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Die Luft für Kanzler Schröder wird dünner. Das Hauptproblem bei einer halbherzigen und in sich widersprüchlichen Steuerreform, bei der Ökosteuer und der Neuregelung für die 620-Mark-Jobs ist nicht etwa eine kraftvolle Opposition, sondern der eigene Verein. Die Sozialdemokraten haben den Streit als kleinsten gemeinsamen Nenner entdeckt.
Damit hätte so kurz nach der Wahl, dem triumphalen SPD-Sonderparteitag und der glanzvollen Kanzlerwahl niemand gerechnet. Schröders eigene Parteifreunde, etwa NRW-Ministerpräsident Clement und sein niedersächsischer Kollege Glogowski, wollen im Bundesrat gegen den Entwurf der Steuerreform vorgehen. Die bisher gefundenen Kompromißformeln wirken wenig überzeugend. Die Streichung des sogenannten Dienstmädchenprivilegs der steuerlichen Abzugsfähigkeit von Reinigungskosten in den Häusern Besserverdienender dürfte nichts einbringen. In diesem Milieu werden vor allem Schwarzarbeiter angeheuert. In Bonn kursieren bereits neue Kanzlerwitze: "Wie gehts Schröder? Er ist auf dem Weg der Nachbesserung."
Die neue Regierung ließ ankündigen, sie wolle Abschreibungskünstlern das Handwerk legen. Bei erster Lektüre des Lafontaineschen Gesetzentwurfs stellt sich heraus, daß ausgerechnet Besitzer von großen Aktienpaketen auch in Zukunft ohne Einschränkung ihre Dividenden- und Zinseinnahmen durch künstliche Immobilienverluste reduzieren und ihre Steuern auf Null bringen können.
Der grüne Außen-Staatsminister Ludger Volmer spricht sich für die Abschaffung des stehenden Heeres aus. Er übersieht einen jahrtausendealten Grundsatz: Ein Volk, das keine eigene Armee ernähren will, muß bald eine fremde Armee ernähren. Innenminister Otto Schily sagt das Gegenteil von dem, was er tut: Zur Ausländerfrage ist von dem SPD-Politiker zu hören, das Boot sei übervoll. Zugleich bohrt er aber mit der doppelten Staatsbürgerschaft ein großes Loch in die Bootswand. Der Historiker Arnulf Baring meinte, Deutschland sei nicht auf dem Weg in die Berliner, sondern in die "neckische Republik". Schröders Regierung muß nicht mehr um eine 100-Tage-Schonfrist bitten. Um die hat sie sich selbst gebracht. Der Absturz wirkt um so schlimmer, da er nicht auf Attacken der Union zurückzuführen ist. Schäubles CDU ist bis zur Stabübergabe von Waigel an Stoiber praktisch führungslos.
Nur von der FDP wurden bisher spürbare Angriffe geführt. Schröders Ankündigungen für die 620-Mark-Jobs gingen auf den Druck der Liberalen zurück. Dafür hatte der Kanzler auf einmal die SPD-Ministerpräsidenten im Nacken, die die Löcher in den Landeskassen nicht mittragen wollten, weil die Umstellung von Steuerbelastung auf Sozialabgaben den Ländern Verluste bringt.
Der Ökonom Carl-Christian von Weizsäcker hat die fatale Wirkung der auf Konsens ausgelegten Bonner Republik deutlich gemacht. Wenn man hohe qualifizierte Mehrheiten zur Gesetzesänderung (also die ständige Zustimmung des Bundesrates) brauche, dann bleibe meist alles beim alten. Von Weizsäcker: "Im Geschichtsunterricht lernt man vom polnischen Reichstag früherer Jahrhunderte, in dem das Einstimmigkeitsprinzip herrschte. Die daraus resultierende Handlungsunfähigkeit wird für den Untergang des polnischen Reiches verantwortlich gemacht. Deutschland ist unter seiner Verfassung zu einem extrem konservativen Staat geworden." Das Land tue sich zunehmend schwerer mit seinem "Neo-Biedermeier". Was der Ökonom noch auf die Ära Kohl münzte, setzt sich unter Schröder fort.
Denn wie zu christlich-liberalen Zeiten scheint man bei wirtschaftlichen und steuerlichen Aufgaben von Reförmchen zu Reförmchen zu hoppeln. Lieblingsprojekte wie doppelte Staatsbürgerschaft oder Partnerschaften für Homosexuelle lösen den Reformstau nicht auf. "Wo ist Schröder?" fragte unlängst "Der Spiegel". Der Kanzler, der laut Baring lieber das Amt in vollen Zügen genießt als Politik gestaltet, bleibt stumm. "Wo ist Schröder?" Ja, wo?
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