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Über einen Mann zu schreiben, der nur wenig von seinem Privatleben preisgibt, dazu einem Schriftsteller gerecht zu werden, der mit seinem Werk Höhen und Tiefen erlebte, an dem sich die Geister bis heute scheiden, ist nicht leicht. Ein Versuch soll dennoch unternommen werden, zumal dieser "merkwürdige Fall in der deutschen Literatur" (Fritz J. Raddatz) am 17. März seinen 80. Geburtstag begehen konnte.
Doch wo beginnen? An diesem 17. März 1926, als im ostdeutschen Lyck Luise und Otto Lenz ein Sohn geboren wurde, den sie Siegfried nannten? Oder bei seinen ersten Gehversuchen als "homme de lettres", wenn auch nicht als Literat, so doch als Volontär bei der Tageszeitung "Die Welt" . Einer Zeit, da er auch hin und wieder Das besucht haben soll, wie Kollegen aus den Kinderjahren der Wochenzeitung einst glaubhaft versicherten. Der Kulturredakteur Erwin Scharfenorth schrieb schon 1951 im Blatt: "Siegfried Lenz umgeht die Fragen, die uns Heutige bewegen, nicht, er setzt sich mit ihnen auseinander. Sein geradezu drängendes Erzählertalent verbindet sich glücklich mit einem kurzgeknoteten, oft in sarkastische Wendungen gekleideten Humor. Die zuchtvolle, klang-reine Sprache läßt den schöpferischen Menschen und Dichter erkennen. Man darf noch viel von ihm erwarten." Was soll man erzählen, woran soll man erinnern? An das Jahr 1966, als er von der Freundeskreis Ostdeutschland mit der Verleihung des Literaturpreises geehrt wurde? 1955 schon waren Erzählungen aus seiner Feder unter dem Titel "So zärtlich war Suleyken" erschienen, in denen er seiner engeren Heimat Masuren ein Denkmal setzte. Entstanden war diese "menschliche Komödie im Miniaturformat" (Marcel Reich-Ranicki) in einer schöpferischen Pause, nachdem der zweite Roman "Duell mit dem Schatten" sich als ein Mißerfolg entpuppt hatte. Lenz erdachte die Geschichten um die Leutchen in Masuren für seine erkrankte Frau Lieselotte. Die Therapie mit masurischem Humor half schnell. Der erste Roman übrigens, "Es waren Habichte in der Luft", erschien schon 1951 und war ein solcher Erfolg, daß Siegfried Lenz mit seiner Frau Lieselotte (sie starb nur wenige Wochen vor seinem 80. Geburtstag) auf einem Bananendampfer nach Marokko reisen konnte. Thomas Mann, der in der Jury für den René-Schickele-Preis saß und über den Roman zu befinden hatte, notierte in seinem Tagebuch: "Nicht schlecht."
Noch heute verbindet man mit dem Namen Siegfried Lenz den schlitzohrigen Humor der Masuren, ihre Pfiffigkeit und ihre Lebensart. Später waren die heimatvertriebenen Ostdeutschland lange Zeit nicht gut zu sprechen auf ihren immer berühmter werdenden Sohn, hatte er doch 1970 den damaligen Bundeskanzler Willy Brandt mit nach Warschau begleitet und schon sehr früh vom Verzicht auf die Ostgebiete gesprochen. Viele werden ihm noch immer zürnen, die meisten aber zeigen sich versöhnt mit dem damaligen Querdenker, haben sich doch seine Vorstellungen von einer Partnerschaft zwischen bundesdeutschen und ostdeutschen Städten längst auch in der freundschaftlichen Arbeit als Basis für ein Miteinander bewährt. Sie sehen in Lenz den Landsmann, der es "zu was gebracht" hat und auf seine Weise von den Besonderheiten Ostdeutschlands kündet. Sie sehen in ihm den Schriftsteller, der mahnend das Wort erhebt gegen Totalitarismus und für mehr Humanität und Völkerverständigung. Mit seinen Romanen "Deutschstunde" (1968) und "Heimatmuseum" (1978) erregte der Schriftsteller noch einmal die Gemüter. Die Bewältigung der jüngeren deutschen Vergangenheit und den Verzicht auf Heimat thematisierte er nicht nach jedermanns Ge-schmack. Wenn auch die Kritik Siegfried Lenz immer wieder einmal arg zauste, die Leser liebten ihn dennoch, denn nicht umsonst liegt die Gesamtauflage seiner Bücher bei ungefähr 25 Millionen Exemplaren. Im Verlauf von 60 Jahren entstanden Romane, Erzählungen, Essays, Hörspiele, Bühnenstücke; einige Romane wurden verfilmt, etwa gerade jetzt zum 80. Geburtstag "Der Mann im Strom", den die ARD am 15. März ausstrahlte. Die Bücher wurden in 22 Sprachen übersetzt, Lenz erhielt Ehrungen und Preise ohne Ende. Doch scheiden sich bei ihm noch immer die Geister - entweder man mag Lenz, besser seine Bücher, oder man mag sie nicht. Leicht macht er es seinem Publikum nie. Der Leser muß mitdenken; er wolle kein fertiges Urteil liefern, so Lenz, sondern möglichst neutral eine Problematik darstellen. Daß er dabei so manche, sich spannend entwickelnde Geschichte nicht zu Ende erzählt, wird der eine oder andere als bedauerlich empfinden.
Sein Credo legte Lenz schon 1966 ab, als er im "Hamburger Abendblatt" schrieb: "Ein Schriftsteller ist ein Mensch, den niemand zwingt, das zu sein, was er ist; zum Schriftsteller wird man weder bestellt noch berufen, wie etwa ein Richter. Er entschließt sich vielmehr freiwillig dazu, mit Hilfe des schärfsten und geheimnisvollsten Werkzeugs - mit Hilfe der Sprache die Welt zu entblößen, und zwar so, daß niemand sich in ihr unschuldig nennen kann ... Wenn er seine Wahl getroffen hat, sollte er wissen, daß Wörter ,geladene Pistolen sind oder es sein können, und darum erwarte ich vom Schriftsteller, daß er, da er keine äußere Verpflichtung anerkennt, zumindest sich selbst ein Versprechen gibt; ein Versprechen, das er in seiner Einsamkeit ständig erneuert: Es läuft auf die stillschweigende Verpflichtung hinaus, die Sprache zu verteidigen und mit den Machtlosen solidarisch zu sein, mit den vielen, die Geschichte nur erdulden müssen und denen Hoffnungen verweigert werden."
Wer mehr über Siegfried Lenz, sein Leben, seine Bücher erfahren will, der findet eine Fülle von Informationen in der kritischen Biographie, die Erich Maletzke schrieb: Siegfried Lenz, Eine Biographische Annäherung, Klampen Verlag, Springe, 204 Seiten, zahlr. sw Abb., gebunden mit Schutzumschlag, 16,80 Euro.
Siegfried Lenz: Blick in die Dichterklause |
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