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Als wir am Abend Abschied vom heimatlichen Ansbacher Hafen nahmen, herrschte im erst zum Teil gefüllten Minibus eine ungewöhnlich ruhige, anheimelnde Stimmung. Man wappnete sich mental für das vor einem stehende Unternehmen "Ostdeutschland". Wird wohl der "Reiseveranstalter", der uns ein schwammiges, unklares Bild vom Mysterium Ostdeutschland vorschoß, seinen Versprechungen gerecht werden? Pures Interesse, Fahrtenlust oder natürlich ostdeutsche Wurzeln führten insgesamt neun junge Menschen zusammen, die für eine Woche rund 80 Kilometer auf der Kruttinna paddeln wollten. Die Anreise führte uns über die Hauptstadt Berlin, die Marienburg, Schloß Schönberg und das marode Schloß Finckenstein. Hier überkamen selbst unserem mitgereisten Nachfahren der Familie Finckenstein kalte Schauer. Es war sein erster Ostdeutschlandaufenthalt.
Wo immer wir die Füße auf den Boden setzten, umwehte uns ein Hauch ostdeutscher und deutscher Geschichte. Wenn man sie doch nur weiterschreiben könnte. Deutlich erkennbar wird von polnischer Seite versucht - meist durch kirchenähnliche Bauten - die deutschen Elemente des Landes zu zersetzen. Aber noch finden wir die Spuren!
Im masurischen Wigrinnen angekommen schlugen wir müde unsere Zelte auf, gingen baden und sangen bei Gitarrenklang in der herrlichen Sommernacht unsere Lieder.
Der erste Seetag begann mit dem Verladen der Überlebensausrüstung samt Nahrungsmitteln und anderer als notwendig erachteter Fracht in die Boote. Wer von Logistik bisher keinen blassen Schimmer hatte, der mußte nun kreativ werden. Nach der Packorgie, die die Boote nicht unbedingt seefester gemacht hatte, konnte es losgehen.
Anfangs hatte das Fortkommen im Fluß starke Ähnlichkeit mit dem Staken, und da uns die Sonne wie lange nicht mehr hold war, ließen wir zudem noch ein Menge Zeit beim entspannenden Treibenlassen auf dem eindrucksvollen Fluß. Es erwies sich, daß wir recht daran getan hatten, unser Tagesziel möglichst niedrig zu stecken. Obwohl dieses Fleckchen Erde touristisch noch relativ unerschlossen scheint, tummeln sich dort mancherorts Horden junger, polnischer Jugendgruppen.
Am Abend suchten wir uns eine Bleibe, ja eigentlich nur einen kleinen natürlichen Schutz. Das erwies sich als gar nicht so leicht. Der Magen brummt und wir müssen nolens volens einige für die Nacht vorgesehene Plätze links liegen lassen, da wir uns ungerne im Müll zur Ruhe legen möchten. Doch dann wies uns die Sonne mit ihren Strahlen auf ein wunderschönes, unbeflecktes Stückchen Erde, auf dem wir gleich unsere Zelte aufschlugen, um dann bei Gesang, Diskussion und ostdeutschen Geschichten das wohlverdiente Abendbrot zu uns zu nehmen.
Die Nacht - so erholsam sie war - endete jäh mit dem Bersten der Kiefern über unseren Zelten. Ein Gewitterregen setzte ein, der uns erst rasch das nötigste zusammenpacken und im Folgenden aneinander kauern ließ. Nun saßen wir fest. Nachdem dann auch noch polnische Forstreiterei uns das letzte warme Zelt abzubauen aufforderte, mußten wir uns gänzlich dem Regen ausliefern.
Pudelnaß traten wir die Weiterfahrt an. Man verspürte nicht mal Lust, die anderen Boote ins Schilf zu bugsieren oder die Wasserschlachten vom Vortag weiterzuführen. Sieben ganze Stunden hatte uns der Regen gekostet. "Ob wir heute unser Tagesziel noch schaffen?", lautete die uns alle bewegende Frage. Soviel Schönheit uns auch die Flußlandschaft bescherte - die in der Mitte unseres Flaggschiffes hoch oben thronende Elchschaufel schlackerte jetzt naßschlaff im Wind. Wir mußten weiter, bis endlich ein geeigneter Rastplatz gefunden war. Spannung - Hoffnung - Da! Endlich sahen wir eine kleine Inselgruppe inmitten des langen Muckersees. Um jetzt den besten Platz zu finden, teilten wir uns auf. Nach der Erkundungsfahrt auf dem See wieder vereint, beschlossen wir, die linke Insel zu nehmen. Meine Güte, endlich raus aus den nassen Klamotten, die restlichen trockenen über und dann schleunigst ans Lagerfeuer! Umringt von dampfenden Textilien ließen wir uns die von unserem ältesten Paddler gefischten Flußmuscheln schmecken. Der Tag hatte genug Kräfte gezehrt und ließ uns bald in die Zelte verschwinden.
