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Altbundes-kanzler Helmut Schmidt analysiert in "Die Mächte der Zukunft - Gewinner und Verlierer in der Welt von Morgen" die Weltlage. Sie ist gekennzeichnet durch Globalisierung, wobei dies ein neues Schlagwort für einen alten Sachverhalt ist, denn Weltwirtschaft und Weltmärkte hat es schon immer gegeben. Neu ist nur, daß beinahe jeder Winkel der Erde daran beteiligt und von den Folgen betroffen ist.
Schmidt las zwei Kultbücher: "Der Aufstand der Massen" von Ortega y Gasset und "Die Psychologie der Massen" von Gustave Le Bon. In ihnen wurden kulturphilosophisch die durch Hitler geschürten Emotionen antizipiert. In der Tat war ja der Faschismus ein europäisches Phänomen und nicht auf Deutschland beschränkt, wenn er auch hier seinen krassesten Ausdruck fand. Nach der ungeheuren Katastrophe des europäischen Bürgerkrieges im vergangenen Jahrhundert liegt der Focus von Schmidts Analysen daher auch bei dem alten Kontinent und seinem Verhältnis zur Welt. Er ergreift daher entschieden Partei in der Frage der Vollmitgliedschaft der Türkei in Europa. Wenn dieser Beitritt der übervölkerten Türkei erfolge, würden bald andere Beitrittsgesuche aus Nordafrika erfolgen und ein Ende des Abendlandes und der Europäischen Union wäre wegen
des muslimischen Immigrationsdruckes die Folge, es käme zu einer kulturellen Überfremdung größten Ausmaßes. Einen Vorgeschmack bekommen wir ja heutzutage durch die Visa-Affäre, wo die multikulturellen Blütenträume an der harten Realität scheitern, wie sogar der Spiegel hat feststellen müssen. Gerade die unsentimentale Arbeiterschaft entwickelt dafür einen Spürsinn, der sie zu den Konservativen wandern läßt. Schmidt warnt vor dem "clash of civilizations".
Geht es um die Macht von Morgen, so meint Schmidt sie in den Händen Chinas zu erkennen. Da es jedoch vor großen innenpolitischen Schwierigkeiten stehe, könne man davon ausgehen, daß seine Führung jedem strategischen Risiko aus dem Wege gehen wird. Die kulturelle Prägung Chinas durch den Konfuzianismus sei zudem stärker als alle Parteidoktrinen, und so balanciere das Land akrobatisch zwischen Konfuzianismus, Kommunismus und Kapitalismus. Einige Werte Chinas könnten dabei ein Vorbild für die Welt sein. Familienzusammenhalt, Respekt vor dem Alter, gute Ausbildung der Kinder, Fleiß und Sparsamkeit sind so seit Jahrhunderten prägend, wenn man von den maoistischen Exzessen absieht, die nur bei den 68ern Beifall im Westen fanden. Im Kern charakterisiert Schmidt China als "nicht imperialistische Großmacht". Sein aufstrebender Nachbar Indien sei hingegen noch lange von einer Großmachtstellung entfernt.
Europas Probleme liegen, so der Autor, vor allem in der Überalterung und der wirtschaftlichen Stagnation. Den alten, weitgehend nach Amerika driftenden Ostblock sieht Schmidt auf lange Zeit für das Kerneuropa als unverdaulich an. Für Afrika sieht auch Schmidt eigentlich nur noch schwarz. H. von Dobeneck
Helmut Schmidt: "Die Mächte der Zukunft - Gewinner und Verlierer in der Welt von Morgen", Siedler Verlag, Berlin 2004, geb., 240 Seiten, 19,90 Euro |
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