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Wie in Johannisburg aus einem Friedhof mit Leichenhalle eine Gedenkstätte mit Park wurde

 
     
 
Johannisburg, die Kreis- und Grenzstadt im Süden Ostdeutschlands, wurde im September 1914 von russischen Truppen besetzt und konnte erst im Februar 1915 in der Winterschlacht in Masuren durch deutsche Truppen zurückerobert werden. Von den schweren Kämpfen um die Stadt zeugten nicht nur ihre Zerstörung, sondern auch über 200 gefallene deutsche und russische Soldaten, die auf einem Ehrenteil des Stadtfriedhofs bestattet worden sind. Diese Soldatengräber sind seit dem Ersten Weltkrieg
bis zum heutigen Tage Bestandteil des "Alten Stadtfriedhofs Johannisburg", der in vollem Umfange erhalten geblieben ist. Die Johannisburger nahmen sich zu allen Zeiten ihrer Soldatengräber an und pflegten sie liebevoll. Sie waren für sie Erinnerung an eine leidvolle Zeit der Stadt und ihrer Bürger und sie gehörten zu ihrem Friedhof.

Johannisburg war auch 1939 und 1941 im Zweiten Weltkrieg Front- und Lazarettstadt. Die gefallenen und an ihren Verwundungen verstorbenen Soldaten wurden ebenfalls auf dem Ehrenteil des Stadtfriedhofs bestattet.

Auf einem Seitenteil der russischen Soldatengräber aus dem Ersten Weltkrieg wurde vor drei Jahren ein Massengrab mit den sterblichen Überresten von 87 Soldaten und Zivilisten, unter ihnen auch kleine Kinder, freigelegt, deren Leben 1945, lange nach Beendigung der Kämpfe um die Stadt, durch einen grausamen Tod beendet worden war.

Inzwischen hat der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge die Toten aus dem Massengrab sowie die gefallenen und im Lazarett verstorbenen Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg auf seinen in Batossen angelegten Sammelfriedhof umgebettet.

Die im Ersten Weltkrieg gefallenen Soldaten verblieben auf dem Ehrenteil. 1972 waren ihre Gräber und Kreuze noch vorhanden. Danach wurden die Grabhügel abgetragen, und die Kreuze verschwanden. Zurück blieb eine holprige Grasfläche, aus der sich ein mächtiges Hochkreuz erhebt.

Im Auftrag des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge brachte Hans Linke 1996 auf diesem Soldatenfriedhof sein deutsch-polnisches Jugendlager erstmalig zum Einsatz.

Im gewissen Sinne war dieses Jugendlager der Auslöser für die Umgestaltungen des "Alten Stadtfriedhofs Johannisburg" in einen Park und der noch aus der Vorkriegszeit vorhandenen Leichenhalle in eine Gedenkstätte.

Hans Linkes ostdeutsche Jugend arbeitete von 1953 bis 1990 mit nationalen und internationalen Jugendlagern für den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge auf Kriegsgräberstätten, insbesondere in Dänemark und in der Bundesrepublik Deutschland. Erst ab Sommer 1991 konnte sie ihre Arbeit an Kriegsgräberstätten aus beiden Weltkriegen in alle Teile Ostdeutschlands verlegen. Bis 2002 hatte sie in dieser Region mit 25 Jugendlagern sowie 990 Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus der Bundesrepublik Deutschland, der Republik Litauen, der Republik Polen und dem Königsberger Gebiet auf 25 Kriegsgräberstätten gearbeitet.

In Johannisburg kam Hans Linke 1923 zur Welt, in der alten evangelischen Kirche wurde er getauft und eingesegnet, und in dieser Stadt, die eingebettet in der wundersamen masurischen Landschaft liegt, hat er eine unbeschwerte Kindheit und Jugendzeit erlebt, bis der Zweite Weltkrieg ihn Soldat werden ließ. Durch diesen Krieg mit seinen furchtbaren Auswirkungen für die betroffenen Menschen und Völker und dadurch, daß die Ostdeutschland ihre Heimat durch Flucht und Vertreibung verlassen mußten, sah sich Hans Linke in die Pflicht genommen, gegen Kriege und die sinnlosen Menschenopfer anzugehen. Seine Aufgabe fand er in der Arbeit an den Gräbern der Kriegstoten, die er seit 1953 bis heute leistet, und das in der Gemeinschaft mit jungen Menschen aus vielen europäischen Ländern.

