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Heiß brennt die Sonne vom nahezu makellos blauen Himmel. Nur über den fernen Bergen Albaniens hat sich erster leichter Dunst gebildet, der blaugrau über den Tälern hängt. In der freien Landschaft knistert die Hitze. Die silbrigen Blätter der Olivenbäume flirren im leichten Wind, der jedoch auch keine Abkühlung bringt. Warme, ja heiße Luft umfängt den Reisenden, der nach einem schattigen Plätzchen sucht. Immer wieder entdeckt sein Blick das unglaublich blaue Meer in der Ferne. Von dort ist im Augenblick auch keine Erfrischung zu erwarten. In den Dörfern haben die Frauen schon am frühen Morgen Wasser auf die Straßen vor ihren Häusern gegeben, haben die Blume n gewässert. Sie danken es ihnen mit einer Blütenpracht, die man kaum sonst entdecken kann, ganz gleich ob die Pflanzen nun in schäbig aussehenden ehemaligen Olivenölkanistern stehen oder in den warm schimmernden Terrakottatöpfen, die so typisch sind für diesen Landstrich.
Weit schweift der Blick des Reisenden über das Land: Grün, wohin das Auge auch blickt, in allen Schattierungen, vom matten Grün der Olivenbäume über das satte der Zitronenbäume bis hin zum kräftigen, fast schwarzen der Zypressen. Wie Zeigefinger ragen sie in den Himmel, künden hier und da von einer nahen Kapelle. Olivenbäume aber haben hier auf dieser Insel die Oberhand. Kein Wunder: als die Venezianer vom 14. bis 18. Jahrhundert über Korfu herrschten, befahlen sie den Einwohnern, auf jedem freien Fleck Olivenbäume zu pflanzen. Als Belohnung gab s dann eine Prämie von 10 Goldstücken für 100 neu gesetzte Olivenbäume. Mehr als drei Millionen Bäume sollen es heute sein. Doch wer hat die Muße, sie zu zählen?
Zwischen all dem Grün blitzt hier und da die blendend weiße Fassade eines Hauses auf, schimmert das Ziegelrot eines Daches. Versteckt liegen sie, die Villen und auch so manche Hotels auf Korfu, der zweitgrößten der Ionischen Inseln. Die "europäischste" aller griechischen Inseln, an der griechischen Westküste im Ionischen Meer gelegen, zieht seit Jahrhunderten Reisende in ihren Bann. Vieles ist griechisch, natürlich, vieles aber auch italienisch anmutend, der Nachbar im Osten ist schließlich nur einige Schiffsstunden entfernt. Die Hauptstadt Kerkyra, die durch ihre hohen, oft fünf- bis sechsgeschossigen Prachtbauten auffällt, in denen noch heute die alten Familien Korfus leben, fasziniert nicht zuletzt auch durch viele dem Verfall anheimgegebene Bauwerke. Wind und Wetter haben am Stein ihre Spuren hinterlassen. Unter der napoleonischen Besatzung entstanden nach dem Vorbild der Rue de Rivoli in Paris an der Esplanade, einer der größten Plätze Europas und die "grüne Lunge" der Stadt, arkadengeschmückte Stadthäuser. Sie laden ein zum Flanieren oder zum Verweilen bei einem griechischen Kaffee. In den Sommermonaten beherrschen Schwärme von Schwalben den Himmel über der Stadt, während sich in den engen Gassen die Touristen tummeln. Wer Ruhe sucht, und Entspannung, der findet sie abseits der ausgetretenen Pfade.
