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... was zusammengehört
Die geteilten Städte zwischen Usedom und Zittau suchen nach gemeinsamer Zukunft (Teil I) Der Tatsache, daß die Teilung Deutschlands nicht nur die Hauptstadt und verschiedene kleinere Gemeinden entlang „der“ innerdeutschen Grenze (es wäre mehr als nur eine zu nennen!) entzweite, sondern an Oder und Neiße
gleich mehrere Städte, Dutzende Landgemeinden und sogar eine Ferieninsel zerriß, ist bis heute selten Aufmerksamkeit gezollt worden. Erstaunlich in Anbetracht der Tatsache, daß die Teilungen entlang der zweiten innerdeutschen Grenze in ihrer Wirkung weitaus gravierender war, da die Bevölkerung der östlichen Gemeindeteile ausgetauscht wurde. Nachdem an den Trennlinien West- und Mitteldeutschlands alles „zusammenwuchs, was zusammengehörte“, ist das Wort „Wiedervereinigung“ gottlob auch entlang von Oder und Neiße kein Unwort mehr. Freilich geht dort alles langsamer, indirekter und rechtlich weniger weitgreifend vor sich.

Frankfurt/Oder, Guben und Görlitz verstehen sich heute als „Städteverbund“ oder „Euro(pa)-städte“ und scheinen entschlossen, ihre schon jetzt eindrucksvolle Integration auch künftig fortzuführen. Die gemeinsamen Handlungsfelder sind bedeutend: Die Kooperation erstreckt sich von dem sensiblen Gebiet der öffentlichen Ordnung - sichtbar in gemischtnationalen Streifengängen - über das Ordnungsrecht, Fragen der Raumordnung, Infrastruktur, Gewerbeplanung, Konzeptionen eines gemeinsamen Stadtbildes bis zur Zusammenarbeit in der Kultur. Besonders der zuletzt genannte Bereich veranschaulicht, wie sich zunehmend ein „Ein-Stadt-Bewußtsein“ durchsetzt und realisiert wird, daß jede Stadthälfte, vor allem die kleineren polnisch verwalteten, ohne den zweiten Teil ein vielleicht wirtschaftlich, nicht jedoch kulturell überlebensfähiger Torso bliebe.

Frankfurt/Oder

Die partnerschaftlichen Beziehungen zwischen Frankfurt/ Oder und seiner Dammvorstadt reichen bis in das Jahr 1960 zurück, als Frankfurt die Gasversorgung des östlichen Stadtteils übernahm. Nach 1972 (Einführung des paß- und visafreien Verkehrs zwischen der DDR und der Volksrepublik Polen) erhielten die Kontakte neben dem wirtschaftlichen Ansatz auch eine kulturelle Dimension, die am 16. April 1991 in einer Gemeinsamen Erklärung mit dem Ziel, „unsere Städte (...) zu einer wirtschaftlichen Gemeinschaft und kulturellen Zusammenarbeit zu führen“, bekräftigt wurde.

Zu einer deutlichen Vertiefung der Kooperation zwischen Frankfurt und Dammvorstadt führte die Vereinbarung vom 18. Mai 1993, welche die bisherigen Ad-hoc-Konsultationen der Bürgermeister turnusmäßig (einmal vierteljährlich) festschrieb. Auch die Leitungen nachgeordneter Selbstverwaltungseinrichtungen sowie Mitglieder der Stadtverordnetenversammlungen erhielten die Möglichkeit zur Koordination spezifischer Maßnahmen.

Arbeitsgruppen wurden eingesetzt, die Wege einer Zusammenarbeit in den Bereichen Wasser-Ver- und Entsorgung, Energie- versorgung und ÖPNV aufzeigen sollten. Zuvor war in Dammvorstadt bereits der Grundstein für eine gemeinsame Mülldeponie gelegt worden. Ferner vereinbarten beide Seiten, sich beim Städtebau abzustimmen, was in dem 1994 von der zweiten „Gemeinsamen Stadtverordnetenversammlung“ genehmigten „Gemeinsamen Räumlichen Strukturkon- zept“ Gestalt annahm. Auch mit der 1993 vereinbarten Zusammenarbeit auf dem Gebiet der öffentlichen Ordnung war die Doppelstadt der allgemeinen Entwicklung voraus. Fortan kam es zur Abstimmung von Fahndungen und gemeinsamen Einsätzen mit der polnischen Polizei. 1997 erfolgte die Eröffnung eines deutsch-polnischen Kindergartens in Frankfurt. Kontakte zwischen Grundschulen beider Teilstädte bestanden bereits zuvor, während im Frankfurter Gymnasium, das auch von 24 Oberschülern aus Dammvorstadt besucht wird, die Fächer Musik und Kunst in polnischer Sprache unterrichtet werden - für deutsche Schüler allerdings auf freiwilliger Basis.

