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Auf den Spuren der Linie 15

 
     
 
Rund 56 Jahre danach geht es wieder nach Ponarth, das noch vor der Gründung Königsbergs als Ponartas den südlich des Pregel wohnenden Pruzzen eine Heimstätte bot.

Unweit des Hotels, der einstigen Poststraße gegenüber, befindet sich die Haltestelle der Straßenbahnlinie 2. Sie fährt gemächlich scheppernd hinaus durch die Vorstadt und vorbei am Hauptbahnhof nach Königsbergs südlichem Vorort Ponarth. Früher fuhr diesen Weg die Linie 15.

Durch die Dirschauer Straße geht es vorbei an der bereits kurz nach ihrer Erbauung als Sing Sing bezeichneten Wohnsiedlung der Königsberger Werke Straßenbahnen (KWS) in das Gebiet des Königsberger Verschiebebahnhofs. Über letzteres führt nach wie vor die dreibogige Brücke, die inzwischen etwas in die Jahre gekommen ist.

In leichter Linkskurve ruckelt die Linie 2 die Ponarther Straße bergab der früheren Haltestelle Wiesenstraße entgegen. Letztgenannte ist zwar heute ein wenig weiter verlegt zur Hofstraße, doch ist sie nach wie vor erster Haltepunkt im Straßen- und Häuserbereich von Ponarth.

In der Wiesenstraße zur Rechten und auch in der links abzweigenden Werkstättenstraße erkennt man noch viele alte Häuser. Weiterfahrend vermißt man allerdings zur linken Hand den Pechteich. Er war einstmals Eislieferant für die noch teilweise erhaltene Brauerei
Ponarth, die sich hinter neu erbauten Hochhäusern anschließt.

Mit dem Einbiegen in die Zellerstraße aufersteht vor dem geistigen Auge ein lebendiges Bild der Vergangenheit, so daß bei der Wanderung durch Ponarth jeder Schritt nun begleitet wird von den Empfindungen einer glück-lichen Kindheit und Jugend.

Unverändert scheint die alte Pestalozzischule Jahre und Jahrzehnte überdauert zu haben. Sie wird immer noch als Schule genutzt.

Dieser zentrale Platz Ponarths, vor zwei bis drei Jahrhunderten noch Mittelpunkt einer dörflichen Lebensgemeinschaft, hat sich allerdings ein wenig verändert. Es fehlt die alte Schmiede, die einst hier stand und bereits Ausgang der dreißiger Jahre einer neuen Endhaltestelle der Linie 15 weichen mußte. Verblieben sind allerdings in diesem Bereich neben der Pestalozzischule noch der inzwischen auch 100 Jahre alte Südpark und die Lichtbildbühne, die auch heute noch als solche genutzt wird. Sie wurde während der letzten Monate restauriert. Zum Südpark hin wurde ein Anbau dem Gebäude hinzugefügt. Dabei handelt es sich wahrscheinlich um einen neuen Zugang zu den oberen Räumen, in denen in der Vergangenheit die Agnes-Miegel-Bücherei untergebracht war. Auf der gegenüberliegenden Seite sucht man freilich das Po-narther Lokal Friedrichsruh vergebens. Es war bekannt für Papa Hildebrandts Klopse und die Feste in dem bis zum Umbau in den dreißiger Jahren vorhandenen Saal.

Bis etwas über die Ponarther Bergstraße hinaus sind recht viele alte Gebäude erhalten geblieben. Das gilt leider nicht für den alten Park mit seinem kleinen Teich, in dem es zu den Zeiten, da in der Ponarther Kaserne noch die Train-Abteilung untergebracht war, jeden Sonntag ein Platzkonzert gegeben hat.

Einen positiven Eindruck auf den Ponarth-Besucher macht die Ende des 19. Jahrhunderts erbaute und eingeweihte evangelische Kirche, die auch heute ein Gotteshaus ist. In ihr haben die Ponar-ther orthodoxen Christen eine Heimat gefunden. Erstaunlich ist das sichtbare kontinuierliche Fortschreiten der Erneuerungsarbeiten. In diesem Jahr hat das Haus einen neuen Steinfußboden erhalten. Diagonal gegenüber der Kirche ist das ehemalige Waisenhaus der grauen Schwestern dem Zahn der Zeit zum Opfer gefallen. Die einstige Josefkapelle, heute ein Stützpunkt des Sanitätswesens, blieb jedoch erhalten. Hier und da fehlen dann schon Häuser auf den beiden Straßenseiten, doch mit etwas Phantasie und Erinnerungsvermögen ist in der Brandenburger Straße doch der alte Verkehrsweg in Richtung Ponarth West zu erkennen. Sein einstiges Endziel war der Park Schönbusch. Auf dem Weg zu seiner Selbstkrönung zum König in Preußen erreichte der brandenburgische Kurfürst Friedrich III. hier im Jahre 1701 seine künftige königliche Residenzstand.

