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Wie im Fall Babcock Borsig Kapital vernichtet wurde

 
     
 
Knapp 20 Jahre lang residierte Friedel Neuber (SPD) hinter einem Eichentisch im Glaspalast der Westdeutschen Landesbank (West LB) in der Düsseldorfer Innenstadt. Von hier aus dirigierte Neuber nicht nur die Geschicke der West LB, sondern nahm auch Einfluß auf einige der mächtigsten Wirtschaftskonzerne in Europa. Wie ein Schachspieler nutzte Neuber Beziehungen in alle politischen und wirtschaftlichen Bereiche, um seine beispiellose Karriere voranzutreiben. Neuber förderte Managerkarrieren und beendete diese, wenn es ihm opportun erschien. Er betrieb Industriepolitik in großem Maßstab und war doch nur ein Angestellter des Landes Nordrhein-Westfalen. Der Name Neuber steht in NRW zweifelsohne für eine beeindrucken- de Karriere. Der Aufstieg des Sohns eines kleinen Eisenbahners aus dem Ruhrgebiet kann als einzigartig
bezeichnet werden. Der Nichtakademiker, Juso-Bezirkschef, Buchhalter, Krankenhausdirektor und SPD-Landtagsabgeordnete bestimmte die Wirtschaftsstruktur in NRW in entscheidenden Fragen nicht nur lange Zeit mit, sondern handelte oft genug nach seinem eigenen Gutdünken. Er war es auch, der den industriellen Gemischtwarenladen Preussag in den Touristikkonzern TUI umwandelte. Für viele Beobachter steht fest, daß der heutige Touristikkonzern auf dem Rücken des Oberhausener Konzerns Babcock Borsig saniert worden ist. Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf hat deshalb Ermittlungen aufgenommen. Daß diese überhaupt aktiv wurde, ist vor allem einem Mann zu verdanken: dem US-amerikanischen Großinvestor Guy Wyser-Pratte. Bei bestimmten Personenkreisen, zu denen der Ex- Babcock-Manager Klaus Lederer oder auch Friedel Neuber (SPD) gehören, dürften der Name Wyser-Pratte durchaus gemischte Gefühle auslösen. Denn die bulldozerhafte Art und Weise, mit der Wyser-Pratte seine Interessen verfolgt, könnte in Deutschland noch für unliebsames Aufsehen sorgen, Aufsehen, das man lieber vermeiden möchte.

Mitte September 2002 reichte Wyser-Pratte vor dem Supreme Court des Staates New York Klage wegen der Vorgänge in Zusammenhang mit dem Bankrott der Babcock Borsig AG ein. Am 25. April dieses Jahres erweiterte Wyser-Pratte seine Klage um den Tatbestand der Nötigung und Erpressung. Wer den US-Investor kennt, weiß, daß dieser alle Register ziehen wird, um sein Geld, nämlich insgesamt 19 Millionen Dollar, die er aufgrund des Werbens von Ex-Babcock-Chef Lederer in den Konzern investiert hat, zurück-zubekommen.

In Fachkreisen sind die Methoden Wyser-Prattes nicht unumstritten. Während der vergangenen Jahre kaufte er große Aktienpakete verschiedener Unternehmen, versuchte Einfluß auf das Management auszuüben und stieß die Aktien nach erfolgreicher Umgestaltung eines Unternehmens mit Gewinn wieder ab. Als Beispiel mag hier der Rüstungs-, Autozulieferer- und Elektrokonzern Rheinmetall dienen. Mit einem Anteil von 7,1 Prozent am Grundkapital forderte Wyser-Pratte lauthals die Umstrukturierung des Konzerns hin zu einem reinen Rüstungsunternehmen. Diese Forderung war zwar nicht von Erfolg gekrönt, Wyser-Pratte kam aber dennoch auf seine Kosten. Denn jedesmal, wenn der Investor eine Um- oder Restrukturierung forderte, machte der Aktienkurs von Rheinmetall einen Sprung nach oben. Dieser explodierte in der Wyser-Pratte-Ära von anfänglich acht auf rund 22 Euro bei seinem Ausstieg. Damit ergab sich für Wyser-Pratte ein ansehnlicher Reingewinn von mehreren Millionen Euro.

