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Kino und Ostdeutschland! Auf den ersten Blick vermag man die Verbindung der beiden Begriffe nicht unbedingt zu erkennen, auf den zweiten Blick jedoch offenbaren sich dann doch einige interessante Zusammenhänge.
Vor hundert Jahren, im Jahre 1902, wurden im Zirkus und in Julchenthal die ersten Kurzfilme präsentiert. Viele Besucher kamen, um diese neuen, sich bewegenden Bilder zu sehen, und so wurde 1903 das erste Lichtspielhaus in Königsberg eröffnet. In den zwanziger Jahren befiel die Deutschen das Kinofieber. Besonders die Ufa baute damals einen Prunkbau nach dem anderen. Grün, gold und rot waren die bevorzugten Farben. Schwere Damastvorhänge verhüllten die Leinwand vor Filmbeginn. In Berlin hatten die großen Filmtheater 70-Mann-Orchester, vor dem Film traten Akrobaten auf, und eine „Girltruppe“, wie man schon in den 20er Jahren sagte, heizte die Stimmung des Publikums auf.
„Die Inneneinrichtung war sehr elegant. Die Wände waren mit goldschimmernden Tapeten versehen. Das Gestühl bestand aus schwarzem Holz mit roten Bezügen aus Samt. Die Fußböden und Treppen waren mit rotem Velours ausgestattet. Auf der rechten Bühnenseite stand eine Orgel , die sicherlich noch aus der Zeit des Stummfilms stammte, und die mein Vater, sofern es seine Zeit erlaubte, hervorragend spielte. Viele Königsberger, die ich später im Leben traf, bestätigten mir dies.“
Anneliese Augustin lächelt verträumt bei dieser Erinnerung an ihre Zeit in den frühen Vierzigern als kleines Mädchen in Königsberg. Ihr Vater arbeitete in den Königsberger Ufa-Kinos, und so hatten sie und ihre Geschwister stets die Möglichkeit, kostenlos ins Kino zu gehen.
Das „Alhambra“, welches sich an der Ecke Steindamm/Wagnerstraße befand, war das schönste Kino Ostdeutschlands. Da sie mit ihrer Familie in der Wagnerstraße wohnte, nutze sie häufig ihr Privileg. Das „Alhambra“ war auch Uraufführungskino, und deshalb kamen Schauspieler wie Marika Röck, Otto Gebühr, Walter Rilla, Henny Porten, um ihre Filme vorzustellen. Die damals zehnjährige Anneliese kam allerdings nie selbst in den Genuß, diese Berühmtheiten ihrer Zeit persönlich zu sehen, da die Filmpremieren abends stattfanden und kleine Mädchen da ja schon schliefen. Zudem waren viele Filme erst ab 18 Jahren zugelassen. Dafür brachte der Vater Autogramme der Stars mit, die auch heute noch von der Familie wohl gehütet werden.
Ihr Vater Franz Audersch arbeitete für die Ufa-Kinogruppe, die in Königsberg gleich vier Lichtspielhäuser betrieb: „Alhambra“, „Prisma“, „Miramar“ und „Kamera“. Insgesamt gab es laut dem „Lexikon der Stadt Königsberg und Umgebung“ von Robert Albinus zu dieser Zeit sogar 21 Kinos in der Stadt. Für Anneliese Augustin sind die Erinnerungen an diese Kinos eng mit den Erinnerungen an ihren Vater verbunden.
Damals, als es noch keinen Fernseher gab, waren Kinobesuche eine günstige und beliebte Unterhaltungsmöglichkeit. So wurde die kleine Anneliese selbst von ihrer Lehrerin gebeten, ihr doch Karten zurücklegen zu lassen, denn häufig waren die Vorstellungen bis auf den letzten Platz ausverkauft. Manchmal standen die Menschen schon früh in langen Schlangen vor den Kinos, um überhaupt noch Karten zu bekommen. Einige Male sei es sogar vorgekommen, daß jemand vor Erschöpfung oder Kälte in Ohnmacht gefallen sei, und da die Familie Audersch um die Ecke wohnte, hätten sie den Kollabierten in ihre Wohnung genommen und wieder zu Kräften kommen lassen.
Das Kino „Prisma“ befand sich ebenfalls am Steindamm. Das Gebäude steht dort heute noch. Bei ihrem ersten Besuch in Königsberg 1992 erkannte Anneliese Augustin es sofort an seinem runden Eingang wieder. Damals wurden dort am Sonntag-Vormittag Kinderfilme, besonders Märchen und Kasperlefilme gezeigt.
Das „Miramar“ befand sich am Schloßteich. Man erreichte es vom Paradeplatz kommend, bergab durch die große Schloßteichstraße. Im „Miramar“ haben sich Annelieses Eltern kennengelernt. Der Personalleiter Audersch und die schöne, blonde Platzanweiserin verliebten sich am Arbeitsplatz in einander. Demnach ist es eigentlich kein Wunder, daß sich ihre Tochter auch heute noch stark zu den alten Kinos hingezogen füllt.