Das Europäische Parlament würdigte die schwierige, aber wegweisende und in Krisenzeiten bewährte Zusammenarbeit von Frankfurt und Dammvorstadt 1993 mit dem Europa-Diplom, ein Jahr später mit der Europa-Fahne. Die dabei anerkannten Verdienste um die europäische Idee haben in der „Eurostadt“ Frankfurt zudem dazu beigetragen, einen ausgesprochen ambitionierten Wunsch zu äußern. 1996 wandte sich der Frankfurter Oberbürgermeister mit der Bitte um Unterstützung an den Bundeskanzler, im Zuge der Osterweiterung der EU kulturelle Institutionen der Union aus Brüssel oder Straßburg nach Frankfurt zu verlegen. In jüngerer Zeit hat es in Frankfurt Forderungen gegeben, neben den partnerschaftlichen Kontakten zu Landsberg/Warthe auch solche zu Stettin aufzunehmen.

Guben

Auch die Kontakte zwischen West- und Ost-Guben existierten bereits vor dem „Völkerfrühling“ von 1989. West-Guben versorgte Ost-Guben mit Wasser und Elektrizität, während das Klärwerk im Osten vom Westteil mitgenutzt wurde. Kulturelle Kontakte setzten in den sechziger Jahren ein und wurden nach 1972, als auch sporadisch gemeinsame Ratssitzungen abgehalten wurden, intensiviert. Zu diesem Zeitpunkt arbeiteten auch etwa 1000 polnische Arbeiterinnen im West-Gubener Chemiefaserwerk.

Erst durch den Partnerschaftsvertrag vom 19. Januar 1991 konnte die nach der Grenzschließung im Jahr 1980 einsetzende Lähmung der Kontakte beendet werden. Das Abkommen strebt eine umfassende Begegnung aller Gesellschaftsgruppen und einen Erfahrungsaustausch auf kulturellem und wirtschaftlichem Gebiet an und formuliert seine Zielsetzung zurückhaltender als der Frankfurter Vertrag. Mit Gründung der deutsch-polnischen Stiftung „Gemeinsame Initiative Guben-Gubin“ mit Sitz in Ost-Guben wurde am 29. Oktober 1993 ein Instrument geschaffen, das die Partnerschaft besonders fördern soll.

Die im Partnerschaftsvertrag nicht erkennbare Zielsetzung der Schaffung eines „Städteverbundes“ tritt in dem am 19. Juni 1996 fast einstimmig angenommenen „Gemeinsamen räumlichen Strukturkonzept für die Euro-Stadt Guben“ deutlich zutage. Zwei Arbeitsgruppen wurden beauftragt, Überlegungen anzustellen, inwiefern der „Euro-Stadt“ Guben ein einheitliches bauliches Bild gegeben werden kann und die Handlungsfelder Landschafts- und Flächenplanung sowie Verkehrs-, Infrastruktur- und Gewerbeplanung vereinheitlicht werden können. Als zukünftiges Zentrum der Zwillingsstadt wird die zu Ost-Guben gehörende Schützeninsel angesehen, auf der bis Kriegsende das Gubener Stadttheater stand. Aus den häufig geäußerten Wünschen eines Wiederaufbaus sind zwar aus Kostengründen bislang keine Pläne geworden, doch wird die Insel zu einem Park rekultiviert und mit gemeinsam zu nutzenden Gebäuden, darunter einer Begegnungsstätte, bebaut. Hervorzuheben ist gleichfalls das Bestreben, im Rahmen eines gemeinsamen Fremdenverkehrskonzepts vergleichende Orts- und Straßen- namenregister der Region und Stadt zu erstellen, wobei wohl nicht nur die polnische Seite lernen wird: In Brandenburg wurde bislang die ideologisch belastete Praxis aus DDR-Zeiten, nur polnische Ortsnamen zu verwenden, fortgeführt, obwohl nur wenige westlich der Neiße diese korrekt auszusprechen vermögen.

