in diesem Lande der politische Wille fehlte, eine autonome Luftfahrtindustrie - auch in Konkurrenz zu den USA - aufzubauen. Daß letztlich auch ein kleines Land in der Lage ist, eine unabhängige Luftfahrtindustrie mit eigenen Militärflugzeugen zu betreiben, verdeutlicht Schwedens Nachkriegsgeschichte. In Deutschland sind seither Militärflugzeuge nur als Gemeinschaftsentwicklungen gebaut worden. Dieses waren die französisch-deutsche Transall, der französisch-deutsche Alpha-Jet, der britisch-deutsch-italienische Tornado und der britisch-deutsch-italienisch-spanische Eurofighter.
VJ 101 C X1 im Schwebe- und im konventionell-aerodynamischen Flug: Die Gegenüberstellung der linken Aufnahme vom ersten Schwebeflug am 10. April 1963 mit dem später aufgenommenen rechten Foto zeigt deutlich die variablen Einsatzmöglichkeiten der schwenkbaren Triebwerke des Senkrechtstarters |
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