Im Rahmen seines deutsch-polnischen Jugendlagers kam Hans Linke 1996 zum ersten Mal nach seinem letzten Heimaturlaub im Sommer 1944 wieder in seine Vaterstadt. Hier auf dem alten Stadtfriedhof sah er eine gemeinsame Aufgabe für Deutsche und Polen.

Durch die Vermittlung von Mira Kreska, der Vorsitzenden des deutschen Kulturvereins "Rosch", konnte er auf dem Friedhof, noch während das Jugendlager arbeitete, die Denkmalpfleger aus Suwalki, Tumidajewicz und Mackiewicz, sowie Bürgermeister Puchalski aus Johannisburg sprechen. In einem langen Gespräch gelang es Hans Linke, sie von seinem Plan zu überzeugen, den gesamten alten Stadtfriedhof in eine Parkanlage umzugestalten sowie die alte Leichenhalle zu erneuern, zu konservieren und in eine Gedenkstätte zur Erinnerung an die Generationen deutscher Bürger dieser Stadt, die noch bis Anfang 1945 in diese Erde gebettet wurden, umzuwandeln. Mit dieser Umgestaltung wollte er auch erreichen, daß der deutsch-russische Soldatenfriedhof in einer würdigen Umgebung verbleibt.

Seine große Hoffnung aber war, daß sich Deutsche und Polen an dieser Gedenkstätte treffen, um gemeinsam der Toten zu gedenken und für die Erhaltung des Friedens in der Welt zu beten. Das Denkmalschutzamt und die Stadt Johannisburg stimmten dem Plan zu und schufen die ersten Voraussetzungen, ihn zu verwirklichen.

Die Finanzierung der Umgestaltung des Geländes in den Park sowie der Erhaltung und Umwandlung der Leichenhalle in die Gedenkstätte stellten Polen und Deutsche gemeinsam sicher. Die Stadt Johannisburg finanziert, auch mit Zuschüssen von staatlichen Stellen, die Gestaltung des Parks, die Kreisgemeinschaft Johannisburg, als Vertretung der vertrieben und geflohenen deutschen Bewohner dieser Stadt, finanzierte bereits voll die Gedenkstätte, und der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge setzte 2001 Hans Linkes deutsch-polnisches Jugendlager zur Neugestaltung des deutsch-russischen Soldatenfriedhofs ein.

Die Kreisgemeinschaft Johannisburg hat eine Gedenkstätte geschaffen, die durch ihre Gestaltung den Besucher überzeugt. Um das Gebäude wurde ein Zaun aus Eisengittern gesetzt, wie er auf dem alten Friedhof um Familiengruften oft zu sehen war. Auf der Südseite des Gebäudes stehen aufgearbeitete Gedenksteine von früheren deutschen Gräbern des alten Friedhofs. Wenn sich dem Besucher die beiden Eichentüren am Eingang zum Innern der Gedenkstätte öffnen, zieht ihn ein wuchtiges Granitkreuz in seinen Bann. An der Nordseite des Gebäudes ist eine Gedenktafel in die Mauer eingelassen, deren Inschrift vom Vorsitzenden der Kreisgemeinschaft Johannisburg, Gerhard Wippich, klug und bedeutsam formuliert worden ist.

Bürger der Stadt Johannisburg, Besucher dieser Kapelle! Diese Gedenkstätte, der sie umgebende Park und der Ehrenfriedhof gefallener Soldaten, ist als Kulturstätte unter Denkmalschutz gestellt. Die Fläche dieses Parkes diente in der preußischen, deutschen und polnischen Zeit den Bewohnern der Stadt Johannisburg als Begräbnisstätte. Bewahrt dieser Stätte die angemessene Würde. Sie möge ein sichtbares Zeichen dafür sein, daß die Nationen in einem freien Europa miteinander in Frieden leben wollen. Erweist der Geschichte ihre gebüh- rende Achtung.

