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Zu wenig zu spät

 
     
 
Die SPD hat es vorgemacht, jetzt zieht auch Kanzler Kohl nach. Mit ihrer Parteitagsoperette von Leipzig hatten die Sozialdemokraten klargemacht, daß sie in diesem Wahlkampf mehr denn je auf Inhalte zu verzichten gedenken. Mit Hans-Hermann Tiedje nun hat der Kanzler einen Medienprofi und Ex-"Bild"-Chef zu seinem Kampagnenmacher erkoren. Kein Zweifel: Beide Seiten setzen auf große Lettern, wer differenzieren will, wird es schwer haben.

Erst am Wahlabend werden wir wissen, ob Union wie SPD den richtigen Riecher hatten. Möglicherweise navigieren sich beide auch dramatisch vom Wählerwillen und -empfinden weg. Einiges spricht nämlich dafür, daß es die Deutschen, ganz im Gegensatz zur Einschätzung der Wahlstrategen, durchaus genau wissen wollen.

Doch hier liegt das Dilemma gerade der Regierungsparteien. Mit ihren klaren Worten zur Ausländer- und Asylpolitik
etwa hat die CSU zwar den Nerv der Basis getroffen. Doch was nützt das, wenn der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionschef Geißler umgehend mit dem linken Flügel schlägt und kontert, daß Deutschland sehr wohl ein "Einwanderungsland" sei und die Münchener Vorstellungen keine Chance hätten, zum gemeinsamen Programm beider Unionsparteien zu werden?

Die sichere Unterstützung der FDP im Rücken weiß Heiner Geißler, daß er und nicht die Bayernunion sich nach der Wahl durchsetzen wird – egal ob in der derzeitigen Konstellation oder im Falle einer Elefantenhochzeit von Union und SPD.

Was die Glaubwürdigkeit der CSU schwächt, ist jedoch noch mehr die Frage, warum erst jetzt, so kurz vor der Wahl, derart deutlich Position bezogen wird in der zentralen Frage der ungezügelten Zuwanderung. Die Union ist seit bald 16 Jahren an der Regierung. Diese 16 Jahre waren gefüllt mit dem gewaltigsten Asylantenstrom, den Deutschland je sah. Effektiv unternommen wurde letztlich nichts dagegen.

Obwohl niemals mehr als sechs oder sieben Prozent der Asylbewerber als politisch Verfolgte anerkannt wurden, durften auch nahezu alle anderen hier bleiben. Und mittels der Rechtswegegarantie konnten und können abgelehnte Asylbewerber sich auf Kosten der deutschen Steuerzahler jahrelang von Prozeß zu Prozeß schleppen, bevor man sie außer Landes weist. Dort angekommen erlaubt ihnen ihr – in Deutschland weltweit einmaliges – "Grundrecht auf Asyl", sofort ins gelobte Land zurückzukehren und das ganze Verfahren von neuem beginnen zu lassen, und so weiter und so fort.

Das Problem nicht nur der CSU ist es, daß dieser unhaltbare Zustand eben ein alter Hut ist, ebenso wie die ewig verschleppte Steuerreform, die Arbeitslosigkeit, die Kriminalität, die Staatsverschuldung und etliches mehr. Alles sollte schon 1982 "geistig-moralisch" gewendet werden, ist es aber nicht.

Warum soll also ein bislang treuer CDU- oder CSU-Wähler glauben, daß ausgerechnet jetzt alles anders wird, daß in vier Jahren gelingen soll, was die Regierung Kohl in 16 nicht vermochte? Das Auftrumpfen des Linksauslegers Geißler läßt zudem vermuten, daß einflußreiche Führungspersönlichkeiten in der Union eine im besten Sinne konservative Politik gar nicht wünschen, sondern nur deren Wähler.

Um dem mißtrauisch gewordenen Wahlvolk nachvollziehbar zu machen, daß die Union gelernt hat und die "Wende" nun endlich vollziehen will, hätte eine andere Entscheidung not getan. Ein neuer Kanzlerkandidat, eine neue Führungsriege hätten her gemußt, nicht bloß ein neuer Regierungssprecher.

Beobachter der Bonner Szene vermerken jedoch, daß Helmut Kohl es in seiner überlangen Zeit als Parteivorsitzender (seit 1973!) geschafft hat, quasi alle Persönlichkeiten der ersten Garnitur zu erledigen, zuletzt Lothar Späth. Die einzigen, die neben und auch gegen den ewigen Chef ihre eigene Seilschaft erhalten und sogar ausbauen konnten, waren die Parteilinken um Heiner Geißler und Rita Süssmuth. Sie haben vor allem großen Einfluß auf die Programmgestaltung der CDU, wie jetzt angesichts des Streits um die Zuwanderung erneut deutlich wurde.

Es dürfte nicht wenige in der CSU geben, die heute erst recht bitter bereuen, daß der legendäre Franz-Joseph Strauß 1976 doch noch zurückschreckte vor einer Trennung von der CDU und der bundesweiten Ausdehnung der Christsozialen. So jedenfalls wird es der Bayernunion kaum gelingen, sich als eine Art konservatives Korrektiv zur CDU zu empfehlen, nach all den Jahren des gemeinsamen Verschleppens der Probleme.

 
 
     
     
 
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