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Als Herzog Albrecht am 2. November des Jahres 1552 dem Marktflecken Tilse mit dem "Fundationsprivileg" das Stadtrecht beurkundete und besiegelte, konnte er damals noch nicht ahnen, daß die neu gegründete Stadt sich im Laufe der folgenden Jahrhunderte zur zweitgrößten Stadt Ostpreußens entwickeln würde. Zur Zeit der Stadtgründung betrug die Einwohnerzahl erst etwa 3000. Erst im siebzehnten Jahrhundert wurde die Stadt in Tilsit umbenannt. Die feierliche Beurkundung des Stadtrechtes wurde durch Herzog Albrecht in der deutschen Kirche (später Deutschordenskirche) vollzogen.

Damals, im Jahr 1552, konnte der Herzog ebensowenig ahnen, daß die Bürger der Stadt 450 Jahre später das Stadtjubiläum nicht in ihrer Heimatstadt, sondern als Heimatvertriebene im entfernten
Kiel begehen würden.

So wurde das Bundestreffen der Tilsiter in der Patenstadt Kiel mit dieser Jubiläumsfeier verbunden. Diesmal wurde das Veranstaltungsprogramm auf drei Tage ausgedehnt. Begonnen hatte es mit der traditionellen Kranzniederlegung am großen Kreuz auf dem Kieler Nordfriedhof. Fortgesetzt wurde dieser erste Tag mit den Treffen der Traditionsgemeinschaften Tilsiter Schulen, die ihre Zusammenkünfte in verschiedenen Lokalitäten mit eigenem Programm gestalteten. Am späten Abend hatte die Stadtgemeinschaft Tilsit in der Petruskirche in Kiel-Wik ein öffentliches Konzert veranstaltet. Das Polizeiorchester des Landes Schleswig-Holstein, der Polizeichor Kiel und das vielen Tilsitern bereits bekannte "Vokalensemble Cantabile Tilsit" aus Sowjetsk/Tilsit bestritten das vielseitige und beeindruckende Programm in der vollbesetzten Kirche. Der erste Tag klang aus im großen Saal des Legienhofes in der Innenstadt mit einem zwanglosen Beisammensein in der "Tilsiter Runde".

Für die zentrale Feierstunde am darauffolgenden Samstag hatte die Stadt Kiel den Ratssaal zur Verfügung gestellt. Die Sitzplätze reichten nicht aus, so daß auch die Zuschauertribünen mitbenutzt werden mußten. Stadtvertreter und 1. Vorsitzender der Stadtgemeinschaft Tilsit, Horst Mertineit, begrüßte zu dieser Feierstunde die Vertreter der gastgebenden Patenstadt Kiel, die weitgereisten Gäste (z. T. aus Übersee), die Delegation aus Sowjetsk, dem heutigen Tilsit, Vertreter der Landsmannschaft Ostpreußen und anderer Organisationen sowie weitere Ehrengäste. Grußworte von einzelnen Persönlichkeiten wurden verlesen. Stellvertretend für alle anwesenden Gäste erhielten einige Personen nach alter ostdeutscher Sitte zur Begrüßung Brot und Salz sowie ein Schnäpschen (wahlweise mit oder ohne Alkohol).

Der stellvertretende Stadtpräsident Heinemann überbrachte die Grüße der Landeshaupstadt Kiel und zeigte sich erfreut darüber, daß die Tilsiter regelmäßig zusammenkommen, um Erinnerungen auszutauschen. Diese Jubiläumsfeier sei aber ein besonderes Ereignis. "Wir, die Stadt Kiel, feiern mit Ihnen und bringen damit die Gemeinsamkeit mit den früheren und heutigen Bewohnern zum Ausdruck", so der stellvertretende Stadtpräsident. Er dankte zugleich der russischen Delegation für ihre Teilnahme an der Jubiläumsfeier und erwähnte dabei, daß seit 1992 eine Städtepartnerschaft zwischen den Städten Kiel und Sowjetsk besteht. Abschließend erwähnte der Redner, daß die Stadtgemeinschaft Tilsit ein Bindeglied zur alten und neuen Kultur sei.

Als Geschenk an die Patenstadt Kiel übergab Horst Mertineit dem stellvertretenden Stadtpräsidenten das eingerahmte Stadtwappen von Tilsit mit der ersten Seite der Fundationsurkunde.

In seinem Grußwort hielt der Sprecher einen kurzen Rück-blick auf die Geschichte Tilsits, wobei die Zerstörung der Stadt und die Vertreibung seiner Bewohner zu den dunkelsten Kapiteln dieser Geschichte gehören. Die Grußworte schlossen ab mit dem Wunsch, daß die Stadtgemeinschaft Tilsit ihre völkerverbindenden Aktivitäten fortsetzen möge.