Diese Worte sind in deutscher und polnischer Sprache geschrieben.

Als Voraussetzung für die Arbeiten zur Neugestaltung des Parks war ein neuer stabiler Zaun um den größten Teil des Friedhofes vonnöten. Aus der Vorkriegszeit steht entlang der Bahnhofstraße eine dicke Mauer aus Granitsteinen. Der Zaun wurde von der Stadt gesetzt.

Im letzten Jahr hatte ein schwerer Sturm auch Teile des alten Baumbestands auf dem Friedhof vernichtet. Entwurzelte Bäume mußten schnellstens beseitigt werden. Die Stadt schaffte das sehr schnell mit Hilfe von polnischen Pionieren aus Arys. An einigen Stellen hatten umgestürzte Bäume den neuen Zaun beschädigt. Die beschädigten Teile wurden ausgewechselt. Langsam nimmt die Umgestaltung des Parks Formen an. Dennoch wird es bis zur Beendigung dieser Arbeiten eine Zeit dauern. Der Stadt fehlt für den zügigen Ausbau das Geld. Von dem ersten Planungsgespräch im Sommer 1996 bis zum Tag der Einweihung am 10. Mai 2003 sind sieben Jahre vergangen.

Am Sonnabend, dem 10. Mai, sollte nach dem Willen aller Beteiligten die Gedenkstätte endlich in einer würdigen Feierstunde eingeweiht werden. Die Vorbereitungen am Ort wurden von der Stadtverwaltung Johannisburg und dem deutschen Kulturverein "Rosch" gemeinsam getroffen.

Die Gruppe Linke reiste bereits an dem vorausgehenden Mittwoch mit elf Jugendlichen und Erwachsenen, die an den letzten Jugendlagern teilgenommen hatten, nach Johannisburg an. Am nächsten Tag schon wurde sie zur Arbeit auf dem Soldatenfriedhof eingesetzt. 77 Arbeitsstunden waren für die Überholung der Anlage und ihre Vorbereitung für die Einweihungsfeier erforderlich, denn der Soldatenfriedhof war in das Einweihungszeremoniell mit einbezogen.

Dann war endlich der große Tag für die Einweihung der für Deutsche und Polen gleichermaßen wichtigen Gedenkstätte gekommen. Alle hatten sich dafür einen sonnigen Tag gewünscht, und die Sonne schien wirklich.

Aus der Bundesrepublik war mit Willi Reck, einem der Stellvertreter von Kreisvertreter Wip- pich, eine Delegation der Kreisgemeinschaft Johannisburg angereist. Ebenso waren der Kreispräsident des Kreises Schleswig-Flensburg, Johannes Petersen, der Sprecher der Freundeskreis Ostdeutschland, Erika Steinbach, und Vertreter der Johanniter aus Schleswig-Holstein nach Johannisburg gekommen. Der Generalkonsul der Bundesrepublik Deutschland in Danzig, v. Berg, konnte aus dienstlichen Gründen erst verspätet zu den Festlichkeiten kommen. Der Kreis Schleswig-Flensburg hat ein Partnerschaftsverhältnis mit der Stadt Johannisburg, und die Johanniter sind durch die Sozialstation mit dem deutschen Verein "Rosch" und der Stadt verbunden.

Die deutschen Gäste hatten sich gemeinsam mit den Geistlichen der katholischen und der evangelischen Kirche aus der Stadt, dem Bürgermeister von Johannisburg, Andrzey Szymborski, den Bürgermeistern der Nachbarstädte Arys und Gehlenburg, einer Abordnung von polnischen Offizieren unter Führung eines Oberst, Offizieren der örtlichen Polizei, Abordnungen von Lehrern und Schülern von Schulen aus Johannisburg und Gehlenburg, Vorsitzenden von örtlichen Vereinen sowie der großen Gruppe aus dem Deutschen Verein zur Feierstunde an der Kapelle versammelt. Auch die Vorsitzenden der deutschen Nachbarvereine waren gekommen. Die Verantwortlichen freuten sich, daß über 200 Gäste erschienen waren.

