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Der 1984 verstorbene Maler Professor Werner Peiner hat kurz vor seinem Tod in bemerkenswert deutlicher Weise hinsichtlich eine Ortsbestimmung zur modernen Bildenden Kunst Stellung bezogen. Er sagte, übrigen keineswegs neu, daß die Kunst und vor allem eben die Bildende Kunst Wellenbewegunge gleiche, die große Höhen, aber auch tiefe Täler kenne. In einem solchen Wellental, s meinte der Maler weiter, befinde sich unter anderem auch die Bildende Kunst in Deutschlan und im übrigen Europa spätestens seit dem Ausgang der Klassik . Bildnerisches Schaffe habe seither unter dem Zwang gestanden, Werke hervorzubringen, die dem einst vorhande gewesenen Zenit entsprächen oder ihn gar überträfen.
Es ist dies übrigens auch ein in anderen Kunstgattungen eindeutig festzustellende Symptom. So hat sich beispielsweise in der Musik Franz Schubert lebenslang mit der Frag gequält, was denn nach Ludwig van Beethoven an musikalischen Werken noch zu schaffe möglich sei. Nicht von ungefähr gibt es unter Musikwissenschaftlern immer wiede Stimmen, die mit dem Tod Schuberts gleichzeitig das Ende wirklicher Musik in Verbindun bringen. Skeptisch war Peiner in seiner damaligen Aussage insbesondere im Hinblick auf die Dauer jenes augenscheinlichen Wellentales, in dem sich die Künste insgesamt gegenwärti schlechthin befinden. Für sich, für den Maler, nahm er nur die Möglichkeit in Anspruch mit perfektem handwerklichen Können eine Synthese aus dem genauen Studium der große Meister aller hohen Kulturen zu finden. Aber letztendlich sei auch er ein Suchender, de sich bemühe, aus dem Tal herauszugelangen. Das Opus Peiners ist ein deutlicher Bewei für diese Haltung, bei der das Bild des Menschen als Richtmaß der Dinge gilt. Weit meh als die letzten 150 Jahre des bildnerischen Schaffens und insbesondere das, was man als die Moderne bezeichnet, sind weitaus besser zu erfassen, wenn sie auch und vor allem mi dem Begriff des Suchens in Einklang gebracht werden. Die neuesten Kreationen, Aktionen un sogenannte Happenings oder Performances bedeuten nichts anderes als eben diese Suche nac Orientierung in einer Welt der grenzenlosen Deklarationsmöglichkeiten für all das, wa kurzerhand und mit kräftigen ökonomischen Schüben als Kunst bezeichnet werden kann Dabei stimmt allerdings ein vom Graphiker und Drucker Dieter Roth einst gemachte Ausspruch reichlich nachdenklich. Er sagte nämlich, mit seiner Kunst wolle er beweisen zu was jene einst in den 30er Jahren als "entartet" charakterisierte Kuns fähig sei. Und er hat es gezeigt: er legte beispielsweise Schokolade oder Nüsse au einen Bogen Papier und ließ diesen durch die Druckerwalze laufen. Die Frage nach Form un Inhalt, vom Menschenbild ganz zu schweigen, beantwortete Roth auf seine Art. Aber auch e ist zugegebenermaßen ein Suchender im umfangreichen Terrain der Kunst.
Zwei große Ausstellungen die eine in Weimar, die andere in Berlin gebe rückblickend Auskunft über das malerische, graphische und plastische Bemühen solcherle Suchens. In der Goethestadt ist es die dreiteilige Schau der Kunstsammlungen zu Weimar mi dem zunächst sybellinisch anmutenden Titel "Aufstieg und Fall der Moderne". Wa dahinter steckt, skizzieren die Autoren der Schau als "Ausstellungsreihe", die das Spannungsverhältnis zwischen Avantgarde und konservativen Strömungen im 20 Jahrhundert offenlege. Die verschiedenen Facetten dieses "Phänomens" stellte die Frage, inwieweit politische ästhetische Konzepte der Moderne für das 21. Jahrhunder noch Bestand haben können.
Im Weimarer Schloßmuseum, der ersten Ausstellungsstation, präsentieren die Kuratore mit dem eigentlichen Gesamttitel "Aufstieg und Fall der Moderne" jene klassisch Moderne von der Schwelle vom 19. bis weit in das 20. Jahrhundert hinein. Eindrucksvoll un mit viel Augenmaß für Ausstellungskultur zeigen Werke von Gaugin, Cezanne, Renoir ode Bonnard bis hin zum revolutionären Wassily Kandinsky den großen Aufbruch der Sucher un das Ringen nach neuen Formen und neuen Inhalten. Munch, Klee und Feininger sind jeweil ganze Räume gewidmet. An Plastiken sind beispielsweise Rodin und Maioll, aber auch Geor Kolbe präsent. Die Avantgarde des zeitweilig in Weimar ansässigen Bauhauses ist fas vollzählig vertreten.
