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Noch nie waren die Bemühungen um Annäherung, Aussöhnung und Einigung der christlichen Kirchen so bedeutsam wie gerade jetzt, da sich die "Väter" der Europäischen Verfassung beharrlich weigern, in ihrem Elaborat das christliche Erbe beim Namen zu nennen. Selbst Atheisten, Agnostiker und sonstige Aufgeklärte müßten doch ehrlicherweise zugeben, wie sehr sie durch jene Religion geprägt sind, von der sie sich abwandten. Und was für eine "Wertegemeinschaft" soll das sein, die sich nicht zu ihrer wichtigsten Wurzel und zur einzigen alle Völker Europas umfassenden Gemeinsamkeit bekennen will?
Wie mühsam die "Ökumene" in der Praxis ist, läßt sich erst ermessen, wenn man sich näher mit den Ereignissen und Hintergründen befaßt, die zur Aufspaltung des Christentums in größere und kleinere Glaubensgemeinschaften führten. Einigermaßen bekannt ist, daß die Reformation eine Reaktion auf Mißstände in der Amtskirche war - und daß dann der Glaube den Mächtigen meist nur als Vorwand diente, die Kirche selbst sowie die jeweils Andersgläubigen ihrer Besitztümer zu berauben. Aber was trennt die "Ostkirche", wie man die orthodoxen und altorientalischen Kirchen vereinfachend nennt, von der römisch-katholischen? Daß sich die einen von links nach rechts und die anderen von rechts nach links bekreuzigen kann es allein nicht sein.
Die Gefahr der Spaltung liegt bereits im Auftrag, "alle Völker" zu lehren: Denn auch Lehrer sind nur Menschen, und bei den Völkern trafen und treffen sie auf höchst unterschiedliche sprachliche, kulturelle und religiöse Vorbedingungen. Bis in unsere Tage müssen Missionare nach begrifflichen Entsprechungen suchen, was um so schwerer fällt, je ferner die Kulturen und je abstrakter die Begriffe sind. Und um die Schäfchen nicht zu verschrecken, müssen sie auch in Kult und Sittenlehre Konzessionen machen. Aber wie weit darf man gehen, ohne die Lehre zu verwässern, also ohne "Diskont-Kirchen" zu schaffen?
Am leichtesten müßten es diejenigen gehabt haben, die das Original der Lehre in ihrer Muttersprache Aramäisch empfangen hatten und im selben Sprachraum blieben. Denn Aramäisch wurde damals im gesamten Nahen Osten gesprochen und erst Jahrhunderte später durch Arabisch verdrängt. Niedergeschrieben wurde das Neue Testament allerdings in griechischer Sprache, also in Übersetzung. Lateinische Übersetzungen des griechischen Texts folgten als "Itala" (2. Jhdt.) und "Vulgata" (4. Jhdt.).
Griechisch war durch Alexander den Großen und seine Nachfolger im gesamten östlichen Mittelmeerraum zur Verkehrssprache geworden und galt im Römischen Reich als Sprache der Gebildeten. Bereits in vorchristlicher Zeit (3. bis 1. Jhdt.) war in Alex-andria eine später "Septuaginta" genannte Übersetzung des Alten Testaments ins Griechische angefertigt worden, denn das ausgestorbene Hebräisch wurde von den dort lebenden Juden nicht mehr verstanden. (Die Diaspora gab es schon Jahrhunderte vor der Zerstörung des Tempels durch Titus 70 n. Chr.!) Die "Kirchenväter", die ersten christlichen Theologen, stützten sich ihrerseits methodisch und dialektisch auf Werke der griechischen Philosophen, wo sie auch manches an christlichem Gedankengut "entdeckten".
Es wurde schnell klar, daß die Reinheit der Lehre nur durch Organisation und Autorität zu gewährleisten ist. In Anlehnung an ältere Vorbilder entstand das Amt des "Presbyters" ("der Ältere") als eines Gemeindevorstehers. Schon im Philipperbrief werden Bischöfe ("Aufseher") und Diakone ("Diener") erwähnt. Und es gab lokale Versammlungen ("Konzilien"), zu denen Laien allerdings bald keinen Zugang mehr hatten. Eine bevorzugte Stellung des Bischofs von Rom - als Nachfolger des Apostels Petrus - ist seit dem 3. Jhdt. nachweisbar.
