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Nemmersdorf ist nicht nur für die Ostdeutschland ein Trauma. Nichtsdestotrotz drohte dieses Verbrechen wie so viele andere an Deutschen begangene Untaten ein Opfer der bundesdeutschen Geschichtsverdrängung zu werden. Von daher ist es unbestreitbar verdienstvoll, daß Guido Knopp im Rahmen seines Fernsehmehrteilers "Die große Flucht" eine ganze Folge diesem Kriegsverbrechen gewidmet hat. Weniger unumstritten ist hingegen die Art und Weise, in der er es getan hat. Immerhin erweckte der ZDF-Chefhistoriker den Eindruck, daß es in Nemmersdorf keine Vergewaltigungen und Kreuzigungen gegeben habe.
Bereits in seiner Berichterstattung anläßlich der Erstausstrahlung des ZDF-Mehrteilers stellte das / eine "Verifizierung von Guido Knopps Darstellung anhand teilweise schon geführter und teilweise noch zu führender Interviews mit Zeugen der Ereignisse in Nemmersdorf" in Aussicht. Inzwischen sind die Befragungen abgeschlossen und die aufgenommenen Antworten mit weiterem Material zu einem 56-Minuten-Video verarbeitet. "Nemmersdorf 1944", so der Titel des 21 Euro teuren Videobandes hat den Anspruch, die "Wahrheit über ein sowjetisch es Kriegsverbrechen zu vermitteln".
In einem dramaturgisch reizvollen Kontrast zur Grausamkeit des Themas beginnt der Film mit idyllischen Farbaufnahmen von der Region heute. Zu dazu passenden Bildern heißt es: "Ostdeutschland - für viele unverändert ein Begriff für ein weites, ein schönes Land, ein Begriff für verlorene Heimat und damit für Sehnsucht und Trauer. Das Ostdeutschland von heute hat nichts von seiner landschaftlichen Schönheit und seinem magischen Reiz und seiner Anziehungskraft verloren und ist wie eh und je Heimat der Störche. Eine typisch ostdeutsche Landstraße. Sie führt in das kleine verträumte Örtchen, das den Namen ,Majakovskoje trägt." "Majakovskoje" - das ist die russische Bezeichnung für Nemmersdorf.
Dieser kurzen Schilderung der Gegenwart folgt eine Rückblende. Der Zuschauer erhält einen mit zeitgenössischen Filmmaterial unterlegten kurzen chronologisch gehaltenen Überblick über die militärische Entwicklung von der Überschreitung der ostdeutschen Grenze durch die Russen bis zur Rückeroberung Nemmersdorfs durch die Deutschen.
Nach dieser Einführung kommen erstmals die für den Film interviewten Augenzeugen zu Wort. Es sind dies der Angehörige des Sturmbataillions der Division Hermann Göring, Heinz Sagehorn sowie Hilmar Lotz, der 1944 von der Front in Italien nach Ostdeutschland verlegt worden war. Desweiteren der Angehörige der Division Hermann Göring, Johannes Gottschalk, der vorher im Memelgebiet zum Einsatz gekommen war, Günther Karl Koschorrek, der den Einsatzbefehl in Richtung Nemmersdorf in Insterburg erhalten hatte, wo er sich von seiner fünften Verwundung erholt hatte, Peter Wirtz von der 18. Flakdivision, der zum Zeitpunkt der Ereignisse im Raum Goldap/Gumbinnen stationiert war, der Oberjäger und Zugführer im Fallschirmjägerregiment 16 Ost, Gustav Kretsch-mar, der Angehörige des Fallschirmjägerregiments 16 Ost, im Range eines Leutnants, Gerhard Mette sowie der Kommandeur des Fallschirmjägerregiments 16 Ost, Gerhart Schirmer, der die Befreiung Nemmdersdorfs leitete.
In einem ersten Block schildern sie ihre Teilnahme an der eigentlichen Rückeroberung Nemmersdorfs. Das ist nicht nur interessant und informativ, sondern erhöht auch den Wert ihrer später folgenden Schilderungen von dem in Nemmersdorf Vorgefundenem, weil man hinsichtlich der Rückeroberer schwerlich behaupten kann, die von ihnen vorgefundenen Spuren des Massenmordes wären Inszenierungen der deutschen Propaganda gewesen.
Erfreulicherweise hält die Kamera nicht die ganze Zeit stur auf die Interviewten. Vielmehr werden deren Aussagen geschickt durch passende Archivaufnahmen und Kartenmaterial unterstützt. Das schafft nicht nur Abwechslung, sondern unterstützt auch die Vorstellungskraft des Zuschauers.
