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Für eingefleischte Kommunisten – und von denen gibt es nach wie vor viele tausend in Berlin – ist das Gedenken an „Karl und Rosa“ das, was für einen Katholiken das Osterfest bedeutet. Der Demonstrationszug, der sich Jahr für Jahr Mitte Januar vom Frankfurter Tor zum Friedhof in Friedrichsfelde zieht, ist so etwas wie eine spirituelle Prozession. Über 20000 Personen nahmen vergangenen Sonntag mit – trotz strahlendem Sonnenschein – grimmigen Gesichtern am Aufmarsch teil. Zu DDR-Zeiten ging die Zahl der Teilnehmer in die Hunderttausende.
Das rote Wochenende beginnt am Sonnabend in der Humboldt-Universität . Dort tagt die „XI. Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz“. Viele ausländische Teilnehmer haben sich zu diesem von der ultralinken Tageszeitung „Junge Welt“ veranstalteten Konvent eingefunden. Am Eingang werden Kopfhörer für englisch- und spanischsprachige Teilnehmer ausgegeben. Es wird simultan übersetzt.
Zunächst tritt Heinz Dieterich Steffan auf, ein Berater von Venezuelas Präsident Hugo Chávez. Viele Hoffnungen der Anwesenden konzentrieren sich auf Lateinamerika. Dort erringt die extreme Linke einen Sieg nach dem anderen, ohne daß die Weltöffentlichkeit davon sonderlich Notiz zu nehmen scheint (Zusammenfassung Nr. 51 vom 24. Dezember 2005). Vor 20 Jahren sah das noch ganz anders aus. Damals waren die Auseinandersetzungen in einem so winzigen Staat wie Nicaragua regelmäßig in den deutschen Abendnachrichten. Heute interessiert die bedenkliche Entwicklung in der Region kaum noch ein Massenmedium.
Die in der Humboldt-Uni Versammelten sind da schon eifriger bei der Sache. Als der kubanische Botschafter vom Podium begrüßt wird, spenden die rund 1500 Anwesenden frenetischen Beifall. Allein die Erwähnung des Namens von Fidel Castro verursacht sofort ein Kreischen, das durch die Reihen des größten Hörsaals geht. Es ist wie bei einem Popkonzert, nur daß der Star und die meisten seiner Fans im Rentenalter sind. Und zuweilen einnicken.
Nach Steffan spricht Hans Heinz Holz, ein Vordenker der Kommunisten aus der Schweiz. Er erläutert sein Konzept der sozialistischen Demokratie (im Gegensatz zur bürgerlichen Demokratie, der „Demokratie der Herrschenden“, wie er sich auszudrücken pflegt). Man muß es den Alt-Linken zugestehen: Sie verstellen sich nicht und machen aus ihren Wünschen kein Geheimnis.
„Der revolutionäre Übergang (zum Kommunismus, Anm. d. Verf.) kann nicht ohne Waffengewalt geschehen“, holzt der Ideologe sogleich los. Denn: Eine Klasse, die ihr Eigentum verteidige, tue dies mit Händen und Füßen, so Holz weiter. Der Saal tobt.
Auf den Gängen des altehrwürdigen Universitätsgeländes werden neben belegten Brötchen und Kaffee allerlei Devotionalien feilgeboten. Zeitungen wie das „Neue Deutschland“ oder die „Junge Welt“ locken mit Probeabos. Einen Tisch weiter können Anstecker mit den „Helden der Revolution“ erworben werden. In offener Verhöhnung der Zigmillionen Opfer des roten Terrors sind sogar Lenin, Stalin und Ulbricht für je zwei Euro im Angebot.
Nachmittags kommt der Stargast: Oskar Lafontaine. Sein Auftritt ist hier nicht unumstritten. Der Veranstalter spricht von einer Provokation, schließlich gilt der Saarländer den Linksextremen als „deutschnationaler Populist“. Vor der Tür verteilen Aktivisten Flugblätter, in denen steht, was „man über Lafontaine wissen sollte“.
Doch dem früheren SPD-Vorsitzenden gelingt es schnell, die Herzen der Alt-Linken zu erobern. Er geißelt die angebliche „kulturelle Hegemonie des Neoliberalismus“. Selbst die Gewerkschaften seien von diesem „Virus infiziert“, klagt der Ex-Finanzminister. Den etablierten Parteien wirft er vor, die Gelder für „Alte, Kranke, Pflegebedürftige und Arbeitslose zu kürzen“ und das ganze hinter dem Begriff „Senkung der Lohnnebenkosten“ zu verbergen.
Als er auf die Außenpolitik eingeht, gibt es kein Halten mehr. Lafontaine kritisiert, Deutschland sei kein souveränes Land. Die Zusammenarbeit mit den USA gehöre aufgekündigt. Deren Handeln im Nahen Osten bezeichnete er als „Staatsterrorismus“. Lafontaine: „Terrorismus ist immer das Töten Unschuldiger, um politische Ziele zu verwirklichen. Das gilt nicht nur für einen bestimmten kulturellen Teil der Welt.“
Während drinnen Lafontaine das Vertrauen der Genossen zurückgewinnt, sticheln draußen noch Linkere unverdrossen gegen den Hauptredner. Die Splittergruppe der sogenannten Spartakisten hat Plakate aufgebaut, auf denen eine Warnung zu lesen steht: „Sozialismus a la Lafontaine: Nationalistischer Protektionismus im Namen eines sozialen kapitalistischen Europas.“ Linke unter sich.
Eine junge Frau namens Nadja verteilt die Kampfpostille „Spartakist“ und warnt eindringlich – vor Lafontaine ebenso wie vor falschen „Hoffnungen“ auf eine neue Revolution in Lateinamerika: „Hugo Chávez ist kein Sozialist.“ Was denn dann? „Na ein bürgerlicher Politiker“. Fotografieren läßt sie sich nur ungern. „Ich lächle nicht so gern“, sagt sie. Das tut hier keiner. H. F.
Rund 20000 Kommunisten marschierten vergangenen Sonntag durch die Hauptstadt – „für Karl und Rosa“ |
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