|
Nicht 4,3 sondern fast sechs Millionen Arbeitslose gibt es in Deutschland, stellte jetzt der Vorsitzende des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jürgen Donges, klar. Gut eineinhalb Millionen „verdeckte“ Erwerbslose würden von der offiziellen Nürnberger Statistik überhaupt nicht erfaßt.
Damit setzte der „Wirtschafts weise“ dem Skandal um die gezinkten Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit (BA) die Krone auf. Das Unvermögen von Politik und Verwaltung, die katastrophale Lage am Arbeitsmarkt in den Griff zu bekommen, ist offensichtlich.
Als Kernfehler des deutschen „Arbeitsmarktes“ tritt zutage, daß er in Wahrheit gar keiner ist - kein „Markt“ genau gesagt. Die Bundesanstalt funktioniert nach den Prämissen einer staatlichen Zuteilungsstelle, wie sie für die (gescheiterten) Planwirtschaften prägend war. Verwaltungsangestellte sollen die passenden Stellen und Bewerber einer hochspezialisierten Volkswirtschaft zu- einanderbringen. Sie sollen Arbeitsplätze besetzen, von deren genauem Profil sie gar keine intimen Kenntnisse haben können.
Arbeitgeber beschweren sich in Legion über zahl- wie ergebnislose Gesprächsrunden mit Bewerbern, die vom staatlichen Vermittler schlicht zum falschen Betrieb geschickt wurden. Doch Kritik an ihrer Arbeit bügelten die BA-Chefs wie zuletzt Bernhard Jagoda mit dem Hinweis auf ihre respekteinflößenden Vermitt- lungsergebnisse weg. Mit Zahlen, die massiv geschönt waren.
Experten wie Jürgen Donges fordern nun noch nachdrück-licher, die Arbeitsvermittlung in Deutschland endlich marktwirtschaftlich zu organisieren. Da mochte man fast erleichtert aufatmen, als der in die Enge geratene SPD-Arbeitsminister eiligst versprach, über eine Lockerung der Auflagen für (besser: gegen) private Stellenvermittler nachzudenken, welche sich bedarfsgerecht spezialisieren können. Bislang dürfen Arbeitsuchende erst nach sechs Monaten vergeblicher amtlicher Bemühungen einen „Privaten“ einschalten.
Wer indes eine schnelle Reform erwartet, hat die Rechnung ohne den Riester gemacht. Bevor er mit dem Nachdenken anfängt, will der altgediente Gewerkschaftsfunktionär nämlich zunächst das „weitere Vorgehen“ der Nürnberger Bundesanstalt beobachten. Was dabei herauskommt, ist absehbar: Ein paar Bauernopfer für die Medien, energische Sprüche und spätestens mit der (allein jahreszeitlich bedingten) Erholung am Arbeitsmarkt zum Frühjahr die Meldung, angeblich „tiefgreifende Maßnahmen“ bei der BA hätten schon „sichtbare Wirkungen gezeigt“. Die Arbeitsvermittlung von Grund auf zu reformieren sei daher überflüssig.
Die alte Bundesrepublik war insgesamt ein sagenhaftes wirtschaftliches Erfolgsmodell. Vieles an ihr ist verteidigenswert, anderes aber muß dringend überarbeitet werden. Doch wie es scheint, werfen die Verantwortlichen gerade die zukunftsträchtigen Errungenschaften über Bord, während sie an den verknöcherten Teilen eisern festkleben. Die BA oder die ineffiziente Sozial- und Steuerpolitik etwa bleiben unangetastet. Die einst so stabile Währung und jene in den Gründer-jahren selbstverständliche Haus- Haushaltsdisziplin hingegen landen im Gully.
Einer längst unzeitgemäßen Art von staatlicher Arbeitsmarkt-Bewirtschaftung ausgeliefert, verkeilt in gesetzgeberische Regelungswut im Arbeitsrecht und eine Abgabenlast, die legale Erwerbstätigkeit für große Bevölkerungsgruppen zum Verlustgeschäft macht, bleiben Wirtschaft und Arbeitsmarkt folgerichtig im Morast stecken. Als reiche das nicht schon, steckt Gerhard Schröder nun auch noch den letzten Rest von Währungsstabilität, der von der Mark in den Euro gerettet werden konnte, in Brand.
Die BA-Krise einerseits und Kanzler Schröders Wegkungeln des „Blauen Briefes“ aus Brüssel andererseits sind die Symptome einer Politik, die ausgerechnet das Fehlgeschlagene verewigt und das Bewährte wegwirft. Denn: Die Rücknahme der Brüsseler Mahnung wegen des deutschen Defizits wurde mit dem Tod des Stabilitätspakts erkauft. Künftig wird dieser Präzendenzfall für jeden erdenklichen Schlendrian herhalten.
Es fällt schwer, zwischen dem Berliner Sündenfall und der Rücktrittsankündigung von EZB-Chef Wim Duisenberg keinen Zusammenhang zu sehen. Der stabilitätsbewußte Holländer weiß: Nachdem sich die Deutschen derart blamiert haben, ist eine Politik des harten Euro gegen die Weichmacher aus Frankreich, Italien oder Griechenland nicht mehr zu halten. Elisa Wachtner
|
|