Etwa im Bereich des einstigen Gloria-Kinos steht heute die große Ponarther Markthalle, in der ein reichliches Warenangebot zum Einkauf einlädt. Sie erinnert an das Blumengeschäft Mähler sowie das Geschäft und die Gastwirtschaft von Herbert Budszus. Im weiteren Bereich der Brandenburger Straße, bis hin zum Po-narther Bahnhof, ist für den Po-narth-Besucher Neuland ange- sagt. Erst hinter der Brücke wird wieder etwas von dem alten Ponarth der vorletzten Jahrhundertwende lebendig. Am Ende der Brandenburger Straße sind beispielsweise die etwas lädierte Brauerei Schönbusch sowie - nach Prappler Höh abzweigend - das Wohngebiet Godriener Straße und An den Birken wenigstens teilweise erhalten.

Nach einer kurzen Stippvisite in diesem westlichen Ponarther Wohnbereich führt der Erinnerungsweg danach in die Barbarastraße, die nahezu unverändert geblieben ist bis zur Karschauer Straße am Schwanenteich. Im Anfangsbereich der Straße fehlen hier freilich auf linker und rechter Seite einige Häuser, doch mit der Kohlenhandlung von Pehlke ist noch ein Stück Vergangenheit gegenwärtig.

Rechts abbiegend, bei der einstigen Bäckerei Quoos, befindet sich dann nahezu unverändert der Fichteplatz mit seinen umgeben- den Straßen und Häusern samt Fichte- nebst Kleistschule. Hier wird die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg lebendig. Daß auch an diesen Gebäuden der Zahn der Zeit genagt hat, ist verständlich. Es ist trotzdem gut, daß in den Frühjahrs- und Sommermonaten grünende Sträucher und Bäume ein schreckhaftes Erkennen des baulichen Verfalls verhindern.

Bis hin zum Ende der Barbarastraße dann ein Bild des Gestern. Allerdings ist auch hier zu beiden Straßenseiten ein starker Baumwuchs feststellbar. Hinter der Dreysestraße erblickt man das Kasernengebiet, in dem zuletzt die B1 (Beobachtungsabteilung) untergebracht war. Auch heute sind hier Soldaten während der Ableistung ihres Wehrdienstes zu Hause.

Hier im Bereich von Dreyse- und Schreberstraße wird man aber von der Vergangenheit wieder einmal eingeholt, lebten hier doch die Deutschen, die bis zu ihrer Vertreibung in den Jahren 1945 bis 1948 in ihrer Heimat verbliebenen waren.

Ehe die Barbara- in die Karschauer Straße einmündet und das Schwanenteichgebiet erreicht wird, geht es auf der rechten Straße noch vorbei am einstigen Palveplatz, der heute jedoch nicht mehr Sportstätte ist, sondern spärlich bebaut. Die Karschauer Straße führt dann auf der einen Seite kaum einen Steinwurf entfernt am Schwanenteich vorbei in Richtung Südpark. Auch hier erinnert man sich mit dem Wiedererkennen mancher alter Häuser des Gestern. Beim Abzweig linker Hand der Palvestraße erkennt man ein altersmüdes Gebäude, hinter dem sich einst die Gärtnerei Klemusch befand, danach etwas abseits der Straße den alten Heß’schen Bauernhof, der an das Gelände der Schillerschule in der Schifferdecker Straße anschließt. Unweit davon steht dann auch noch die alte Post.

Bis zum Südpark ist es nun nicht mehr weit, und auch dieses, der Brauerei einst gehörende große Veranstaltungs-Etablissement mit zwei Sälen und angeschlossener Gastwirtschaft hat nach Teilzerstörung und Fassadenzubau als Kulturhaus seine alte Bedeutung behalten.

Nach einem Blick noch hin in Richtung alter Selterbude, genannt auch Dittchengrab, an deren Stelle sich heute gleich zwei Holzkioske befinden, geht es hinein in die Speichersdorfer Straße. Ihr Wegverlauf blieb seit Kriegs-ende und Vertreibung unverändert bis zur Aweider Allee und weiter stadteinwärts nach Rosenau.

