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Fünfzig Jahre Patenschaft galt es zu feiern, und das in dreifacher Hinsicht, denn am 18. Februar 1955 wurde die niedersächsische Stadt Burgdorf Pate der Stadt Zinten, am 4. April 1955 der Landkreis Burgdorf / Hannover Pate des Kreises Heiligenbeil und am 6. Juni 1955 die Stadt Lehrte Pate der Stadt Heiligenbeil. Am 11. Juni 1955 schließlich war in einem Festakt im Rathaus zu Burgdorf die Patenschaftsurkunde des Landkreises Burgdorf an den Landkreis Heiligenbeil übergeben worden.
Die diesjährigen runden Jubiläen wurden am 11. Juni standesgemäß im Burgdorfer Schloß gefeiert, dem "Bentley unter den Schlösser n, die der Region gehören", um ein plastisches Bild des Burgdorfer Bürgermeisters Alfred Baxmann zu verwenden.
Klein, aber fein war der durch die Region Hannover eingeladene handverlesene Kreis der Teilnehmer. Ausschließlich aktive und ehemalige Funktionsträger waren geladen, paritätisch 25 der niedersächsischen Paten und 25 der ostdeutschen Patenkinder. Wer denn das Glück hatte, zu den Auserwählten zu gehören, ließ sich die Teilnahme nach Möglichkeit nicht nehmen. Die wenigen Absagen waren persönlich begründet, keine politisch.
Abgesehen vom musikalischen Rahmenprogramm, das von der Pianistin Lioudmila Gouloiants und dem Violinisten Michal Trojanowski von der Musikschule Ostkreis Hannover mit den geschmackvoll ausgewählten Klassikern "Fantasie impromptu cis-moll" von Fréderic Chopin sowie "Liebesfreud" und "Liebesleid" von Fritz Kreisler gestaltet wurde, bildete die Begrüßung durch den Burgdorfer Bürgermeister Alfred Baxmann den ersten Programmpunkt. Die Worte des aufgeräumten, gut gelaunten Stadtoberhauptes und Vertreters der Patenseite waren ebenso launig wie freundlich gegenüber den Ostdeutschland. Wie eine Verfassung sei auch eine Patenschaft von dem Konsens abhängig, daß sie erhaltenswert sei, und es gäbe genügend Menschen, denen der Erhalt dieser niedersächsisch-ostdeutschen Patenschaft wichtig sei. Niedersachsen und Ostdeutschland seien sich nicht wesensfremd, und die Patenschaft habe sich zu einer Partnerschaft entwickelt, die auch für die Patenseite eine Bereicherung darstelle. Baxmann beendete seinen Beitrag mit einem Griff in die Geschichte: "Bleiben Sie Heiligenbeiler!" habe Adenauer 1957 beim Kreistreffen der Heiligenbeiler in Burgdorf gesagt, und wenn man heute hinzufüge: "Bleiben Sie uns gewogen!", sei die Sache rund.
Auch der Festredner des Tages, Dr. Michael Arndt, Regionspräsident der Region Hannover, des aktuellen Rechtsnachfolgers des Landkreises Burgdorf, äußerte sich positiv über die Patenschaft. So bezeichnete er sie als gut, lebendig und überaus gesund. Es gäbe keinen Grund, sie in Frage zu stellen. Ausdrücklich bekundete der Regionspräsident "die enge Verbundenheit mit den ehemaligen Einwohnerinnen und Einwohnern unserer Patenkommunen" und man werde sich auch "in Zukunft für die Patenschaften einsetzen".
