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Die Herren mit den goldenen Sternen auf der Schulter raufen sich die Haare. Während die Generalität noch an einer Sicherheitsanalyse für Afghanistan arbeitet, scheint für Bundesverteidigungsminister Peter Struck eine Ausweitung des Bundeswehr-Einsatzes am Hindukusch bereits beschlossene Sache zu sein. Demnächst sollen deutsche Soldaten auch außerhalb Kabuls in gefährlichen Regionen Dienst tun. Zunächst hieß es noch, die Regierung werde erst nach Auswertung des Berichts eines hochrangigen militärischen Erkundungsteams entscheiden, doch jetzt gibt es für den Minister plötzlich "keine realistische Alternative" zu dem erweiterten Militäreinsatz mehr.
Die Bundeswehrführung und die Kommandeure im Einsatzland dagegen haben Bedenken gegen die Stationierung deutscher Soldaten außerhalb der Hauptstadt. Dort herrschen Stammesfürsten, mächtige Provinzgouverneure, Talibankämpfer, Al-Kaida-Führer und Drogenbosse. Sie haben das Land unter sich aufgeteilt und beherrschen ihre kleinen Staaten im Staate. Die Macht des afghanischen Präsidenten Hamid Karsai reicht nicht bis hierher, sie endet praktisch an der Stadtgrenze Kabuls. Die afghanische Provinz ist mehr oder weniger ein rechtsfreier Raum. Dieses Sicherheitsvakuum könnte Afghanistan wieder zu einer Brutstätte des internationalen Terrorismus werden lassen.
Ein heißes Pflaster also für die "militärischen Aufbauhelfer" aus Deutschland. Was ihnen blühen kann, wissen die Soldaten spätestens seit dem Selbstmordattentat, dem vor einigen Wochen vier ihrer Kameraden zum Opfer fielen. Weitere Anschläge sind bereits angekündigt. Sie sollen vor allem im Norden erfolgen, also genau dort, wo Struck seine Soldaten hinschicken will. Nach Erkenntnissen amerikanischer Geheimdienste bemüht sich der berüchtigte Paschtunenführer Gulbuddin Hekmatyar, die lokalen Herrscher zu einer gemeinsamen Front gegen die fremden Soldaten im Land zu vereinen. Ismail Khan, der selbstherrliche und skrupellose Gouverneur in Herat, hat bereits erklärt, daß deutsche Soldaten hier unerwünscht seien und daß er deren Präsenz in seinem Gebiet als Herausforderung ansehen werde.
Generalleutnant Friedrich Riechmann, Befehlshaber des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr und Führer des Erkundungskommandos in Afghanistan, warnt daher eindringlich vor einem Bundeswehr-Einsatz in Herat und anderen als zu unsicher geltenden Regionen des Landes. Er sieht hier eine "täglich präsente Bedrohung" für die deutschen Soldaten.
Angesichts der Sicherheitslage im Einsatzland sollte "Gründlichkeit vor Schnelligkeit" die Devise sein, doch der Minister hat es plötzlich sehr eilig, die Ausweitung des Bundeswehreinsatzes zu verkünden. Diese Eile hat ihren Grund. Mit der Präsenz der Bundeswehr in entlegenen Landesteilen Afghanistans entlasten die deutschen Streitkräfte ihren US-amerikanischen Bündnispartner, der sich im Irak erheblich verausgabt. So dürfte Präsident George W. Bush mit seinem "Lob" für die "sehr aktive Rolle Deutschlands in Afghanistan" Strucks Entscheidungsprozeß nicht unwesentlich beschleunigt haben. Jetzt soll Deutschland dafür zahlen, daß es den Irak-Krieg nicht mitgemacht hat. Der Weltpolizist hat ein Zeichen gegeben, und der Juniorpartner hat verstanden. Alles gegen den Rat der Militärs.
Die von 29 Nationen gestellte Internationale Afghanistan-Schutztruppe ISAF hat sich festgefahren. Im Dezember 2001 durch eine UN-Resolution ins Leben gerufen, sollte sie nach der Auslöschung des Taliban-Regimes die Übergangsregierung des neuen Präsidenten Karsai unterstützen und den politischen Stabilisierungsprozeß fördern. Das ist noch immer nicht gelungen. Deshalb wurde das Mandat, das ursprünglich auf sechs Monate befristet war, immer wieder verlängert. Vor wenigen Tagen ist das Kommando über die multinationale Truppe aus deutscher Hand auf die Nato übergegangen. Befehlshaber ist mit Generalleutnant Götz Gliemeroth wieder ein Deutscher. Das hat einen guten Grund. Deutschland gehört zu den wichtigsten ISAF-Mitgliedsstaaten. Zur Zeit sind fast 2.500 deutsche Soldaten im Afghanistan-Einsatz, gut die Hälfte der Gesamtstärke der Schutztruppe. Werden Strucks neue Pläne Wirklichkeit, kämen mindestens 300, vermutlich sogar noch etwa 800 bis 1.000 Deutsche hinzu.
Diese Ausweitung allerdings wäre mit dem derzeitigen ISAF-Mandat nicht mehr vereinbar. Deshalb wäre eine Anpassung durch den UN-Sicherheitsrat erforderlich. Für Bundesverteidigungsminister Struck ist diese Anpassung unumgänglich. Er sieht die Afghanistan-Mission an einem Wendepunkt. Es sei bisher nicht gelungen, den Friedensprozeß militärisch abzusichern. Deshalb müsse die ISAF-Truppe entweder abgezogen oder vergrößert werden. Parallel fordert der Minister eine weitere internationale Afghanistan-Konferenz. Der Koalitionspartner sekundiert eifrig. Christa Nickels von den Grünen sieht den Wiederaufbau Afghanistans ohne eine Aufstockung der Schutztruppe in Gefahr. Sie fordert gar 10.000 Mann, um ein flächendeckendes Netz von Militärstützpunkten zu errichten. Auch die Opposition ist einer Vergrößerung des deutschen ISAF-Kontingents gegenüber grundsätzlich aufgeschlossen, warnt aber vor übereiltem Handeln. Sie will die Bundeswehr nicht zum "Spielball örtlicher Machtinteressen" werden lassen.
Die Bundeswehr steht also aller Wahrscheinlichkeit nach vor sehr gefährlichen Einsätzen - obwohl die Militärs warnen und die Steitkräfte schon jetzt durch die verschiedenen Auslandseinsätze bis an die Grenzen ihrer Belastbarkeit beansprucht sind. Ihr Minister und die Chefin der Grünen, Angelika Beer, haben derweil schon den nächsten Kriegsschauplatz für deutsche Soldaten ausgemacht. Sie können sich jetzt auch einen Einsatz der Bundeswehr im Irak vorstellen - vorausgesetzt, die Uno gibt ihr ein Mandat. Wie schnell sich doch die Ansichten von Politikern ändern. Jan Heitmann |
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