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Bekanntlich gibt es für nahezu jede Lebenslage ein passendes Zitat von Goethe. So fühlte - in aller Bescheidenheit - auch ich mich nach dem "Jahrhundertduell" vom letzten Sonntag dem Dichterfürsten nahe: "Da steh ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor."

Was haben wir 15 Millionen klugen Toren in diesen 75 Fernseh-Minuten eigentlich Neues erfahren? Daß Gerhard Schröder gern Kanzler bleiben und Edmund Stoiber
genauso gern Kanzler werden will, haben wir vorher auch schon gewußt. Daß der eine glaubt (oder glauben machen will), in den letzten vier Jahren fast alles richtig gemacht zu haben, während der andere eben dies bestreitet und statt dessen glaubt (oder glauben machen will), er werde in den nächsten vier Jahren fast alles besser machen - keine Überraschung. Daß in Sachen Steuerreform, Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, Zuwanderung, innere Sicherheit der eine dafür und der andere dagegen ist - auch das haben wir oft genug gehört.

Also ein eigentlich überflüssiger Fernsehabend? Mitnichten! Es gab schon einige neue, zum Teil wirklich überraschende Erkenntnisse. Der amtierende Kanzler galt bislang als Medienstar, der überlegen mit allen Meinungsmacher-methoden zu hantieren versteht. Er hat sich an diesem Abend weitgehend selbst entzaubert. Wir erlebten einen Gerhard Schröder, der zunehmend unsicher und fahrig wirkte - ein paar Nummern zu klein für die selbstgewählte Staatsmannpose.

Stoiber hingegen hatte sich, gerade in den ersten Tagen nach der Kür zum Kanzlerkandidaten, unsicher, ungeschickt und alles andere als "telegen" gezeigt. Zwar war es ihm gelungen, das unglückliche Image inzwischen etwas aufzupolieren, doch war die TV-Nation sich bis zum 25. August, 20.30 Uhr, darin einig: Gegen das Showtalent Schröder hat er keine Chance. Dies aber erwies sich von Minute zu Minute mehr als Irrtum. Der bayerische Ministerpräsident war bestens vorbereitet, Sprache und Mimik stimmten, er bestimmte die Themen, ließ sich nicht in die Defensive drängen, sondern griff an.

Insofern war Stoiber der Punktsieger, was übrigens kompetente Stimmen wie Spiegel-Chefredakteur Stefan Aust oder Prof. Arnulf Baring klar bestätigten. Dennoch bleiben Defizite. In konservativen Kreisen wartete man vergebens auf klare Aussagen zu Themen wie Ehe und Familie, Schule und Bildung, traditionelle Grundwerte; auch das in den letzten Monaten verstärkt ins öffentliche Interesse gerückte Thema Flucht und Vertreibung kam nicht vor. Immerhin: Am 8. September haben Kandidaten und Wähler eine zweite Chance. Allzuhoch sollte man die Erwartungen aber auch da nicht stecken.

Das eingangs zitierte "geflügelte Wort" finden wir in der ersten Szene des Faust. Und wie bei Goethe, so gibt es auch im wirklichen Leben (sogar in der Politik) "der Tragödie zweiten Teil". Der ist, wie Schauspielkenner wissen, weitaus schwerer zu spielen und zu verstehen als der erste Teil. Publikum und Akteure sind also vorgewarnt .
 
     
     
 
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