Der Fall Babcock Borsig bedeutete für den US-Investor in vielerlei Hinsicht eine Ausnahme. Wyser-Pratte hatte einen Anteil von 8,2 Prozent an dem Unternehmen gehalten und profilierte sich schnell als scharfer Kritiker des abgelösten Managements unter Klaus Lederer. Diesem warf Pratte vor, mit den Anteilen an der Kieler Werft Howaldtswerke Deutsche Werft AG (HDW) eine Perle des Babcock-Konzerns eigenmächtig veräußert zu haben. Wyser-Pratte gelang es nicht, den Verkauf der HDW zu stoppen und eine außerordentliche Hauptversammlung einzuberufen. Der Oberhausener Traditionskonzern Babcock Borsig mußte vorher Insolvenz anmelden.

Wie der deutsche Babcock-Manager Klaus Lederer Wyser-Pratte für ein Engagement köderte, konnte im Wall Street Journal vom 8. April dieses Jahres nachgelesen werden: Bei einem Essen im Four Seasons Restaurant in Manhattan/New York Anfang Januar 2002 zeigte Lederer Wyser-Pratte eine PowerPoint-Präsentation, die einmal die finanzielle Gesundheit von Babcock Borsig dokumentieren sollte. Zum anderen eröffnete Lederer Wyser-Pratte den Plan, den Anteil von Babcock an HDW auf 100 Prozent ausbauen zu wollen. Daß Lederers Eröffnungen wenig sachgerecht waren, ließ dieser vor kurzem gegenüber der New York Times durchblicken. Dort erklärte er, Wyser-Pratte hätte ja vor seinem Engagement bei Babcock Borsig durchaus die Möglichkeit gehabt, bei den entsprechenden Banken in Deutschland Auskünfte über Babcock einzuholen. Lederer wörtlich: "Er [Wyser-Pratte] hatte seine Hausaufgaben nicht gemacht, bevor er investierte." Hätte er sie gemacht, so legt Lederer nahe, hätte er sehr schnell zu der Erkenntnis kommen können, daß der Zustand von Babcock Borsig als besorgniserregend bezeichnet werden mußte ("... that Babcock was in a fragile state"). Mit anderen Worten: Lederer gibt zu, Wyser-Pratte ein, um es vorsichtig zu sagen, nicht zutreffendes Bild von der ökonomischen Situation Babcock Borsigs gezeichnet zu haben. Ein derartiges Verhalten, wie es Lederer hier an den Tag legt, wird in der Regel als Chuzpe bezeichnet.

Zu Beginn von Wyser-Prattes Einstieg bei Babcock wurde, dies machen Lederers Auskünfte gegenüber der New York Times noch einmal deutlich, noch über die Übernahme der auf Marineschiffbau spezialisierten Werft HDW diskutiert. Vor diesem Hintergrund hätte sich ein Engagement durchaus bezahlt gemacht. Wyser-Pratte, dem hervorragende Kontakte in Washington und somit auch zu den Rüstungsaufträge vergebenden Organen nachgesagt werden, hatte es vornehmlich auf die lukrative Schiffbausparte HDW abgesehen, die konventionelle Hochtechnologie-U-Boote baut. Ehe der Amerikaner aber richtig aktiv werden konnte, verkaufte Lederer im März 2002 in einer Nacht-und-Nebel-Aktion - scheinbar unmotiviert - 25 Prozent von HDW sowie eine Option auf weitere 25 Prozent an die US-Finanzgruppe One-Equity-Partners (OEP). Gleichzeitig wechselte der umtriebige Manager auf den HDW-Chefsessel. Wyser-Pratte sah sich in seinen Plänen düpiert. Mehr noch: die nach dem Ausstieg Lederers offenbar werdenden (und vertraulich behandelten) Vereinbarungen zwischen Preussag und Babcock Borsig zeigten dem US-Investor, daß Lederer ihm entscheidende Informationen vorenthalten hatte.