Ruhe und Abstand zu ihrem formellen Leben am Wiener Hof suchte einst auch Kaiserin Elisabeth von Österreich (1837-1898). Großen Schmerz hatte die junge Frau erleiden müssen - sie verlor ihre kaum zwei Jahre alte Tochter Sophie auf einer Reise in Ungarn. Ihre herrische Schwiegermutter, Kaiserin Sofie, entpuppte sich bald als "böse Schwiegermutter", wollte die Vormundschaft für die beiden anderen Kinder Rudolf und Gisela übernehmen. Kaiser Franz Josef I. konnte die Gegensätze zwischen den beiden Frauen nicht überbrücken, und Elisabeth begab sich schließlich mit der englischen königlichen Yacht "Victoria and Albert" auf Reisen, um ihre angegriffene Gesundheit zu kurieren. Die Kaiserin gelangte über Madeira, Mallorca, Malta und Triest schließlich im Frühjahr 1861 nach Korfu, das unter britischer Herrschaft stand. Empfangen wurde sie damals von Lordoberkommissar Sir Henry Knight Storks in dessen Sommerhaus "Mon Repos", südlich der Hauptstadt Kerkyra gelegen und von zauberhafter Landschaft umgeben. - In "Mon Repos" wurde übrigens 1921 Philipp v. Battenberg geboren, der spätere Herzog von Edinburg und Gemahl Königin Elizabeths II. von England.
Drei Monate blieb Elisabeth auf Korfu und unternahm während ihres Aufenthaltes ausgedehnte Spaziergänge, lernte Land und Leute kennen. Die üppige Vegetation, die Blütenpracht dieser grünen Insel im Mittelmeer wirkten positiv auf ihr Stimmungstief. Aus einer anfänglichen Bewunderung für die Insel wurde bald eine tiefe Liebe, die sie für den Rest ihres Lebens prägen sollte. In Gedanken zog es sie nun immer nach Korfu, doch erst 1877 besuchte sie es erneut.
Als ihr Sohn, Kronprinz Rudolf, mit seiner Geliebten Maria Vecera 1889 auf dem Jagdschloß Mayerling bei Wien tot aufgefunden wurde, war dies die traurige Krönung schrecklicher Ereignisse im engeren Umfeld der Kaiserin. 1867 wurde ihr Schwager Maximilian I. von Habsburg als Kaiser von Mexiko hingerichtet; 1886 ertrank ihr sehr geschätzter Vetter Ludwig II. von Bayern im Starnberger See; ein Jahr später verbrannte ihre Schwester Sofie bei dem Versuch, eine brennende Zigarette vor dem Vater zu verbergen. Korfu schien der Kaiserin nun der letzte Zufluchtsort in dieser schweren Zeit. Im Bergdorf Gastouri, unweit der Hauptstadt Kerkyra, hatte sie 1888 auf einer ihrer Wanderungen ein zauberhaftes Fleckchen Erde für sich entdeckt. Als Gast der Witwe des korfiotischen Philosophen und Dichters Vraila erlebte sie eine erstaunliche Besserung ihrer Melancholie und wollte sich ein Haus auf Korfu bauen. Darauf schenkte ihr die Witwe Vraila kurzerhand das Anwesen. Elisabeth ließ die Villa abreißen und ein klassizistisches Palais an dieser Stelle errichten. Architekt war der Neapolitaner Raffaele Carito, der bis 1891 ein Gebäude im pompejanischen Stil mit ionischen, äolischen und romanischen Elementen erbaute.
Die Kaiserin, eine glühende Verehrerin der antiken Gottheiten und Helden Homers, wollte auf Korfu umgeben sein von Darstellungen der griechischen Mythologie. Schon der Name ihres Palais - "Achillion" - spricht Bände, wurde er doch von Elisabeth aus Verehrung für Achilles, den Helden aus dem Trojanischen Krieg, selbst ausgewählt. Ein goldener Schriftzug mit diesem Namen in griechischen Buchstaben ziert denn auch den Eingang des hochherrschaftlichen Hauses hoch über der Ostküste der Insel. Zweimal im Jahr hielt sich Elisabeth nun nach Fertigstellung des Hauses dort auf, im Frühjahr und gegen Ende des Sommers, wenn die größte Hitze vorüber war. Noch heute meint man den Geist dieser Frau zu spüren, die vom Schicksal so sehr geprüft wurde und deren Leben durch Mörderhand ein jähes Ende gesetzt wurde. Vor 105 Jahren, am 10. September 1898 erlag sie in Genf den Folgen einer Messerattacke des italienischen Anarchisten Luigi Lucheni, der mit seiner Tat Aufsehen erregen wollte.
