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Altes Eisen? Wehrt Euch

 
     
 
Menschenverachtend - skandalös - unverantwortlich: so einhellig war das öffentliche Echo auf die (Schnaps-)Idee der Professoren Breyer und Wiemeyer, Menschen über 75 sollten keine teuren Behandlungen mehr gewährt werden. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt sprach zu Recht von "Geisterfahrern", ihr Kontrahent Horst Seehofer nannte den Vorschlag "verrückt", und Bundesärztekammer-Präsident Jörg-Dietrich Hoppe fühlte sich "an Euthanasie erinnert".

Deutschlands Ober-Arzt aber fand außer starken auch nachdenkliche Worte: Diese Diskussion "zeigt, in welcher ethischen Schieflage wir uns bereits befinden". Das ist in der Tat das eigentlich Gefährliche: Die moralische Verkommenheit hat sich in unserer Gesellschaft bereits so weit festgesetzt, daß die Empörung der Politiker und der "gesellschaftlich relevanten Kräfte" wohl nicht allzu lange vorhalten wird. "Beim ersten Mal, da tut s noch weh", wie einst Hans Albers sang. Da geht noch ein Aufschrei durch das Land. Aber wenn erst einmal der Damm (sprich: das Tabu) gebrochen ist, werden wir nicht lange warten müssen, bis die nächsten "Denkmodelle" kommen. Vermutlich etwas moderater, etwas weniger radikal: statt mit 75 vielleicht erst mit 80, statt jeglicher teuren Behandlung vielleicht nur die ganz teuren Operationen. Dann wird der Aufschrei schon nicht mehr so laut sein, dann werden die Beschwichtiger kommen: Alle müssen Opfer bringen, und wenn die Mittel so knapp sind, daß nicht mehr jeder alles bekommen kann, dann muß eben selektiert werden.

Was das in der Praxis bedeutet, beschreibt der Chef der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg, Michael Späth, so: erst Warte- listen, dann Auswahl, und dann wird der 40jährige Familienvater eben dem 75jährigen Rentner vorgezogen
. Machen wir uns nichts vor: Das ist zum Teil schon heute bittere Realität! So wird unser Volk gespalten in solche, die für bestmögliche ärztliche Betreuung zu alt (oder zu arm) sind, und solche, denen die "Gnade der späten Geburt" den Zugang zu den Segnungen des medizinischen Fortschritts öffnet.

In eindringlichen Worten erinnert Holger Dohmen im Hamburger Abendblatt daran, daß eine Gesellschaft auch danach zu beurteilen sei, wie sie mit ihren Alten umgeht. Diese Wahrheit gilt übrigens nicht nur, wenn es darum geht, Kranke davor zu schützen, von selbsternannten "Halbgöttern in Weiß" quasi zum Tode verurteilt zu werden. Wie sieht es denn im Arbeitsleben aus? Ab 50 gehört man zum "alten Eisen", ab 55 wird man - mit staatlicher Förderung - in den Vorruhestand "entsorgt", wer in diesem Alter arbeitslos wird, muß sehen, wie er sich bis zur (um jährlich 3,6 Prozent verkürzten) Rente durchkämpft. Die in Schröders Agenda 2010 wie in anderen Reformprojekten vorgesehenen Änderungen bei Arbeitslosengeld und -hilfe belasten weit überwiegend die Älteren. Auch der im Prinzip richtige Ansatz, wegen der demographischen Entwicklung die Gesamt-Lebensarbeitszeit zu verlängert, geht einseitig in eine Richtung: Anhebung des Rentenalters auf 67, ohne daß für zwei Jahrgänge auch zusätzliche Arbeitsplätze da wären. Daß man die Lebensarbeitszeit auch verlängern könnte, indem man durch straffere Aus- bildungs- und Studienregelungen das Berufseintrittsalter absenkt und dem international üblichen annähert, davon ist in der ganzen Reformdebatte nichts zu hören. Statt des ständigen Jammerns über die angeblich unzumutbare Belastung der Jungen sollten wir uns dagegen wehren, daß am Ende doch immer die Älteren belastet werden. Oder ist unsere ethische Schieflage schon so weit fortgeschritten, daß uns das nichts mehr ausmacht?
 
     
     
 
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