Doch der Reihe nach: HDW galt als Kronjuwel von Babcock, das vor seinem Konkurs einige (stark defizitäre) Geschäftszweige des Tourismus-Konzerns TUI (ehemals Preussag Stahl AG) übernommen hatte. Auf Betreiben des Multifunktionärs Friedel Neuber brachte Preussag/TUI als Sacheinlage die Kieler Werft HDW und den chronisch defizitären Anlagenbau ihrer Würzburger Tochter Noell bei Babcock Borsig ein. Diese Transaktion kann aus Sicht von Babcock nicht anders als fatal genannt werden. Noell, die auch in den USA aktiv war, entpuppte sich nämlich schnell als Milliardengrab. Selbst die liquiden Mittel, die durch das nun von der Düsseldorfer Staatsanwaltschaft kritisierte Cash-Clearing von Kiel nach Oberhausen flossen, reichten nicht aus, um die laufenden Verluste aus dem Anlagenbau zu stopfen. TUI war der eindeutige Nutznießer dieses Geschäfts. TUI war mit Noell seinen gravierendsten Verlustbringer los und konnte sich, auch durch die Millionen-Einnahmen durch den Verkauf der ehemaligen bundeseigenen Salzgitter-Immobilien, zu einem Global Player der Tourismusbranche entwickeln.

Für viele Beobachter gibt es deshalb in dem Babcock-Insolvenzgutachten nur zwei entscheidende Sätze: Die TUI, so vermuten es der Sachverwalter Helmut Schmitz und der neue Babcock-Vorstandschef Horst Piepenburg, wurde auf Kosten des Babcock-Borsig-Konzerns saniert. Der Touristik-Konzern steht heute - zumindest nach außen - halbwegs gut da, das Oberhausener Unternehmen ist inzwischen insolvent. Daher hat die Staatsanwaltschaft Düsseldorf die Ermittlungen wegen des Verdachts der Insolvenzverschleppung und der Untreue sowie der Beihilfe zur Untreue ausgeweitet. In Verdacht: Ex- Babcock-Chef Klaus Lederer, Multiaufsichtsrat Friedel Neuber, TUI-Chef Michael Frenzel und noch weitere fünf Personen. Nach Meinung von Kleinaktionären und Mitarbeitern haben Lederer, Frenzel und Neuber wesentlich zur Pleite von Babcock Borsig beigetragen. Die Betroffenen bestreiten dies bis heute.

Zurück gehen die Anschuldigungen bis in das Jahr 1999. Schon damals war der Oberhausener Konzern Babcock finanziell schwer angeschlagen. In dieser kritischen Situation einigte sich Neuber nach Angaben der Financial Times Deutschland (23. Januar 2003) mit seinem früheren Büroleiter, dem heutigen TUI-Vorstandschef Frenzel, auf einen Firmentausch. Babcock wurde, wie oben erwähnt, die defizitäre Anlagenbautochter Noell sowie 50 Prozent plus eine (goldene) Aktie an HDW zugeschoben. Preussag erhielt dafür im Gegenzug 33 Prozent der Babcock-Anteile, war aber Noell los und konnte seine angestrebte Metamorphose zum Touristikkonzern vorantreiben.

Im Zentrum dieses "deals" stand eine folgenreiche Vereinbarung zwischen Preussag und Babcock. Falls Preussag, so der Inhalt dieser Vereinbarung, nach den Angaben des Handelsblattes vom 12. Juli 2002, einen Käufer für ihre HDW-Aktien finden sollte, kann der Konzern aus Hannover diese eine (goldene) Aktie wieder an sich ziehen. Über diese Konsortialvereinbarung, die von den Beteiligten unter dem Siegel der Verschwiegenheit behandelt worden war, liegt seit Juni 2002 eine eidesstattliche Versicherung von Klaus Lederer vor.