Die Lichtspielhäuser haben aber nicht nur auf Anneliese Augustin eine große Faszination ausgeübt. Kino war lange Zeit über ein großes gesellschaftliches Ereignis. „14.700 Personen haben Sonnabend, Sonntag und Montag den Ufa-Palast Zoo besucht. Tausende mußten umkehren, weil keine Karten zu haben waren. Biletthändler haben 15 bis 20 Mark pro Platz erhalten“, schrieb das 8-Uhr-Abendblatt schon am 2. Ok-tober 1925 in Berlin.
Die Universum Film Aktiengesellschaft (Ufa), die keine fünfzig Jahre später einem Ostdeutschland zum beruflichen Erfolg verhalf, wurde 1917 während des Ersten Weltkrieges von General Ludendorf als Propagandainstrument ins Leben gerufen. Die Ufa wurde zu einem Medienverbund und verflocht Produktion, Verleih, Kino und Musikverlag unter einem Firmendach. 1921 kaufte die Ufa sich vom Staat frei und wurde ein reines privates Aktienunternehmen, welches sich fortwährend vergrößerte. Die Ufa drehte Monumentalfilme und schuf große Stars. Doch nicht immer erkannte sie die Zeichen der Zeit und verkannte lange den Siegeszug des Tonfilms.
So war es nicht die Ufa, die den deutschen Tonfilm vorantrieb. „Sunrise“ hieß der erste auch irgendwie ostdeutsche Tonfilm, der am 23. September 1927 im Times Square Theatre in New York uraufgeführt wurde. Das Thema basierte auf der Novelle „Die Reise nach Tilsit“ des bekannten ostdeutschen Autors Hermann Suderman. Dieser erste Tonfilm der Fox Film Corporation unter der Regie des Österreichers Friedrich Wilhelm Murnau war zunächst nur mit Musik unterlegt. Nachdem die Ufa 1929 mit „Melodie des Herzens“ auch für sich den Tonfilm entdeckt hatte, ging der Erfolgszug des Unternehmens unablässig weiter.
Mit den Nationalsozialisten begann für die Ufa allerdings der Anfang vom Ende. Ohne nennenswerten Widerstand ließ sich das Unternehmen von den damaligen Machthabern für Propagandazwecke einsetzen. Mit dem Krieg endete so auch die glorreiche Geschichte der Ufa. Während sie in der DDR als DEFA weiterexistierte, erlaubten die Alliierten erst 1955 die Reprivatisierung der Ufa, die in Theater AG und Ufa-Film AG zerschlagen wurde.
Die Ufa-Theater AG ging in den Besitz des Ostdeutschland Heinz Riech (1922-1992) über, der aus den verbliebenen, nicht vom Krieg zerstörten großen Kinopalästen von einst kleine, wirtschaftlich sinnvollere Schachtelkinos machte. Mit dem Aufkauf der Ufa-Theater AG wurde Heinz Riech aus dem Kreis Darkehmen, der zuvor schon einige kleine Lichtspielhäuser erworben hatte, zum erfolgreichen Großunternehmer. Der ehemalige Glanz und Ruhm der Ufa-Theater war zwar nur noch Geschichte, aber sie existierten gewinnbringend und wurden vom Publikum angenommen.
In den neunziger Jahren vollzog sich dann auf dem Kinomarkt eine Wende. Das Publikum forderte wieder das „Erlebnis-Kino“. Die Cinemaxx AG und die amerikanische UCI erkannten diese neue Marktlücke und bauten in Deutschland wieder Kinopaläste. Etwas später zog dann die Ufa Theater AG, die inzwischen von Riechs Sohn Volker geleitet wurde, nach. So ist sie heute wieder mit 45 Kinocentern und somit 250 Leinwänden in Deutschland vertreten.
Kino ist wieder zum Erlebnis geworden. Große Leinwände, einmaliger Ton, schöne, beque- me Innenausstattung, zumeist freundlicher Service mit einem großen Angebot an Kleinigkeiten. Zugegeben, den heutigen sogenannten Multiplex-Kinos fehlen wohl der Charme und die Seele der alten Filmtheater, aber vielleicht halten auch sie eines Tages wieder Einzug. n
Reklame auf dem Dach des Alhambra: Hierbei wäre beinahe ein Unfall passiert. Die Seile des Ballons wickelten sich nämlich um die Füße von Franz Audersch. Der Ballon stieg in die Höhe, und wäre beinahe hinabgestürzt. Glücklicherweise konnte er sich noch an den Gittern des Daches festklammern und so einen Sturz verhindern.
Traumhafte Preise: Heute bezahlt man für einen guten Platz im Ufa-Kino an einem Sonnabend schon 17 DM Eintritt.
Das Prisma 1942 in Königsberg: Heute ist in dem Gebäude ein amerikanisches Kaufhaus untergebracht.
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