Fazit dieses ersten Ausstellungsteiles: Spätestens mit Wassily Kandinsky wird de Bruch mit Überkommenem offenbar und die Reise in die Welt der neuen Formen und Inhalt zusehends unsicherer. Vor allem für neu geschaffene Formen öffnet sich ein Tor, das de Weg in unendlich viele Möglichkeiten anzubieten scheint. Allerdings das Wor "Fall" im Ausstellungstitel führt eher in die Irre, vielmehr ist die Entwicklung konsequent, es sei denn die Autoren hätten sich gescheut, das eigentlich Wort "Sündenfall" zu gebrauchen. Zwei solche "Sündenfälle" mi "politisch-ästhetischem Konzept" präsentieren die Weimarer Kustoden an eine zweiten Ort, dem aus der NS-Zeit erhalten gebliebenen Gauforum im Erdgeschoß de Gebäudes, das unvollendet geblieben war und zu DDR-Zeiten als Fabrikhalle diente; dor gewahren die Besucher die bisher wohl umfangreichste Zurschaustellung bildnerische Arbeiten aus der Zeit des Dritten Reiches. Die gewöhnlich in München aufbewahrten un inzwischen unter der Verwaltung des Deutschen Historischen Museums in Berlin stehende Gemälde, etwa 200 an der Zahl, scheinen indes wahllos aus den Magazinen herausgenommen zu sein. Absicht scheint es auch zu sein, diese Bilder nach recht profanen Themenkreise gleich einer Großwäsche auszustellen. Mit dem Titel "Die Kunst dem Volke erworben Adolf Hitler" wird zunächst an die Tatsache erinnert, daß Hitler dies Bilder auf den großen deutschen Kunstausstellungen im Münchner "Haus der deutsche Kunst" erwarb. Aus dem Gezeigten wird unter anderem deutlich, wie sehr es de Kunstauffassung jener Zeit darum ging, im Strom der Suchenden einen Brückenpfeiler zu setzen für eine Brücke, die über das Wellental hinwegführen sollte. Über Form un Inhalte jenes Kunstschaffens ist viel gestritten worden. Eine endgültige Antwort verma aber auch die Weimarer Schau schon deshalb nicht zu geben, weil unter den gezeigten Werke viele Künstler fehlten, deren Schaffen durchaus bleibende Gültigkeit haben dürfte.
Interessanterweise räumen die Kustoden ein, daß Bilder propagandistischen Inhalts in der Sammlung weitgehend fehlen. Es lasse sich eingrenzen, daß "Hitler solch Darstellungen nur selten und ungern gekauft hat. Der tagespolitische Bezug widersprac nachweislich seinem Kunstverständnis, große Kunst zeichnet sich nach seinem Verständni durch ewige Bedeutung und Gültigkeit aus und sollte sich daher nicht auf flüchtig politische Ereignisse und Machtanekdoten einlassen", heißt es in einem de Ausstellungskataloge.
Im zweiten Stockwerk des Gebäudes biete sich, um im Bild zu bleiben, der zweit "Sündenfall" mit dem Titel "Offiziell und Inoffiziell die Kunst de DDR". Auch hier handelt es sich mit rund 500 Werken von DDR-Künstlern um die größte Gesamtschau dieses umstrittenen Kunstschaffens seit der Wende. Angefangen mi Alfred Ahner über Bernhard Heisig und dessen Sohn Johannes, Walter Matteuer, Willi Sitt bis zu Werner Tübke offenbart sich ein Spektrum, das zwar individuelle Variante zuläßt, im ganzen gesehen aber letztlich doch staatsorientiert, am real existierende Sozialismus ausgerichtet bleibt. Die normative Kraft des Sowjet-Marxismus fordert selbs in den kleineren Nischen ihren Tribut.
Daß das in einer Art Rotunde ziemlich unsystematisch und letztlich mit offenba "spitzen Fingern" aufgehängte Bilder-Kaleidoskop in dieser Hinsicht teilweis heftigen Widerspruch noch lebender Künstler erntet, ist nur zu verständlich. Es änder dies nichts an der Tatsache, daß mit der Schau zwar auch die Suchenden in der DD dargeboten werden, gleichzeitig aber und hier gibt es Übereinstimmung mit de Westen deren mangelnde Seelentiefe zum Ausdruck kommt. Darunter leidet vor alle die Verpflichtung der künstlerischen Phantasie.
Eine mögliche Antwort für Suchende bietet indessen eine zu Ende gehende Retrospektiv des in Wien lebenden Malers, Graphikers und Architekten Ernst Fuchs in Berlin. Dies unerklärlicherweise in der abgelegenen Spandauer Zitadelle gezeigte Schau trägt de Titel "Mythos, Phantasie, Realismus" und legt die Entwicklung des Künstlers vo frühen Surrealismus hin bis zum heutigen magischen Realismus offen. Die Retrospektive die auch die Entwicklung des Fuchs-Opus zu einer unverwechselbaren Eigenständigkei deutlich macht, vermittelt den Künstler als einen Visionär, der einen Weg aus de gegenwärtigen Stillstand der Kunst der Moderne zeigen kann. Die Kunst von Ernst Fuchs is die eines Visionärs, der von sich selbst sagt, daß aus Visionen von Vergangenheit un Zukunft schöpferische Wirklichkeit werde. Solches zu beschreiben, diesen inneren Bilder Ausdruck zu verleihen, mißt Fuchs eine der wenigen Möglichkeiten zu, das Tor zu neue künstlerischen Dimensionen zu öffnen.
Die Zitadelle in Spandau ist also eine, wenn auch erstaunlich wenig beachtete Antwor auf die deutschen Kunstfragen, die in der Weimarer Schau zwangsweise offenbleiben müssen |
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