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Sie sahen beeindruckend aus, die stattlichen jungen Männer in ihren schmucken Uniformen. Groß gewachsen waren sie, und ihre hohe Kopfbedeckung unterstrich ihre Körpergröße noch ein wenig. Die rot-blauen Uniformen und die weißen Gamaschen leuchteten an diesem hellen Sommerabend besonders intensiv. Sie wirkten festlich, dem Anlaß entsprechend, schließlich galt es ein Sommerfest im Rahmen des Festivals Kammeroper Schloß Rheinsberg zu feiern - und doch sahen sie aus wie Wesen aus einer anderen Welt. Und das waren sie letztendlich auch, die Langen Kerls im 21. Jahrhundert.
Die jungen Männer in historischen Uniformen sind immer wieder bei festlichen Ereignissen zu finden, selbst beim Staatsbesuch der britischen Königin Elisabeth II. in Potsdam. Derzeit sind sie im Begleitprogramm zu einer Sonderausstellung im Schloß Königs Wusterhausen zu sehen, die noch bis zum 3. Oktober täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr besucht werden kann.
"Lange Kerls - Muster, Mythos oder Maskerade" ist der Titel dieser Ausstellung, die von der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg (SPSG) und dem Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (Gsta PK) veranstaltet wird. "Wir alle haben ein Bild von den ,Langen Kerls vor Augen: Stattliche Zwei-Meter-Männer, die durch die hohen Grenadiermützen noch größer wirken, mit roter Weste und Hose unter dem preußisch-blauen Rock. Die weißen Gamaschen blitzen beim Exerzieren, Gewehr und Säbel sind exakt ausgerichtet", zeichnet Hartmut Dorgerloh, Generaldirektor der SPSG, das bekannte Bild. Zwischen kurioser Folklore und Sinnbild für preußischen Militarismus bewegen sich heute die Ansichten über die legendären Langen Kerls. Hier sehe man die Herausforderung, die Besucher der Ausstellung zu genauerem Hinsehen zu bewegen und die Klischees auf den Prüfstand zu stellen. Königs Wusterhausen sei der richtige Ort dafür, da hier "die Besonderheiten des späteren ,Königsregiments Nr. 6 ab 1709 ihren Ausgang nahmen". Zu sehen sind Uniformteile, Ringkragen und Waffen, aber auch das Knochenpräparat eines anonymen Langen Kerls, drei lebensgroße Grenadierbildnisse, die aus dem Deutschen Historischen Museum Berlin entliehen werden konnten, und ein von Friedrich Wilhelm I. gestiftetes Abendmahlsgerät für die Militärseelsorge. "Die Auswertung vielfach auch von Bildern und Texten liefert einen Schlüssel zur preußischen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts", so Dorgerloh in der neuesten Ausgabe von Porticus, dem SPSG-Besuchermagazin (erhältlich an den Schloßkassen oder bei SPSG, Allee nach Sanssouci 5, 14471 Potsdam, 3 Euro).
Die Ausstellung sei auch eine Annäherung an die ungewöhnliche Herrscherpersönlichkeit des Soldatenkönigs, die noch immer kaum entschlüsselt ist. Dorgerloh betont, daß Friedrich Wilhelm I. sein Volk keineswegs militarisiert, sondern vielmehr das Heer sozialisiert, es in die Gesellschaft eingegliedert habe, etwa durch den Ausbau der Garnisonstädte. Ursprünglich wurden die Soldaten samt Familie in den Bürgerhäusern der Garnisonstädte einquartiert. Das brachte allerlei Unannehmlichkeiten mit sich, und so ging man in Preußen dazu über, für die Soldatenfamilien zweistöckige Wohnhäuser zu errichten, sogenannte "Casa d armee". Erst im 19. Jahrhundert nahmen die Kasernen den Charakter von abgeschlossenen Bezirken an, in denen Soldaten ohne Familie untergebracht waren.
Ein authentisches Bild von der Anwerbung der Soldaten, ihres Dienstes und des sozialen Milieus, in dem die Königsgrenadiere lebten, erhält man beim Studium der "Kabinettesminüten", einer chronologisch organisierten Sammlung von Abschriften aller Anweisungen, die täglich vom König im Kabinett eigenhändig verfaßt oder diktiert wurden. Jährlich waren es etwa 6.000 Kabinettsordres. In der Zeit von 1728 bis zum Tod des Soldatenkönigs am 31. Mai 1740 hatte man schließlich 21 Bände gefüllt. Jürgen Kloosterhuis, Direktor des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz, hat diese immense Quelle durchgeforstet und die Geschichte der legendären Langen Kerls dokumentiert. Da erfährt man auch, daß dieses Regiment durch die Zusammenlegung zweier verschiedener Truppenkörper, des (Königs) Wusterhausener Großen und Roten Grenadierkorps und des Regiments zu Fuß, entstand.