Dringlichste Aufgabe war die Festlegung, welche Texte als Heilige Schrift, als unveränderlicher "Kanon", gelten sollten. Die Auswahl der klassischen Zeugnisse urchristlichen Glaubens und deren Zusammenfassung als "Neues Testament" wurde um die Mitte des 2. Jhdts. weitgehend abgeschlossen. Mit kleineren Abweichungen ist dieser Kanon allen christlichen Kirchen gemeinsam. Das vermochte aber nichts daran zu ändern, daß sich nun die Differenzen auf die Auslegung ("Exegese") verschoben und daß die nicht in den Kanon aufgenommen Schriften ("Apokryphen") immer wieder Ansatzpunkt für Geheimlehren und Sekten wurden.
Wichtigster dogmatischer Streitpunkt war und ist bis heute die Frage nach der Natur Christi: nur Mensch ("Arianismus"); oder nur Gott ("Monophysitismus"); oder Gott und Mensch - und selbst das wieder in unterschiedlichsten "Formeln". Innigst damit verwoben sind die Themen Dreifaltigkeit und jungfräuliche Empfängnis. Während Theologen allzusehr auf Dogmatik fixiert zu sein scheinen, ist das Leben der Laien ungleich stärker durch Sittenlehre und Ritus geprägt. Konflikte wiederum resultieren primär aus Glaubenslehre und Ritus. In der Sittenlehre hingegen gibt es so gut wie keine Differenzen.
Vom Toleranzedikt Kaiser Konstantins (313) war es nicht weit zur staatlichen Einflußnahme auf kirchliche Angelegenheiten. So kam es beim ersten "ökumenischen Konzil" in Nikaia (325) zur Verurteilung des Arianismus, und das vierte Konzil in Chalkedon (451) führte zur Abspaltung der "Monophysiten", zu denen Armenier, Kopten, Äthiopier, Syrer, Nestorianer und südindische Thomas-Christen zählen - sofern sie nicht später mit Rom "uniert" wurden.
Das "große Schisma" von 1054, das die Reichskirche in "Lateiner" und "Griechen" teilte, formalisierte eigentlich nur die Trennung dessen, was sich in tausend Jahren ohnehin auseinanderentwickelt hatte: Die römische Kolonisation hatte im Westen früher eingesetzt und war gründlicher durchgeführt worden. Im Osten, wo die Römer auf alte Hochkulturen trafen, begnügten sie sich mit der Festigung ihrer Herrschaft ohne nennenswerte Kolonisation und "Latinisierung".
Die Teilung des Reiches (395) hatte zwar dynastische Gründe, entsprach aber annähernd einer Kulturgrenze. Und daran änderte sich auch nichts, als Ostrom nach dem Zusammenbruch des Westreiches dort zeitweise wieder Fuß fassen konnte. Die Neubegründung des Kaisertums durch Karl den Großen besiegelte dann die Entwicklung: Im Westen blieben - ungeachtet aller Wechselfälle - die (übernationale) Kirche und die weltlichen Mächte organisatorisch getrennt. Die orthodoxe Kirche hingegen war Staatskirche des byzantinischen Reiches.
Das Jahr 1204 brachte der griechischen Orthodoxie ein kollektives Trauma, das bis heute nachwirkt: Im Laufe des vierten Kreuzzugs kam es zur Erstürmung und Plünderung Konstantinopels durch die "Lateiner" und zur Errichtung des kurzlebigen "Lateinischen Kaiserreichs". Die Kreuzfahrer waren natürlich nicht mit einem solch unchristlichen Vorsatz ausgezogen. Vielmehr hatte sie ein byzantinischer Thronprätendent in dynastischen Streitigkeiten zu Hilfe gerufen, seine finanziellen Versprechungen zur Fortsetzung des stockenden Kreuzzugs dann aber nicht eingehalten - und der Frust entartete schließlich zur "Selbstbedienung". Ob damit der Untergang von Byzanz (1453) beschleunigt wurde, bleibt Spekulation. Denn der innere Verfall des Kaiserreichs war ein jahrhundertelanger Prozeß, und man hatte sich zunehmend auf turkstämmige Söldner verlassen - die sich letzten Endes selbst zu Herren machten.