Das bislang aufwendigste Projekt ist der Bau der gemeinsamen, überwiegend von West-Guben getragenen Kläranlage, deren Grundstein am 3. April 1996 gelegt wurde. Die volle Inbetriebnahme erfolgte planmäßig zum 1. Juli 1997. Maßstäbe setzt Guben im Bildungswesen: So besuchten im Schuljahr 1992/93 erstmals 25 Schüler aus Ost-Guben die als „Eu- ropaschule“ konzipierte West-Gubener Gesamtschule 1, die schrittweise zu einer bilingualen Schule für die Klassenstufen 11-13 ausgebaut werden soll. Bereits eröffnet ist ein deutsch-polnischer Kindergarten.

Görlitz

Ebenfalls schon vor dem Revolutionsjahr 1989 existierten Kontakte zwischen Görlitz und der östlichen Teilstadt. Als Unterzeichnungsort des Görlitzer Vertrags wurde die Kulisse der geteilten schlesischen Stadt mehrfach zu propagandistischen Zwecken benutzt. Grundlage des partnerschaftlichen Neubeginns wurde der Partnerschaftsvertrag vom 22. April 1991, der die Pflege „enge[r] kommunalpolitische[r] Beziehungen“ vorsah und sich damit etwas zurückhaltend ausnahm. Auf den Gebieten Wirtschafts- und Stadtentwicklung, Bauverwaltung, Umweltschutz, öffentliche Einrichtungen und kommunale Dienste, Gesundheit und Soziales sowie im soziokulturellen Bereich soll demnach ein Erfahrungsaustausch stattfinden. Des weiteren ist der Ausbau des Jugend- und Kulturaustausches und der Aufbau unmittelbarer Beziehungen zwischen den städtischen Körperschaften sowie unterschiedlichen Organisationen vereinbart worden. Dieser Grundvertrag fand seine Fortschreibung in einem gesonderten Sport- und Kulturabkommen vom 19. Dezember 1991 und schließlich in einem erneuerten Partnerschaftsvertrag vom 2. Dezember 1993, der die Einsetzung eines Koordinierungsausschusses festlegte. Im Rahmen dieses Gremiums treffen sich monatlich die stellvertretenden Bürgermeister und Amtsvorsteher, während in vier Arbeitsgruppen die gemeinsame Politik abgestimmt wird. Zum Musterbeispiel innerstädtischer Kulturzusammenarbeit wurde das 1996 gemeinsam begangene 925jährige Stadtjubiläum.

Seit 1994 gibt es in Görlitz Überlegungen, ein gemeinsames Stadtzentrum zu schaffen. Seinerzeit schrieb die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen in Zusammenarbeit mit der Jürgen-Ponto-Stiftung einen internationalen Ideenwettbewerb aus, den Studenten der Universitäten Braunschweig und Krakau gewannen. Ihre Vision der zukünftigen Görlitzer Innenstadt war eine Verbindung von Gebäuden an beiden Ufern der Neiße durch drei Fußgängerbrücken und neu zu errichtende Bauten. Gegenwärtig konzentrieren sich die Anstrengungen indes allein auf die inzwischen durch Bundesmittel und EU-Zuschüsse gesicherte Wiedererrichtung der Görlitzer Altstadtbrücke, ein Plan, der zwischenzeitlich an Widerständen in Warschau und im Görlitzer Stadtrat zu scheitern drohte. Gleichwohl sind die regelmäßigen Kontakte zwischen den Bürgern durch den kleinen Grenzverkehr weitgehend unbehindert. Seit dem 9. November 1991 verbindet eine halbstündlich verkehrende Stadtbuslinie Görlitz mit dem Osten der Stadt. Auch die Polizei kooperiert. Ferner gibt es einen deutsch-polnischen Kindergarten in Görlitz und ein Lehreraustausch-Programm, das die Grundlagen für ein zweisprachiges Gymnasium legen soll.

Verspätet erfolgte am 5. Mai 1998 die Proklamation von Görlitz zur „Europastadt“. Bei dieser Gelegenheit wiederholten beide Seiten lediglich die altbekannte Vision einer „europäischen Zukunft“ und bekräftigten das Ziel der Bündelung ihrer wirtschaftlichen Kräfte. Allein der 1993 gegründete „Freie Wählerbund Niederschlesien“, bislang mit sieben Prozent und zwei Stadträten präsent und bei der Oberbürgermeisterwahl 1998 mit respektablen 4,8 Prozent bedacht, betrachtet die partnerschaftlichen Be- ziehungen zu Ost-Görlitz als programmatisch essentiell.

 

Teil 2 in der nächsten Folge: Kleinstädte und Gemeinden

 
     
     
 
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