Die Soldaten wurden anfangs (etwa ab 1714 / 15 bis 1718) willkürlich ausgehoben, also rekrutiert, später ging es geregelter zu und es wurde meist keine Gewalt ausgeübt. Man versuchte es vielmehr mit Überredungskünsten, die sich auch auf die Familie bezogen. Hohe Handgeldzahlungen waren oft überzeugender als große Worte. Leibherren wurden entschädigt, schließlich verloren sie eine kostbare Arbeitskraft. Und selbst Landesherren, die ihre Untertanen "ausführten", erhielten kostbare Geschenke. Am bekanntesten dürfte die Geschichte zwischen Friedrich Wilhelm I. und dem russischen Zaren Peter I. sein. - Der preußische König hatte aus Anlaß des Abschlusses einer Konvention über Pommern und Elbing sowie eines Schutz- und Trutzbündnisses zwischen Rußland und Brandenburg-Preußen im November 1716 dem russischen Herrscher das legendäre Bernsteinzimmer ("welches wir uns schon lange gewünscht haben") und die mit 22 Kanonen bestückte Yacht "Liburnica" geschenkt. Als Gegengaben erhielt der preußische König unter anderem 55 große Grenadiere - "so viel und so groß ich sie in meinen Landen bis dato habe finden können".
Schon zuvor waren Grenadiere aus dem russischen Reich nach Preußen gelangt, etwa 1714, als 80 Mann samt Gewehren und Ausrüstung in Berlin ankamen. Gleichzeitig traf eine Sendung Gewehre, Bajonette, Degen, Portepées und Gürtel für ein Regiment von 1.200 Mann ein, die in Rußland gefertigt worden war. Viele der russischen Soldaten blieben im Lande, auch nachdem Friedrich II. das Königsregiment aufgelöst und auf verschiedene Regimenter aufgeteilt hatte. Er ging davon aus, die Leute wären als Geschenk für immer nach Preußen geschickt worden. Zarin Elisabeth Petrowna, Tochter Peter I., forderte die Männer jedoch zurück - es waren noch 64 Mann, einer sogar mit 34 Dienstjahren. Der Wunsch der Zarin wurde erfüllt, und so en-dete das Kapitel der russischen Riesen im preußischen Heer des 18. Jahrhunderts.
Apropos, Riesen. Die Körpergröße der Langen Kerls wird oft mit der Annahme verbunden, der Soldatenkönig habe sie nur deshalb aufgestellt, um den Gegner abzuschrecken. Die Körpergröße war jedoch notwendig, um die möglichst langläufigen Vorderlader bequem zu handhaben. Man ging davon aus, daß große Männer auch lange Armspannweiten haben. Sie sollten möglichst sechs rheinländische Fuß messen, das waren etwa 1,88 Meter. Die meisten der Grenadiere waren wohl zwischen 1,80 Meter und 1,90 Meter groß; nur wenige werden bis zwei Meter und mehr gemessen haben. Schön sollten sie darüber hinaus sein und ebenmäßig gewachsen, das schlösse auf Gesundheit und somit auf Diensttauglichkeit.
Die Langen Kerls waren auch nach Auflösung des Regiments noch lange ein Begriff, nicht zuletzt weil sie am Hofe Kaiser Willhelms I. die malerische Kulisse in Umzügen und "lebenden Bildern" gaben. Hauspostillen, Schulbücher und Abbildungen auf Tabakdosen und Wandtellern taten das übrige. Vor dem Ersten Weltkrieg noch flößte "der lange Joseph" als "seiner Majestät größter Soldat" auf Reisen nach Rußland und Südamerika den Menschen Respekt ein. Joseph Schippers maß 2,17 Meter, mit Grenadiermütze gar 2,39 Meter und war Flügelmann der königlichen Leibkompanie des 1. Garderegiments zu Fuß. Seit 1990 gibt es die Langen Kerls nun als Traditionsgruppe, als Verein zur Förderung und Pflege der Tradition der Potsdamer Riesengarde ,Lange Kerls e.V. Im 20. Jahrhundert feierte die Kommerzialisierung der Langen Kerls jedoch auch wahre Urständ. So brachte eine Firma ihre Würstchen unter dem Begriff "Lange Kerls" auf den Markt; auf dem Etikett prangte ein Grenadiermotiv. Die Firma gibt s schon lange nicht mehr, das Markenzeichen "Lange Kerls" aber ist geblieben.
Langer Kerl: Ein Angehöriger der Palasttruppe des Preußenkönigs Friedrich Wilhelm I. im Zeltlager |
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