Noch gut erkennbar ist die alte Schifferdeck’sche Ponarther Brauerei, die im 19. Jahrhundert von Löbenicht hierher übersiedelte und bereits in den zwanziger Jahren durch Export des Gerstensaftes Ponarth bis nach Amerika bekannt machte. Teilweise erhalten, wird in den einstigen Brauanlagen heute Quas produziert, und dem Vernehmen nach soll auch klares Mineralwasser aus dem Brunnen der einstigen Braustätte gewonnen werden. Gleich rechtsseitig hinter der Brauerei ist dann direkt am Hubertusteich ein riesengroßes Gebietskrankenhaus erbaut worden, dessen Einzugsgebiet bis über die einstige Ringchaussee hinaus weit nach Süden reicht. Hinter dem Hubber, einbiegend in die Jägerstraße, erkennt man linker Hand die auch schon über 100 Jahre alten Familienhäuser, die einst für Arbeiter und Angestellte der Brauerei Po-narth erbaut wurden. Der Betrieb gab bis zu Flucht und Vertreibung vielen Königsberg-Südstädtern Arbeit und Brot. Hinter den rotziegeligen Wohnhäusern scheint die Speichersdorfer Straße zu enden in einem weiteren, beidseitig mit Bäumen bepflanzten Straßenabschnitt. Hinter den Bäumen rechts, dort wo einst Anhuth Kolonialwaren sowie Radau Brot und Kuchen verkauften, sind neue Wohnhäuser der heutigen Bewohner Ponarths errichtet. Ab der Borsigstraße ist das Straßenbild dann wieder das alte.

Zunächst aber führt der Weg durch die Jägerstraße, in der bis hin zur Wachtelgasse von der alten Bebauung recht wenig erhalten geblieben ist. Dahinter ist auf der rechten Seite des durchwanderten Wohngebietes wieder scheinbar die Zeit stehengeblieben. Sowohl der Elchdamm als auch die Hirschgasse und die parallel zur Jägerstraße verlaufende Fasanenstraße scheinen nur geringfügig verändert. Auch der Rehsteg und die Wolfstraße zeigen das alte Bild. Hinter dem Rehsteg allerdings, dort wo einst viele Ponarther ihren Schrebergarten hatten, ist inzwischen ein völlig neues Wohngebiet mit tristen Hochhäusern entstanden. Wie damals der sogenannte schwarze Weg zum Kolonialwarengeschäft Stobbe führt allerdings auch heute ein Weg von der Wolfs- zur Speichersdorfer Straße durch ein Wohngebiet. Geblieben sind von damals die Wohnblocks in Richtung Borsigstraße, in der die Angehörigen der Polizei wohnten.

Als nächstes wird nun die Buddestraße durchwandert, der sich nördlich das Gelände des Reichsbahn-Ausbesserungwerkes (RAW) anschloß. Auch hier ist fast das gesamte Wohngebiet erhalten geblieben, allerdings in der verstrichenen Zeit ebenfalls stark angenagt von den Jahrzehnten. Auf dem weiteren Weg genügt ein Blick zur Maybachstraße hin der Bestätigung, daß auch sie sich nicht verändert hat.

Ein wenig verwildert ist dann der Weg zur Werkstätten Straße, die neben dem Gelände des RAW zur Ponarther Straße führte. Auch in der Werkstätten Straße ist alte Bausubstanz erhalten geblieben. Am Ende der Straße ist wie einst die Einstiegstelle für die Straßenbahn in Richtung Stadt zu finden.

Reichlich schlapp, aber doch irgendwie froh und zufrieden geht es mit der Linie 2, deren Endhaltestelle sich heute in der Straße Continer Weg befindet, wieder zurück in die Stadt, deren Gesicht immer vertrauter geworden ist. Wenn man das Alte nur ein wenig zielstrebig sucht, wird man genügend Berührungspunkte mit der Vergangenheit finden.

Auch Ponarth, das alte Ponartas aus der Pruzzenzeit, ist, wenngleich auch ein wenig gealtert, im großen und ganzen geblieben, was es war - der erinnerungsträchtige Ort einer glücklichen Kindheit und Jugend, unver- gessenes Kleinod all derer, die es nicht - wie leider auch einige Landsleute - aus ihrer Lebensrückbesinnung gelöscht haben. n

 
     
     
 
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