Die Stadtpräsidentin aus Sowjetsk/Tilsit, Frau Sokolowa, überbrachte die Grüße der Stadt Sowjetsk und des Oberbürgermeisters Swetlow. Sie beglückwünschte die Stadtgemeinschaft Tilsit zu dieser Jubiläumsfeier und erwähnte dabei, daß auch im heutigen Tilsit am 6. und 7. September Feierlichkeiten aus diesem Anlaß u. a. in Anwesenheit deutscher Gäste stattfanden. Für viele ehemalige Tilsiter sei das Wiedersehen mit ihrer Heimatstadt nicht ohne Schmerzen. Die letzten 15 Jahre seien nicht immer leicht gewesen, wenn inzwischen auch einige schöne Geschäfte entstanden sind. Die Stadtpräsidentin äußerte abschließend den Wunsch, die Zusammenarbeit zum Wohle unserer Städte fortzusetzen. In Würdigung ihrer Verdienste um das heutige Tilsit erhielten einige Bürger Ehrenurkunden. Eine solche Ehrenurkunde überreichte Frau Sokolowa zum Abschluß ihrer Grußworte auch an Horst Mertineit. Dieser dankte der Stadtpräsidentin und bat, die Grüße der Stadtgemeinschaft nach Tilsit mitzunehmen, bevor er einigen Damen und Herren Ehrengaben mit der Gravur "Tilsit dankt" überreichte.

Horst Mertineit sagte zu Beginn seiner Festansprache, daß dieses Stadtjubiläum kein Grund für eine rauschende Jubelfeier sei. "Dennoch", so der Festredner, "sind wir es unserer Heimatstadt schuldig, nicht wort- und klanglos daran vorbeizugehen, sondern diese Jubiläumsfeier maßvoll und würdig zu begehen. Wenn das alte Tilsit in der heutigen Form auch nicht mehr unser Tilsit ist, so ist es die Stadt, in der unsere Wurzeln sind, in der unsere Wiege stand. Noch heute grüßt uns wehmütig die Stadt, wenn wir dort hinfahren. Tilsit verlor unter Schmerzen sein Gesicht, aber es gibt keine Stadt, die sich nicht wandelt."

"Wer forschend die Geschichte betrachtet", so der Festredner, "wird feststellen, daß die Stadt langsam aber nachhaltig ihre Bewohner prägt: wer sie auch sind und woher sie auch kommen. Es mag seltsam klingen, aber es ist so." Vorab ging Horst Mertineit kurz auf die Geschichte ein, nannte neben bekannten Bürgern die Besonderheiten. Dazu gehörten: Tilsit, die Gartenstadt des Ostens, die Brücke nach dem Osten, die weltoffene Stadt für Kunst, Wissenschaft und Kultur und nicht zuletzt die Stadt der schönen Mädchen.

Horst Mertineit beendete seine Rede mit allen guten Wünschen für seine Tilsiter Landsleute, für die jetzigen Bewohner und für unser gemeinsames Tilsit. "Tilsit wird nicht sterben, ob es heute Sowjetsk oder später vielleicht wieder Tilsit heißt." Der musikalische Teil war international. Es sang der deutsche Chor der Luisen. Die Sängerinnen traten auf in ihren T-Shirts mit dem Aufdruck "Königin-Luisen-Schule Tilsit". Den russischen Teil bestritt das Ensemble Cantabile Tilsit, und Litauen war vertreten durch eine junge Dame mit der Konzertflöte und einem Sänger mit einer kräftigen Baßstimme.

Ein weiterer Programmpunkt war eine Autorenlesung im Saal der Industrie- und Handelskammer am Nachmittag. Die bekannte Filmemacherin und Autorin Ulla Lachauer las aus ihrem Bestseller "Paradiesstraße - Lebenserinnerungen der ostdeutschen Bäuerin Lena Grigoleit". Im Anschluß daran nahm sich Frau Lachauer Zeit für persönliche Gespräche mit einigen Zuhörern.

Gelegenheit für persönliche Begegnungen und Gespräche hatten die Teilnehmer dieses Heimattreffens beim geselligen Abend im Ballsaal des Kieler Schlosses, sei es an den einzelnen Tischen oder bei Musik und Tanz auf dem Parkett.

Bei der Zentralveranstaltung am Sonntag, also dem 3. Tag des Jubiläumstreffens, ebenfalls im Ballsaal des Schlosses, begründete Stadtvertreter Horst Mertineit eingehend die Beziehungen zwischen den alten und neuen Bewohnern von Tilsit. Mit musikalischen Darbietungen sowie mit persönlichen Begegnungen und Gesprächen endete im Laufe des Nachmittags das dreitägige Jubiläumstreffen der Tilsiter. Wohl in dem Bewußtsein, daß sich für die 746 Personen die Teilnahme an den Einzelveranstaltungen gelohnt und nachhaltige Eindrücke hinterlassen habe, traten die Gäste den Heimweg bzw. die Heimfahrt an.

 
     
     
 
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