Den Kern und Hauptteil des Videofilms bilden die Augenzeugenberichte der Soldaten von den Spuren des russischen Massakers. Einige historisch wertvolle Zitate seien hier herausgegriffen:
"Wir kamen von links rein, und links stand das Haus und da lag eine Frau in der Stube oder im Zimmer und war tot und ein Kind anscheinend gegen die Mauer geschlagen, weil die Mauer war mit Gehirn beschmiert." (Peter Wirtz)
"Nachdem der Angriff gelungen war, vielleicht eine halbe Stunde, 20 Minuten, nachdem die ersten Panzer drin waren, bin ich in Nemmersdorf hineingefahren ... und das war nun wohl der fürchterlichste Anblick, den ich im ganzen Krieg erlebt habe. Ich kann s nicht anders ausdrücken. Da waren die Frauen nackt an die Scheunentore genagelt, so wie Jesus ans Kreuz mit Nägeln durch die Hände und Bäuche aufgeschlitzt und Kinder, wo man sah, daß die einfach totgeschlagen waren. " (Gerhart Schirmer)
"Was wir dann allerdings dort gesehen haben, was die russischen Soldaten angerichtet hatten in dem Gebiet, durch das sie eingedrungen waren, das war so fürchterlich, das war so bestialisch, grausam, daß es zu gelinde wäre, wenn ich sagen würde, daß jegliches Vorstellungsvermögen damit überschritten worden wäre. Das war bestialisch, schlicht und einfach. Das hat uns erschüttert und uns mit einer Wut erfüllt, wie man sich vorstellen kann. ... Also es gab im Grunde genommen alles an Bestialitäten, was man sich da nur vorstellen kann. In einem Siedlungshaus lagen fünf, alle vergewaltigt und ermordet, die Oma, die Mutter von drei Kindern, wobei die drei Kinder auch wieder weiblich waren, vielleicht im Alter von vier bis zehn Jahren oder so etwa. Die Oma, die Mutter und die beiden ältesten von den Kindern vergewaltigt." (Hilmar Lotz)
"Wir sind also Richtung Kirche aufgebrochen, wie gesagt, ohne Gegenwehr, wußten allerdings nicht, ob die noch in den Häusern waren, mußten also aufpassen, hatten nicht so allzu viel Zeit, um uns umzugucken. Plötzlich sehen wir die Leute links und rechts im Straßengraben liegen. Einer meiner Soldaten bringt mir ein kleines Baby, paar Wochen alt, Kopfschuß. Das hatte noch gar kein Blut das Kind. So eine rosa Flüssigkeit hat sich bei der Einschußwunde gebildet." (Gustav Kretschmar)
"Ich habe die fünf Säuglinge gesehen, die dort mit Genick- und Schädelbruch gelegen haben, und ich habe auch die - insgesamt waren es 28, soweit ich mich erinnere - deutschen Frauen gesehen, die dort vergewaltigt und erschossen wurden. Die lagen dort noch mit entblößtem Unterkörper." (Heinz Sagehorn)
"Ich kann mich erinnern, daß ich an einer Scheune einen alten Mann gesehen habe, der mit einer Mistgabel fast angenagelt wurde. Er wurde am Hals durchstochen. Er hang da so halb drin. Er saß, aber er blutete aus dem Hals, und die Mistgabel war noch in seinem Hals." (Günther Karl Koschorrek)
Den letzten Teil der Videodokumentation bildet eine vom konkreten Fall Nemmersdorf sich lösende Schilderung der sowjetischen Grausamkeiten in Ostdeutschland und die Suche nach den historischen Ursachen hierfür. Dabei wird dem Zuschauer eine Reihe interessanter Zitate vorgetragen. Dabei gehören Josef Stalin, Ilja Ehrenburg und Ralph Giordano ebenso zu den Zitierten wie Lew Kopelew, Alexander Solschenizyn und Dr. Alfred M. de Zayas.
Der historiographische Ethos gebietet niemandem, die in diesem Dokumentarfilm wiedergegebenen Aussagen unkritisch für bare Münze zu nehmen, doch sollte sich jeder, der sich zukünftig zum Thema Nemmersdorf ausgiebiger äußert, vorher mit dem Inhalt dieses Films auseinandergesetzt haben, von dessen Veröffentlichung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen wir wohl nur träumen können. A. Liedfeger
Das Video ist über den
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