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In diesen Wochen verschickt die Stiftung Deutscher Denkmalschutz Briefe mit der Bitte um Spenden. Sie stehen unter dem Motto "Rettet unsere Kirchen!" Am 29. November aber ist im Lausitzdorf Horno an der Neiße eine Kirche gesprengt worden, ein 500 Jahre altes Gebäude aus Feldsteinen.
Die Kirche war zuvor entwidmet, Turmhaube und Glocken abmontiert worden. Sie sollen in einem neuen Gemeindezentrum in das Ausweichquartier Neu-Horno in der Nähe der Stadt Forst Verwendung finden. Der Grund: Horno muß, wie so viele Dörfer in der Lausitz, der Braunkohle weichen.
Der schwedische Energiekonzern Vattenfall hatte fintenreich zu verhindern versucht, daß das Sprengungsdatum bekannt wurde. Weil die Tricks nicht verfingen, benahm sich das Aufsichtspersonal gegenüber den angereisten Journalisten und Fotoreportern äußerst rüde. Der Abriß einer alten Kirche ist schließlich kein Ruhmesblatt. Erinnerungen an die Zerstörung der Leipziger Uni- versitätskirche und der Garnisonkirche in Potsdam werden wach. Dabei sind die Braunkohlevorkommen, die unter Horno lagern, gar nicht der Rede wert, das Dorf stand lediglich den Abraumbaggern im Wege. Es hätte die Braunkohleförderung noch unwirtschaftlicher gemacht, als sie sowieso schon ist.
Eine qualvolle Tragödie ist damit fast zu Ende. Von den einst 380 Einwohnern Hornos lebt heute nur noch ein Rentnerehepaar in seinem Haus. Zum Anwesen gehört ein Garten mit 100 Obstbäumen. Angesichts zerstörter Nachbargrundstücke fühlen sich die alten Leute wie in einem Kriegsgebiet, trotzdem wollen sie sich gegen die Enteignung bis zum Schluß wehren. Die anderen haben resigniert und sind umgezogen, viele davon nach Neu-Horno. Das Trauerspiel begann 1977, als der Bezirkstag von Cottbus die Abbaggerung beschloß. Schon zu DDR-Zeiten formierte sich Widerstand, soweit er im Rahmen des Staatssozialismus eben möglich war.
1989 appellierten die Bewohner an Erich Honecker, die Zerstörung des Dorfes aufzuhalten. Noch während der Wendezeit wurde eine Bürgerinitiative gegründet, die den kleinen Ort bundesweit bekannt machte. Damals keimten Hoffnungen auf eine Änderung in der Energiepolitik auf. Die DDR war der größte Braunkohleproduzent der Welt gewesen. Der Preis dafür waren Mondlandschaften, die jetzt erst unter hohem Aufwand allmählich rekultiviert werden. Die Umsiedlungsaktionen führten zu Selbstmorden unter alten Dorfbewohnern, was zu DDR-Zeiten aber nur hinter vorgehaltener Hand berichtet wurde. Die SED-Führung war sich der Probleme immerhin bewußt. Sie hoffte auf Ersatz für den landschafts- und kulturzerstörenden Braunkohletagebau durch Energielieferungen aus der Sowjetunion. 1980 aber nahm die Sowjetführung einseitig und über Nacht eine dramatische Kürzung der Erdöllieferung vor. Honeckers eindringliche Bitten blieben ungehört. Die Folge: Der Raubbau an der Natur wurde in den 80er Jahren sogar noch beschleunigt.
In der Heizperiode wurde Braunkohlestaub und -geruch zum Markenzeichen der DDR. Die Schriftsteller Erich Loest und Wolfgang Hilbig haben den Schmutzfilm, der sich bei trübem Winterwetter auf die Städte legte, zur literarischen Metapher für den kollabierenden DDR-Staat erhoben.
Damals wie heute wird die Zerstörung von Naturräumen durch den Tagebau mit wirtschaftlichen Notwendigkeiten begründet. Zwar wird heute die Braunkohle zur Energieversorgung nicht wirklich benötigt, sie muß subventioniert werden, doch dafür ist das Totschlagargument "Arbeitsplätze" in den Vordergrund getreten. Die Industrie argumentierte, der Weiterbestand von Horno würde auch das Kraftwerk Jänschwalde gefährden. Gewerkschaften und Politik schlugen in dieselbe Kerbe. Zunächst war Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) in Sachen Horno seinen üblichen Schlingerkurs gefahren. 1991 hatte er den Bewohnern zugesichert, es würde keine Entscheidung gegen ihren Willen getroffen werden. 1997 beschwor er dagegen die wirtschaftliche Katastrophe, die im Ablehnungsfall eintreten würde. 2000 schien sich eine letzte Chance zu eröffnen, als ein Gericht einen Baggerstop verfügte. Das Urteil hatte jedoch nur aufschiebende Wirkung.
Was im Amtsdeutsch "Entschädigung zum Funktionalersatz" heißt, bedeutet für die Betroffenen den Verlust von Heimat, von Geschichte, von Dorfgemeinschaft, Freiwilliger Feuerwehr, Spielmannszug, Männerchor und Kirchgemeinde. Die Zerstörung Hornos ist auch deshalb so tragisch, weil es zum Gebiet der sorbischen Minderheit gehört und nach 1945 auch viele Vertriebene hier ansässig wurden. Vattenfall betreibt unterdessen Imagepflege und hat eine "Carmen"-Aufführung an der Berliner Lindenoper gesponsert.
Kurz vor der Sprengung in der Mondlandschaft, die einst Horno war: Die Turmhaube der Kirche wurde abmontiert. Der Rest sollte offenbar heimlich beiseite geschafft werden. Foto: pa
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