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Befreiung Niederlage oder was?

 
     
 
Das nach Rußland zweite Land, das Polen anfaßt, ist das seit 1918 unabhängige Litauen. Polen besetzt im Oktober 1920 die Hauptstadt Wilna und ein Gebiet von 250 Kilometer Länge und etwa 50 Kilometer Breite. Ein Teil der dortigen Bevölkerung ist polnisch. Der Völkerbund in Genf erhebt vergeblich Einspruch und schlägt eine Volksabstimmung vor. Polen gesteht der Bevölkerung im eroberten Gebiet kein Recht auf national
e Selbstbestimmung zu und behält den Osten des noch jungen litauischen Staates, ohne eine Volksbefragung zuzulassen. 1938 läßt Polen dann noch einmal Truppen an der Grenze aufmarschieren, droht mit Krieg und zwingt die Litauer, die polnische Eroberung von 1920 völkerrechtlich anzuerkennen.

Polen macht eine historische Legitimation für diesen Krieg und die Eroberung geltend. Litauen, so die polnische Rechtfertigung, war bis vor 125 Jahren Teil der Polnisch-Litauischen Union und ein Teil der dortigen Bevölkerung sind Polen. Mit genau der gleichen falschen Legitimation annektieren wenige Jahre später Hitler die Tschechei und Stalin die drei Baltenländer. Das deutsche Volk nimmt diese Unrechtstat der eigenen Regierung gegenüber der Tschechei 18 Jahre später nicht zuletzt auch deshalb ohne nennenswerten Widerspruch zur Kenntnis, weil derartige Aggressionen in Europa nach 1918 hier in Litauen und anderenorts fast an der Tagesordnung sind, und von den Siegermächten ohne ernsten Einspruch hingenommen werden.

Der dritte Staat, von dem Polen Land verlangt, ist die Tschechoslowakei (CSR). Polen und Tschechen beanspruchen 1918 gleichermaßen das Teschener Gebiet, ein kleines Territorium südlich von Oberschlesien. Die dortige Bevölkerung ist deutsch-polnisch-tschechisch gemischt. Die Bedeutung des Gebietes ergibt sich zum einen aus seinem Reichtum an Kohlengruben, Stahlwerken und Schwerindustrie und zum anderen aus seiner Lage an der Mährischen Pforte. Hier liegt einer der wichtigsten Eisenbahnknotenpunkte Ostmitteleuropas.

Der "Höchste Alliierte Rat" teilt dieses Ländchen nach dem Ersten Weltkrieg halbe-halbe zwischen der Tschechoslowakei und Polen auf. Polen erkennt diese Teilung nicht als rechtens an, weil das Teschener Gebiet bis 1292 unter polnischer Herrschaft stand, und weil die Bevölkerung polnisch sei, was allerdings 1938 nur auf ein Drittel der dort Lebenden zutrifft.

1938, während der "Sudetenkrise" verlangt die Deutsche Reichsregierung von der tschechischen in Prag, ihr die mehrheitlich deutsch besiedelten Sudetenlande zu übergeben. In Warschau hält man die polnische Forderung nach dem tschechischen Teil des Teschener Gebiets für so berechtigt wie die deutsche nach den Sudeten. Doch auf der Konferenz von München erkennen die Briten, Italiener und Franzosen nur den deutschen Anspruch auf die Sudetenlande an. Der Anspruch Polens wird in München nicht verhandelt. Die sowjetische Regierung warnt sogar die Polen, sich an den Tschechen zu vergreifen, und droht, anderenfalls den polnisch-sowjetischen Nichtangriffspakt von 1932 zu kündigen.

Anders die Reaktion aus Deutschland. Die polnische Regierung fragt bei der deutschen an, ob es deutscherseits Bedenken gegen eine polnische Annexion des Teschener Gebietes gäbe. Die Reichsregierung erhebt keine Einwände zum Schutz der Tschechen, was nicht ganz selbstverständlich ist, da die Stadt Oderberg im fraglichen Gebiet rein deutsch ist und, da grenznah, leicht an Deutschland angeschlossen werden könnte. Hitler äußert bei diesem Zugeständnis gegenüber Polen allerdings die Hoffnung, daß im Gegenzug auch die deutsche, noch immer unter Völkerbundsmandat stehende Stadt Danzig mit dem Deutschen Reich vereinigt werden kann.

In der letzten Septemberwoche 1938 läßt Polen dann ein Armeekorps bei Teschen aufmarschieren und droht der tschechischen Regierung mit Krieg. Die Tschechoslowakei, zu der Zeit ohnehin nicht handlungsfähig, gibt nach, und Polen besetzt das umstrittene Gebiet. Der Zugewinn an Land, Industrie und Menschen hat für Polen verhängnisvolle Konsequenzen. Als erstes sei erwähnt, daß die Sowjetunion postwendend den sowjetisch-polnischen Nichtangriffspakt von 1932 kündigt, den Polen ein Jahr später dringend hätte brauchen können. Nicht einmal ein ganzes Jahr danach, am 17. September 1939, greift die Sowjetunion das expansive Polen an. Als zweites sei erwähnt, daß der Aufmarsch des Armeekorps und das Ultimatum an die Tschechen klare Brüche des Kellogg-Pakts zur "Ächtung des Krieges" sind. Polen kann damit ein Jahr später nicht mehr darauf hoffen, selbst durch den Kellogg-Pakt geschützt zu werden. Und drittens ist nun der polnisch-deutsche Dialog um die Heimkehr Danzigs eingeläutet.
 
     
     
 
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