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Die Frage harrt noch immer der Antwort: Was haben die Menschen aus der Naturkatastrophe in Südostasien gelernt? Einige Antworten sind mittlerweile klar, zum Beispiel: Ein Frühwarnsystem muß her gegen Tsunami-Gefahren in der Großregion. Das bieten die Deutschen an.

Überhaupt die Deutschen. Sie sind die Gutmenschen. Es gibt in der Tat viele gute Menschen, die als freiwillige Helfer oder als Soldaten, Ärzte und Experten großartige Dienste an den Opfern der Katastrophe leisten. Und auch die 500 Millionen Euro, die Deutschland für Hilfe und Wiederaufbau bereitzustellen versprochen hat, hält jeder zweite Bundesbürger (54 Prozent der Bevölkerung
) für "angemessen" und nur eine Minderheit von 34 Prozent für "zu hoch".

Aber über die Politiker breitet man besser den Mantel des Schweigens. Sie konnten der Versuchung nicht widerstehen, die Katastrophenhilfe auch für innen- und parteipolitische Spiele zu mißbrauchen. Es war nicht nötig, eine internationale Auktion um den Titel der größten Helfernation zu starten. Das um so weniger, als der größte Teil der Hilfe, die Verarbeitung der millionenfachen psychischen Verletzungen, noch bevorsteht. Die Seelen beben immer noch.

Der Sachschaden ist relativ leicht reparabel. Die Zerstörung war ja gerade deshalb so total, weil an den Stränden nur wenig stabile und wertvolle Gebäude standen. 80 Prozent der Fischereiflotte an Sri Lankas Küste sind am 26. Dezember von den ungeheuren Fluten weggespült worden - an die 23.000 Schiffe. Jeder Fischer benötige, so die Schätzungen, ungefähr 2.000 US-Dollar (1.530 Euro) für ein neues Boot und Zubehör. Damit wäre die Existenz einer ganzen Familie vorläufig gesichert.

Die Hilfe dafür ist plan- und machbar. Ganz anders verhält es sich mit den menschlichen und seelischen Schäden. Indonesien, Sri Lanka, Indien und Thailand traf es am härtesten. Die Zahl der Todesopfer in diesen Ländern liegt weit über 200.000, davon 120.000 allein in Indonesien. Rund eine halbe Million Menschen erlitten Verwundungen, etwa fünf Millionen Menschen fehlt die Grundversorgung. Nach Schätzungen sind 40 Prozent der Toten des 26. Dezember Kinder, und viele der Überlebenden haben ihre Eltern verloren. Ihnen zu helfen ist eine Aufgabe, die unter anderem den Mutter-Teresa-Schwestern anvertraut wurde. Hunderte von Spezialisten sind zusätzlich vor Ort, um Kinder und Erwachsene auch psychologisch zu betreuen. Bedrängende Schuldgefühle, Depressionen und Selbstmordgedanken herrschen unter den Überlebenden.

Auch UN-Hilfskoordinator Jan Egeland, dessen Organisation sich nicht gerade mit Ruhm bekleckerte (im Kosovo gelangten Menschenhandel und Prostitution unter der Ägide der UN zu ungeahnter Blüte) sprach von den psychologischen Traumata und menschlichen Tragödien. Für viele Überlebende habe das Leben seinen Sinn verloren, nachdem sie auf einen Schlag alles verloren hätten. Für solche Menschen sei es ungemein schwierig, in ein normales Leben zurückzukehren. Zu sehr stünden sie im Banne des Schocks, als alles von ihnen Erbaute sich in nichts auflöste. Seitdem scheine ihnen "jede Anstrengung sinnlos".

Ein Projekt der "Voluntary Health Association of India" nach dem Erdbeben von Latur 1993 zeigt die Bedeutung der psychologischen Hilfe nach Naturkatastrophen: 89 Prozent der Überlebenden litten an Depressionen, 74 Prozent an Bewußtseinsstörungen - eine Folge von Streß. 28 Prozent wurden von Panikattacken befallen, 42 Prozent litten an Angstzuständen. Psychologische Hilfe kann hier viel leisten.

Aber Psychologie ist nicht alles. Auch sie kann nachhaltig nur helfen, wenn es ihr gelingt, neuen Lebenssinn zu vermitteln. Der Tsunami hat Fragen an Land geworfen, die nun wie Wracks an den Stränden des Lebens liegen und die Aussicht auf das wieder ruhige Meer versperren. Wo war Gott am 26. Dezember? Warum läßt er solche Katastrophen zu? Wo war seine Barmherzigkeit, als die Wucht der Wellen über unschuldige Kinder hereinbrach?

Pater Joaquín Alliende-Luco, internationaler geistlicher Assistent der weltweit agierenden Hilfsorganisation "Kirche in Not", meint in einer Betrachtung zur theologischen Aufarbeitung der Naturkatastrophe in Südostasien: "Die Tsunami-Tragödie ist für uns Christen eine große Herausforderung. Sie zwingt uns dazu, uns für einen reiferen, großzügigeren Glauben zu öffnen. Dieses Desaster hat der ganzen Welt klar gemacht, daß unser Leben andauernd ein Geschenk Gottes ist." Durch die Katastrophe "erfahren wir wieder einmal aus erster Hand, daß wir nur als durchreisende Besucher auf der Erde sind".

Solche Antworten können die Medien nicht bieten. Aber ohne diese wäre es nicht zu der Welle der Hilfsbereitschaft gekommen. Ohne die Medien, die die Welt umspannen, insbesondere das Fernsehen, wären die Menschen nicht so aufgewühlt und auch offen gewesen für diese grundsätzlichen Fragen. In der Tat, jenseits aller Fragen und auch Fehlleistungen ist ein Fortschritt zu erkennen: Das Bewußtsein der Menschen für das Gute und Notwendige ist schärfer geworden. Wer an die - längst vergessenen - Katastrophen vor relativ wenigen Jahren denkt, etwa an den Wirbelsturm mit Flut in Bangladesch im April 1991 (140.000 Tote), das Erdbeben in der chinesischen Stadt Tangshan im Juli 1976 (mindestens 250.000 Tote) oder auch die Hungerkatastrophen in der Sahel-Zone Anfang der 70er (250.000 Tote), wird den Unterschied in der Hilfsbereitschaft schnell erkennen.

Der Schriftsteller Enzensberger nennt die Medien Bewußtseinsindustrie. Sie sind in ihrer Gesamtheit auch eine Gefühlsmaschine. Die Bilder bewegen die Herzen, ebenso die Stimmen im Radio, und wer die Reportagen aus Phuket oder Sri Lanka las, blieb trotz der vielen Informationen fassungslos. Aber die Medien sind, wie der Name sagt, nur ein Mittel, wenn auch ein notwendiges, um den Menschen zu informieren, ihn in die Form zu bringen, damit er seinem natürlichen Impetus folgt und hilft. Und diese Hilfe war und ist beeindruckend. Ein Gigant des selbstlosen Helfens, der vor zwei Jahren verstorbene Gründer von "Kirche in Not", Pater Werenfried van Straaten, den Lesern dieser Zeitung wohlbekannt als der Speckpater, pflegte sie in diese Worte zu kleiden: Der Mensch ist besser als wir denken.

Mutlos: Diese Mutter fand nur noch die Puppe ihrer kleinen Tochter.
 
     
     
 
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