Voller Elan stachen wir anderntags in See. Die Wolkendecke riß nun schon öfter einmal auf und wir sahen es als gutes Zeichen, daß endlich unsere Fahne wieder aufrecht im Wind stand. Schon bald war alles wie am ersten Tag: Wasserschlachten bisher ungeahnten Ausmaßes setzten ein, man verbündete sich, brach die "Bündnisse" je nach taktischer Situation, trieb einander ins hohe Wassergras und schaufelte Wasser in die Boote - nur der eine Tag Wasserschlachtpause zog solche Konsequenzen nach sich. Kleine Verschnaufpausen boten uns hier diverse Schleusen; und auch hier packten wir sofort unsere Angeln aus und prüften, ob trotz der stellenweise sehr leergefischten Flußteile Petri ein Auge zudrückt.
Einfach ein herrliches Gefühl, mit den Beinen im erfrischenden Kruttinnawasser die Seele baumeln zu lassen, fernab jeden Motorgeräusches, fernab jeden Zeitdruckes und jeder Hektik! Dennoch mußten wir langsam einen Zeltplatz finden, es dunkelte ja schon. Rechtzeitig gelangten wir an einen passenden Ort, an dem sofort die Angeln ausgeworfen, die erneut nassen Kleider zum Trocknen aufgehängt und ein Lagerfeuer angeschürt wurden. Wir hatten sogar Würste gekauft, bei deren Anblick uns das Wasser im Munde zusammenlief. Daß wir Fettschläuche vor uns hatten, konnte man ihnen noch nicht ansehen. Erst das Zubeißen ließ diese weit spritzend zerplatzen. Nur wenige kamen ungeschoren davon: Zwei unserer Mitfahrer bekamen gleich, ein dritter am nächsten Morgen, Magenprobleme. Mit solch zersetzenden Maßnahmen hatten wir nicht gerechnet. Der dritte Tag ging zur Neige während die verschont gebliebenen jungen Ostdeutschland solange klassischer ostdeutscher Literatur lauschten, bis man gemeinsam auf den Geburtstag unseres ältesten "Mädels" anstoßen konnte.
So schön der lange Sommerabend, so überwältigend die von Sternschnuppen erhellte Nacht auch war, am nächsten Tag hatten wir das größte Stückchen Weges zu bewälti-
gen. Trotz morgendlicher Frühe hatten wir einen Entschluß zu fassen: Wir hatten die Wahl zwischen schneller Paddeln und dafür noch einen langen Tag durch das Land zu fahren oder aber den Fluß bis zu unserem Ziel noch gemächlich zu genießen, dafür aber weniger Zeit für das Land zu haben. Die "Wahl" fiel deutlich zugunsten von "Laßt uns mehr von Ostdeutschland sehen!" aus. Wir legten los, was das Zeug hielt. Da wir jetzt einen "Wurstkranken" hatten, ging alles noch mehr in die Arme.
Die Kräfte waren schon fast verbraucht, als man in den eindrucksvollen Beldahnsee einbog. Scheinbar war unser Jüngster derart entkräftet, daß er inmitten des weiten Sees lauthals um Hilfe quäkte ... und prompt hielt ein Motorboot auf uns zu. Ein Haufen Jungens bot uns seine Hilfe an. Da zögerten wir keinen Augenblick, fingen die Leinen auf und ab ging die Post. Mit einer für unsere Paddelboote nicht bekannten Geschwindigkeit tuckerten wir gemütlich und bester Stimmung in den Wigrinner Bootshafen ein, wo wir zuallererst die Boote ausräumten und dann schleunigst eine echte Dusche genossen. Wie neue Menschen versammelten wir uns nach alter Tradition in einer Schlußrunde, in der man den Tag Revue passieren läßt.
Nach einem ausgiebigen Frühstück packten wir unsere Fahrzeuge, um auf dem Heimweg noch mehr vom Land zu sehen zu bekommen. Zuerst statteten wir dem alten Phillipponenkloster in Eckertsdorf einen Besuch ab, es folgten im Herzen Masurens Lötzen mit seiner "Festung Boyen", Nikolaiken, Schloß Kleinort, der Ort des "Carol" und Heiligelinde. Von Allenstein aus ging es weiter nach Sauerbaum, wo wir uns einer BJO-Maßnahme anschlossen. Vor Ort sanierten wir gemeinsam mit anderen BJO lern einen alten Gedenkstein aus dem Ersten Weltkrieg. Nachdem dort nach zweitägiger Unterstützung ein großer Teil der Arbeit verrichtet war, trafen sich alle dort Befindlichen, um uns Paddler zu verabschieden. Dieser vollendete Ausklang ließ uns weniger schweren Mutes die Heimreise antreten.
Doch nicht genug der Erlebnisse. In Berlin empfing uns noch eine BJO-Familie, die uns bei Kaffee und Kuchen die selbst gestaltete Stadtführung versüßte. So, nun aber ging es endgültig heim. Die Fahrt eignete sich gut, das Erlebte überdenken und erfassen zu können. Wie schnell gingen diese Tage wieder vorbei? Kaum hatten sie angefangen, fuhr man zurück. Ein furchtbarer Zustand, gegen den sich nur eines unternehmen läßt: Wieder hinfahre |
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