Diese Vereinbarung macht schlagartig klar, warum sich Lederer quasi über Nacht in Richtung HDW absetzen mußte. Babcock war am 11. März 2002, als sowohl Preussag/TUI als auch Babcock ihre Anteile an der HDW an OEP veräußerten, faktisch insolvent, weil der Oberhausener Konzern, so die oben bereits genannte Ausgabe der Financial Times Deutschland, ungefähr 500 bis 600 Millionen Euro, die von HDW zur Konsolisierung von Babcock Borsig abgezweigt worden waren, hätte zurückerstatten müssen.

Daß darüber hinaus mit dem Einstieg von OEP hochwertige deutsche U-Boot-Technologie in die Hände der Amerikaner gefallen ist, interessierte Lederer in diesem Zusammenhang offenbar nicht. Warum nicht, konnte laut Handelsblatt, wiederum Wyser-Pratte aufdecken. Dieser recherchierte nämlich, daß OEP von "alten Freunden" Lederers geleitet wird.

Spätestens an dieser Stelle stellt sich die Frage, warum Preussag/TUI seine HDW-Anteile abstieß, wenn damit automatisch die Insolvenz von Babcock verbunden war. Vieles deutet nach den Worten von Müller, ehemals Mitglied im Vorstand der Preussag AG und intimer Kenner der Vorgänge, darauf hin, daß dieser Zusammenbruch von keinem der Beiteiligten für möglich gehalten worden war. "Darüber hinaus bestand wohl weiter die Erwartung", "daß Bund und das Land Nordrhein-Westfalen alles daran setzen würden, einen möglichen Babcock-Konkurs zu verhindern. Tatsächlich wollte die Bundesregierung ja deutlich über 400 Millionen Euro aufbringen, um den Konkurs abzuwenden." Mit anderen Worten: die beteiligten Spitzenmanager hatten eine "Sozialisierung" der Folgen ihres Tun offensichtlich fest miteingeplant. Der deutsche Steuerzahler sollte - dieser Eindruck drängt sich zumindest auf - für die "Kollateralschäden" aufkommen.

800 Millionen Euro hätte es bedurft, so wurde der deutschen Öffentlichkeit in den entscheidenden Wochen suggeriert, um Babcock zu retten. Hinter den Kulissen wurde die für die Rettung von Babcock notwendige Summe allerdings deutlich höher taxiert: hier wurden Summen von über zwei Milliarden Euro gehandelt.

Dieses Geld konnten weder die Bundesregierung und die WestLB, noch die privaten Banken zusammenbringen. Wie man heute weiß, wäre auch diese Summe bestenfalls ein Tropfen auf dem heißen Stein gewesen. Heute steht eine Summe im Raum, die sich zwischen vier und fünf Milliarden Euro bewegt.

Alle diese Vorgänge müssen im Zusammenhang mit den Aktivitäten von WestLB-Chef Neuber gesehen werden, der gleichzeitig Aufsichtsratsvorsitzender von RWE, Preussag und Babcock war.

Wyser-Prattes Klagen in New York bringen die Dinge jetzt ins Rollen. Der Düsseldorfer Oberstaatsanwalt Bernhard Englisch steht vor keiner leichten Aufgabe, muß er doch jeden Beteiligten individuelles Verschulden nachweisen. Ungeachtet der Frage aber, inwieweit diese Vorgänge strafrechtlich von Bedeutung sind, steht das sozialdemokratisch beherrschte Wirtschaftsimperium in NRW, zu dem auch Babcock Borsig gehörte, im Zwielicht. Nicht ausgeschloßen werden kann, daß im Zuge der Ermittlungen, die Englisch jetzt vorantreibt, noch weitere, für die NRW-SPD unangenehme Dinge ans Licht der Öffentlichkeit kommen werden.

Fotos: Ausgesaugt: Nach dem Babcock-Insolvenzgutachten wurde die TUI auf Kosten des Babcock-Borsig-Konzerns saniert. Daß die entsprechenden Manager das nun insolvente Unternehmen bewußt gefährdeten, versucht man ihnen noch nachzuweisen. Grossinvestor klagt in den USA gegen die undurchsichtige Pleite von Babcock Borsig / Der deutsche Steuerzahler sollte nach Planung der Manager für ihre Mauscheleien einspringen
 
     
     
 
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