Die Einweihungsfeier wurde durch den Aufmarsch einer polnischen Pfadfindergruppe eröffnet, die sich als Ehrenwache neben das Hochkreuz und hinter die Symbolkreuze auf dem Soldatenfriedhof stellte. Sie hatte Kerzen mitge-bracht. Der polnische Bürgermeister von Johannisburg begrüßte die Teilnehmer an der Feierstunde, und Hans Linke unterrichtete in seiner kurzen Ansprache über den langen Weg von der Idee bis zur Gestaltung der Gedenkstätte.

Anschließend sprachen der Kreispräsident Petersen, der Sprecher der Freundeskreis Meier und der Vertreter der Kreisgemeinschaft Johannisburg, Reck. In ihren recht unterschiedlichen Ansprachen waren sie am Ende von der Ausstrahlung der Gedenkstätte auf das deutsch-polnische Verhältnis heute und in Zukunft überzeugt. Unter dem Kreuz in der Kapelle sollten sich die deutschen und polnischen Bewohner dieser Stadt zum gemeinsamen Gebet im Sinne von Vergebung und Versöhnung treffen.

Im Anschluß an die Ansprachen trugen zwei polnische Schülerinnen und ein Schüler in deutscher Sprache Gedichte deutscher Poeten vor, deren Texte dem Sinn der Feierstunde angepaßt waren. Sie überzeugten durch ihre Stimmen und die Art ihrer Vorträge.

Vor der Einsegnung an der Gedenkstätte durch die beiden Geistlichen wurde die große Gedenktafel an der Nordseite des Gebäudes gemeinsam von Willi Reck, Mira Kreska und Andrzey Szymborski enthüllt.

Die geistliche Ansprache hielt der Pfarrer der polnischen evangelischen Kirche in Johannisburg, und die Einsegnung des Gebäudes, des Kreuzes im Innern der Halle, der Gedenktafel und des Hochkreuzes auf dem Soldatenfriedhof wurde durch den Pfarrer der katholischen Kirche in Johannisburg vorgenommen.

Durch die vollzogene Einsegnung wurden die Generationen deutscher Bürger, die in die Erde dieses Friedhofs gebettet worden sind, und die gefallenen Soldaten, die ebenfalls hier ihre letzte Ruhe gefunden haben, wie in früheren Zeiten, wieder miteinander verbunden.

Am Hochkreuz gedachten die polnischen Offiziere der gefallenen Kameraden durch den Kranz und ihren Ehrengruß. Ihnen folgten die jungen Leute der Gruppe Linke, die ebenfalls am Hochkreuz die Kränze der Landesgruppe Nordrhein-Westfalen des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge und ihrer Gruppe niederlegten.

Am Kreuz in der Gedenkstätte wurden Kränze und Blumen vom Bürgermeister der Stadt Johannisburg, den Bürgermeistern der Städte Arys und Gehlenburg, dem Kreispräsidenten des Kreises Schleswig-Flensburg sowie anderen Persönlichkeiten niedergelegt. Ganz zum Schluß gingen Erika Steinbach und Hans Linke mit seiner Gruppe zum Kreuz. Nach der Niederlegung der Kränze nahmen die jungen Leute Erika Steinbach in ihre Mitte, und gemeinsam beteten sie für die Toten und den Frieden in der Welt.

Gemeinsam haben Deutsche und Polen eine Anlage geschaffen, die an die deutsche Vergangenheit dieser Stadt erinnert, die polnische Gegenwart erlebt und den Weg in das gemeinsame Europa öffnet. Es ist zu wünschen, daß sich in diesem Park des Friedens der Glaube an die Versöhnung von Deutschen und Polen, die gemeinsam die Vergangenheit durch eine bessere Zukunft in einem geeinten Europa überwinden werden, verwirklichen möge. H. L.

Im Zentrum das Kreuz: Blick in das Innere der Gedenkstätte
 
     
     
 
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