Nach dem Tod der Kaiserin stand das "Achillion" einige Jahre leer - und zum Verkauf. Kaiser Wilhelm II. erwarb es schließlich 1907, konnte sich aber nur bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges daran erfreuen. Fünfmal verbrachte er seinen Urlaub unter der südlichen Sonne, angereist mit der in Stettin gebauten kaiserlichen Yacht "Hohenzollern", die auf Reede ankern mußte, obwohl es ganz in der Nähe eine Anlegestelle gab, die "Kaiser-Brücke" (oder "Keizer s Bridge" im Fremdenführer), für Barkassen und Boote der Schloßbesucher. Apropos "Keizer": Auf den Straßenkarten der Insel ist auch ein Aussichtspunkt "Keizer s Throne" verzeichnet - in Pelekas an der Westküste. Dorthin ließ sich Wilhelm II. fahren, um die Aussicht und den Sonnenuntergang zu genießen. Überhaupt staunten die Korfioten über den deutschen Kaiser nicht schlecht, besaß er doch ein Automobil, einen roten Mercedes; so etwas hatten viele von ihnen noch nicht gesehen. Zum ersten Mal erlebten die Einheimischen auch elektrisches Licht am "Achillion", da Kaiserin Elisabeth den ersten Stromgenerator der Insel hatte installieren lassen.
Das Erdgeschoß des "Achillion" mit seinem prachtvollen Treppenhaus ist für Besucher heute zugänglich und enthält noch zahlreiche persönliche Gegenstände und Möbelstücke seiner Besitzer, darunter ein Schwarzadlerorden und der Originalstander der "Hohenzollern" mit der Aufschrift "Gott mit uns" und der Jahreszahl 1870. Besonders ansprechend aber ist der Garten, der vor allem in der heißen Jahreszeit Erfrischung verspricht. Hohe Bäume spenden Schatten, duftende Blumen beleben die Sinne. Das Auge des Reisenden verweilt jedoch meist lange auf den zauberhaften Skulpturen und Plastiken, die Kaiserin Elisabeth hat aufstellen lassen, ganz ihrer Neigung entsprechend mit Motiven aus der griechischen Mythologie. Die neun Musen findet man da ebenso wie die drei Grazien, Aphrodite oder Hermes, Artemis und Apoll. Dem Namensgeber dieses Stein gewordenen Traums unter südlicher Sonne, Achill, ist eine 1884 geschaffene Skulptur aus weißem Marmor von Ernst Gustav Herter (1846-1917) gewidmet. Herter, Schüler von Bläser, Fischer und Wolff an der Berliner Akademie und später Nachfolger von Schaper im Bildhaueraktsaal an der Hochschule, schuf den "Sterbenden Achill", der sich mit schmerzverzerrtem Gesicht den Pfeil aus der Ferse ziehen will, für den Lainzer Tiergarten; später wurde die Arbeit dann nach Korfu gebracht. Eine weite Reise hat auch der andere, der "Siegreiche Achilleus" hinter sich. Er wurde von dem Bildhauer Johannes Götz für Kaiser Wilhelm II. geschaffen, der befand, ins "Achillion" gehöre der Held im Augenblick des Sieges und nicht des Todes. Die 5,50 Meter große (mit Basis und Speer 11,50 Meter) und viereinhalb Tonnen schwere Bronze wurde in ihre Einzelteile zerlegt und 1909 auf der "Hohenzollern" nach Korfu gebracht. - Skulpturen und Plastiken begleiten den Besucher des "Achillion" auf jedem Schritt. Ist es da ein Wunder, wenn der Reisende später in einem Souvenirgeschäft neben Apoll und Achilles auch den "Keizer" zu sehen glaubt, oder war es vielleicht doch nur die Hitze?
Das "Achillion" auf Korfu: Der klassizistische Bau mit ionischen, äolischen und romanischen Elementen zieht auch heute noch viele Touristen an - nicht nur Verehrer der unsterblichen Kaiserin "Sisi"
Kaiserin Elisabeth von Österreich: Sie ließ einen Traum wahr werden Fotos: Osman (4), Archiv (1)
Der sterbende Achill: Von Kaiserin Elisabeth geschätzt
Spiel von Licht und Schatten: Die neun Musen auf einer Terrasse des "Achillion"
Der siegreiche Achilleus: Von Kaiser Wilhelm II. gewünscht |
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