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Fast wie einst bei uns in Masurren!“ begeistert sich eine rüstige Ostpreußin, die mit einer Radlergruppe durch Südestland unterwegs ist. An die Heimat hat sie nur verschwommene Kindheitserinnerungen, doch die nehmen in der hügeligen Wald- und Seenlandschaft rund um Otepää Gestalt an.
Auch die anderen in der Gruppe sind des Lobes voll. „Diese unberührte Natur! Diese endlosen Wälder! Diese zahllosen verborgene n Seen!“ Jeder hat etwas, wofür er schwärmt. Nicht zuletzt werden auch die Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Esten gerühmt.
„Anfangs hatte ich ein wenig Angst wegen der Sprache“, bekennt eine Teilnehmerin, „aber mit Englisch und vielfach auch mit Deutsch kommt man ganz gut durch.“ „Oh ja“, pflichtet ein älterer Ex-DDR-Bürger bei, „nur auf russisch sollte man die Esten nicht ansprechen. Da fällt die Klappe runter, denn die Sprache der ehemaligen Besatzer ist noch immer verpönt.“
Ob Naturfreund oder kulturhistorisch Interessierter - in Estland kommt jeder auf seine Kosten. Alte Hansestädte wie Reval (Tallinn), Fellin (Viljandi) oder Pernau (Pärnu) locken mit malerischer, teils noch mittelalterlicher Architektur, mächtigen Ordensburgen bzw. dem, was die Kriegszüge von Iwan dem Schrecklichen bis zu Peter dem Großen davon übrig ließen.
Arensburg (Kuressaare) auf Ösel oder Wesenberg (Rakvere) künden besonders eindrucksvoll von den Zeiten, als die Heere des Deutschen Ritterordens und des Schwertbrüderordens mit Gewalt die aufmüpfigen Esten und Liven zum Christentum zu bekehren suchten.
Liebevoll restaurierte Gutshöfe und Schlösser der deutsch-baltischen Barone dokumentieren eine Prachtentfaltung, die oft in schroffem Gegensatz zur Ärmlichkeit der estnischen Landbevölkerung steht.
Wer Abgeschiedenheit sucht, findet sie in Ferienwohnungen und -häusern, die von immer mehr Bauern neben ihren weit verstreuten Gehöften angeboten werden. Wander- und Campingfreunden sei der Süden und Südosten des Landes empfohlen. Der Norden ist flach und zeigt kaum Abwechslung. Außer man begibt sich an die Küste oder in den Naturpark Lahemaa.
Lahemaa, zu deutsch „Land der Buchten“, bietet neben ausgedehnten Wäldern mit stillen Wanderwegen ein riesiges Sumpfgebiet, das man nicht ohne kundige einheimische Führer betreten sollte.
Bemerkenswert sind die Badeorte: Käsmu, das „Kapitänsdorf“ mit seinen schönen Häuschen, in denen sich einst die Kapitäne der alten Kap-Hoorner zur Ruhe setzten. Oder Vösu, wo unter schattigen Bäumen pittoreske Villen und Pensionen auf Besucher warten.
Estland ist ein ausgesprochen billiges Reiseland. Für ein paar Mark kann man ein Mittagessen mit drei Gängen bekommen, und selbst in einem 3-Sterne-Hotel gibt es die Übernachtung mit Frühstück für 60 bis 80 DM. Ferienhäuser und -wohnungen sind meist spottbillig; jedoch sollte man sich vor gelegentlichen Abzockern hüten.
Auch Autofahrer können sich freuen, denn Benzin ist preiswert: einen Liter Super bekam man diesen Sommer für 1,30 DM.
Sein eigenes Auto sollte man tunlichst mitnehmen, denn die Zeiten, in denen man sehr günstig mit dem Bus von einer Ecke zur anderen reisen konnte, sind vorbei. Die alten Ikarus-Busse haben längst ausgedient. Für die Anschaffung von neuen fehlt das Geld, so daß die Verbindungen nur noch spärlich bedient werden. Die Bahn hat ihren Personenverkehr seit Frühjahr 2001 sogar ganz eingestellt.
Natürlich kann man auch Pauschalreisen buchen, aber die bringen den Touristen selten über die Umgebung von Reval hinaus. Gerade mal die berühmte Universitätsstadt Dorpat (Tartu) oder das Seebad Pernau, vielleicht auch Lahemaa erscheinen auf den Programmen. Man muß schon suchen, um auf einen Veranstalter zu stoßen, der - wie eingangs erwähnt - seine Kundschaft auf dem Drahtesel das Land erleben läßt.
Wer auf eigene Faust auf Entdeckungsreise geht, hat bessere Aussichten, eine Landschaft von herber Schönheit und zahlreiche sehenswerte Orte kennenzulernen - um dann sehr wahrscheinlich wiederzukommen.
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