Die osmanische Herrschaft brachte den orthodoxen Christen (Griechen, Slawen und Rumänen) zwar keine systematische Verfolgung, wohl aber empfindliche Diskriminierung. Es ist der Geistlichkeit zu verdanken, daß die Unterworfenen ihre völkische Identität bewahren konnten, und eben deswegen wurden nach der Befreiung im 19. und 20. Jahrhundert überall Nationalkirchen eingerichtet. Auch in Moskau, dem "Dritten Rom", war - ganz nach byzantinischem Vorbild - die Orthodoxie längst schon Staatskirche. Die eigenständigen orthodoxen Kirchen sehen den Patriarchen von Konstantinopel nur als Ehrenoberhaupt an, nicht als Vorgesetzten. Die allen gemeinsame Überempfindlichkeit gegenüber "Einmischung" ist angesichts von erlebter Fremdherrschaft und kommunistischer Unterdrückung verständlich.
Das heutige Verhältnis der orthodoxen und altorientalischen (monophysitischen) Kirchen zu den Kirchen des Westens hat viele Facetten. Parallel zu manchen orthodoxen Kirchen gibt es mit Rom unierte Kirchen, was in dem einem Fall die Spannungen erhöht, im anderen - etwa im Fall von Kopten und Armeniern - unproblematisch ist. Die ethnischen und nur scheinbar religiösen Konflikte am Balkan sind ein Kapitel für sich. Speziell die Russische Kirche zeigt sich allergisch auf "Proselytismus", auf das Abwerben von Gläubigen durch Katholiken ebenso wie durch Protestanten und Sekten. Andererseits weigert sie sich, die von Stalin den Unierten weggenommenen und ihr ausgehändigten Gotteshäuser zurückzugeben.
Die Tätigkeit des 1948 gegründeten Ökumenischen Rats der Kirchen, der praktisch alle Kirchen außer der katholischen umfaßt, war von Anfang an doppelt belastet. Denn erstens stehen die in ihm vertretenen östlichen und westlichen Kirchen einander ferner als jede von ihnen der katholischen - theologisch ist der Katholizismus der Orthodoxie viel näher als allen anderen, während es sich hinsichtlich Mentalität der Gläubigen umgekehrt verhält. Zweitens hatte die Sowjet-union mit Hilfe der ihr unterworfenen Kirchenführer den Ökumenischen Rat für politische Zwecke mißbraucht.
Einen eigenen Weg geht die 1964 in Wien eingerichtete Stiftung "Pro Oriente": Einerseits werden Begegnungen zwischen den verschiedenen Würdenträgern organisiert, um das Mißtrauen abzubauen und so auch den wechselseitigen Vorurteilen der Gläubigen entgegenzuwirken. Andererseits werden theologische Fragen behandelt, wobei als bisher bedeutendstes Ergebnis eine für Katholiken und Orthodoxe gemeinsame "christologische Formel" zu nennen ist. Aber es bleibt noch vieles offen ...
Die wirklich entscheidenden Schritte in Richtung Einheit können nur von den obersten Führern der Kirchen ausgehen. Inwieweit das Zusammentreffen von Papst Johannes Paul II. mit Patriarch Bartholomaios I. von Konstantinopel hier neue Impulse zu geben vermochte, bleibt abzuwarten.
Worte der Hoffnung: "Vor 40 Jahren haben sich Papst Paul VI. und der Patriarch Athenagoras in Jerusalem getroffen und eine brüderliche Umarmung ausgetauscht", sagte Papst Johannes Paul II. am 29. Juni. "Diese brüderliche Umarmung ist zum Symbol der herbeigesehnten Aussöhnung zwischen der katholischen und der orthodoxen Kirche geworden - wenn nicht gar eine Prophezeiung der Hoffnung auf dem Weg zur vollen Einheit." |
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