Ungeachtet dieser freundlichen Worte war die Festrede dieses Sozialdemokraten ambivalenter als das Grußwort seines ebenfalls sozialdemokratischen Vorredners. So gab er klar zu verstehen, daß für ihn die Daseinsberechtigung der Patenschaft in entscheidendem Maße darauf beruhe, "daß die Kreisgemeinschaft Heiligenbeil nicht stehengeblieben" sei, "vielmehr neue Wege beschritten" habe, "im Sinne echter Völkerverständigung den Kontakt zu den heute in den polnischen und russischen Teilen des ehemaligen Kreises Heiligenbeil lebenden Menschen sowie zu offiziellen Stellen gesucht und gefunden" habe. Er stellte klar, daß in seinen Augen, "Wiedergewinnung der Heimat in ihrer ursprünglichen Form, mit ihren Dörfern, mit ihrem Brauchtum und ihrer Kultur ... schlichtweg nicht möglich" sei, die "ursprüngliche Heimat" der Vertriebenen "nicht mehr in Deutschland" liege, "heute andere Menschen das Eigentum an ihrem Grund und Boden oder dem ihrer Eltern" besäßen und es keinen Raum für Entschädigungsansprüche geben dürfe.
Unumwunden stellte Arndt fest, daß viele Heiligenbeiler in diesem Punkt eine etwas andere Ansicht vertreten. Gleichzeitig äußerte sich der Regionspräsident sehr anerkennend über die Leistungen des Kreisvertreters und brachte sein Bedauern zum Ausdruck über dessen angekündigtes Ausscheiden aus dem Amte kommendes Jahr.
Kaum daß der Festredner diesen punktuellen Dissens glaubte feststellen zu können, kam Siegfried Dreher ihm in eben diesem Punkte entgegen. In seiner Ansprache, die auf Arndts Festrede folgte, sagte er wörtlich: "Ostdeutschland bleibt ... durch Verträge für immer abgetrennt." Diese Feststellung ist bemerkenswert, denn man muß weder "Revanchist" sein noch dem Vertragsbruch das Wort reden, um feststellen zu können, daß Verträge ein Werk von Menschenhand sind und Historiker ihre Halbwertzeit in Jahrzehnten, bestenfalls Jahrhunderten messen. Ganz im Sinne seines Vorredners dürfte auch Drehers Feststellung gewesen sein: "Ohne Kriegsbeginn 1939 keine Vertreibung."
"Liebe und Heimat" lautete das Motto, unter das Siegfried Dreher seinen Beitrag gestellt hatte. Er begann mit den besinnlichen Worten: "Der deutsche Sprachrat hat im vergangenen Jahr einen besonderen Wettbewerb auf den Weg gebracht. Durch ihn sollte das schönste deutsche Wort gesucht und gefunden werden. Tausende von deutschsprachigen Menschen aus aller Welt haben sich mit Vorschlägen an dem Wettbewerb beteiligt. Es bildeten sich zwei Spitzenreiter heraus. Es waren die beiden wunderbaren Worte: Liebe und Heimat. Es ist kein Zufall, daß ich die Erwähnung dieses Wettbewerbs an den Anfang meiner heutigen Ausführungen stelle. Bei den Worten Liebe und Heimat habe ich in der Tat unmittelbar an jene unvergängliche Liebe zur Heimat gedacht, für die die Angehörigen der Kreisgemeinschaft Heiligenbeil seit Jahrzehnten einstehen. Und dies nicht nur einmal jährlich im Rahmen unseres Kreistreffens hier in Burgdorf. Diese Form der Heimatliebe ist wohl einzigartig zu nennen, 60 Jahre nach Flucht und Vertreibung unverbrüchlich zu den Geburtsstätten im Osten zu stehen."
Es folgte eine bewegende Schilderung der Entwicklung von der Flucht über die Aufnahme im Westen bis zur Übernahme der Patenschaft. Eingehend wurden anschließend diese sowie die Personen auf Paten- wie Patenkindseite, die an ihr mitgewirkt und sich um sie verdient gemacht haben, namentlich gewürdigt. Nach dem Dank an ausdrücklich alle Paten schloß Siegfried Dreher seine Ausführungen mit den Worten: "Bleiben wir gemeinsam der Vergangenheit verbunden, der Gegenwart verpflichtet und der Zukunft zugetan."
Dem musikalischen Ausklang folgte ein formloses, geselliges Beisammensein in gemütlicher Runde.
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