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Es ist nämlich nicht immer die Furcht vor Strafe, mit der man die Menschen in Schach hält und sie daran hindert, Schlechtes zu tun", erkannte Étienne-Louis Boullée 1791 in seiner Abhandlung über Architektur. "Man muß ihnen wirksame Verlockungen anbieten, die sie vom Bösen ablenken. Welcher Art aber könnte eine solche Verlockung sein? National e Spiele. Ja, nationale Spiele. Denn alles, was sich unseren Sinnen anbietet, überträgt sich auf unsere Seele. Das ist ein Prinzip, nach dem die Schauspiele einer Nation ausgerichtet sein sollen. Wenn man so verfährt, dann hat man ohne Zweifel ein wirksames Mittel, die guten Sitten zu formen und zu erhalten." Als Veranstaltungsort für diese Spiele dachte sich Boullée einen Rundbau, in dem 300000 Menschen Platz finden würden, ein gewaltiges Amphitheater, "wo keiner den Blicken der Menge verborgen bleiben kann ... Die Schönheit des erstaunlichen Schauspiels würde von den Zuschauern selbst ausgehen. Sie selbst wären das Schauspiel."
Ob die internationalen Spiele, bei denen Deutschland in 15 Wochen als Gastgeber fungiert, die guten Sitten erhalten oder gar formen, wird sich weisen. Die Fußballweltmeisterschaft (WM) allerdings erfordert Stadien von beträchtlichen Ausmaßen, wenn auch nicht die von Boullée verlangten. So beträgt die Zuschauerkapazität der zwölf WM-Stadien etwa 602800 Sitzplätze, das entspricht einem Schnitt von 50234 Zuschauern pro Stadion.
In jüngster Zeit wurden in Deutschland neue Stadien errichtet, mit zum Teil spektakulärer Architektur, andere wurden umgebaut und modernisiert. Rasenflächen wurden neu angelegt, damit in allen Stadien die gleiche Qualität und das gleiche Bild gewährleistet ist. Einige der Stadien müssen für die Zeit der WM auf ihren Namen verzichten, sollte der auf ein Unternehmen hinweisen, das nicht zu den offiziellen Sponsoren der WM zählt. Aus der "Veltins-Arena AufSchalke" wird dann "FIFA WM-Stadion Gelsenkirchen".
Da hat das Berliner Olympiastadion noch Glück gehabt. Es darf seinen Namen behalten und ist dazu noch grundlegend modernisiert worden. Der Umbau und die komplette Überdachung kosteten 242 Millionen Euro und wurden unter Beibehaltung des Spielbetriebs nach Entwürfen von Volkwin Marg und Hubert Nienhoff vom Architekturbüro von Gerkan, Marg und Partner (gmp) durchgeführt.
"Der Bau von Stadien war für Baumeister von jeher eine der faszinierendsten architektonischen Herausforderungen", schreibt der aus Königsberg stammende und in Danzig aufgewachsene Volkwin Marg in dem prachtvollen Dokumentationsband Stadien und Arenen. "Ihre Mitte ist der Mensch, in seiner großen Masse und als einzelner." Marg zitiert Johann Wolfgang von Goethe, der 1786 in seiner "Italienischen Reise" über Verona schreibt: "Das Amphitheater ist also das erste bedeutende Monument der alten Zeit, das ich sehe, und so gut erhalten! Als ich hineintrat, mehr noch aber, als ich oben auf dem Rande umherging, schien es mir seltsam, etwas Großes und doch eigentlich nichts zu sehen. Auch will es nicht leer gesehen sein, sondern ganz voll von Menschen ... Denn eigentlich ist so ein Amphitheater recht gemacht, dem Volk mit sich selbst zu imponieren, das Volk mit sich selbst zu besten zu haben ... Die Simplizität des Oval ist jedem Auge auf die angenehmste Weise fühlbar, und jeder Kopf dient zum Maße, wie ungeheuer das Ganze sei."
Welten liegen zwischen den Betrachtungen Goethes und den neuen Arenen des 21. Jahrhunderts. Während gmp in Berlin sich sehr am Alten orientieren mußten, hatten sie bei anderen Projekten mehr Freiraum. In der Monographie finden sich zwei weitere Stadien, auf die während der WM alle Augen gerichtet sein werden: das "RheinEnergieStadion" in Köln und die "Commerzbankarena" in Frankfurt am Main, beide aus dem weltweit agierenden Architekturbüro, das einst in Hamburg gegründet wurde. So sind denn auch Bauten in den Golfstaaten, in Nordafrika und vor allem in China zu nennen, die anhand von Plänen und brillanten Farbabbildungen vorgestellt werden. Erläuternde Texte zu den einzelnen Bauvorhaben und ein Abriß über die Kulturgeschichte der Sportstätten runden das Bild ab.
Allen neuen Arenen, sehen sie noch so unterschiedlich aus, ist eines gemeinsam: eine veränderte Selbsterfahrung der Massen. Sie "wird zur selbst bezahlten und nach Kassen getrennten Hingabe an die kollektive Emotion, in orgiastischer Lautstärke, reflektiert von geschlossenen Tribünendächern", meint Marg und zitiert eine böhmische Landsknechtsweisheit: "Wenn die Fahnen flattern, ist der Verstand in der Trompete." Mit den Veranstaltern ist dennoch auf friedliche Spiele zu hoffen. Peter van Lohuizen
Volkwin Marg (Hrsg.): "Stadien und Arenen von Gerkan, Marg und Partner", Hatje Cantz Verlag, Ostfildern, 328 Seiten, 419 Abbildungen, davon 201 farbig, Leinen mit Schutzumschlag, 39,80 Euro |
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