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Besser praevenire als praeveniri

 
     
 
Maria Theresia von Österreich hat ihrem Zeitgenossen Friedrich dem Großen nie verziehen, daß er ihre Schwäche zu Beginn ihrer Regierungszeit ausgenutzt hat, um ihr im Ersten Schlesischen Krieg (1740-1742) Schlesien zu nehmen. Sie sann fortan auf Revanche. Den Zweiten Schlesischen Krieg (1744/1745) verlor sie wie den ersten. Sie führte dieses auf ihre Verbündeten zurück. In beiden Kriegen hatte Frankreich auf der Seite des Hauptgegners Preußen gestanden. Bei der nächsten Auseinandersetzung um Schlesien wollte die Österreicherin die fortschrittlich
ste und wirtschaftlich potenteste Festlandsgroßmacht auf ihrer Seite wissen. Das war ein sehr ehrgeiziges Projekt, denn über Jahrhunderte war es ein primäres Bestreben der Bourbonen gewesen, die gemeinhin den Kaiser im Heiligen Reich stellenden Habsburger zu schwächen. Über Ludwigs XV. Favoritin, Jeanne-Antoinette Poisson, Marquise de Pompadour, wandte sich der österreichische Botschafter an den französischen König und stellte ihm die Überlassung eines Teiles der Österreichischen Niederlande an dessen Schwiegersohn Philipp von Parma in Aussicht. Dieses reichte dem Franzosen jedoch noch nicht, um mit der traditionellen, antihabsburgischen Außenpolitik zu brechen. Den entscheidenden Anstoß mußte erst noch Friedrich der Große selber liefern.

1756 lief das französisch-preußische Bündnis aus. Friedrich war das Umwerben seines französischen Verbündeten durch Österreich nicht unbemerkt geblieben, und er befürchtete, mit Frankreich auch noch die letzte Großmacht an seiner Seite zu verlieren und dann Österreich alleine gegenüberzustehen. Er wandte sich deshalb Frankreichs Hauptrivalen im Streben um Kolonien zu, Großbritannien. Im Juni 1755 eskalierten die britisch-französischen Kolonialrivalitäten. Vor der amerikanischen Küste griff ein englisches Geschwader drei französische Linienschiffe an. Im darauffolgenden Monat setzte Maria Theresias begabter Staatskanzler Wenzel Anton Graf Kaunitz auf einer Staatskonferenz die Grundsatzentscheidung durch, für ein Bündnis mit Frankreich notfalls auch die traditionelle Freundschaft mit Großbritannien zu opfern, da deren Bündnisleistungen sich in der Regel mehr oder weniger auf Subsidienzahlungen, sprich: finanzielle Unterstützung, beschränkten. Diese Wiener Konferenz war zwar geheim, doch blieb Österreichs neue Bündnispolitik auch den Briten nicht unbemerkt. Wer sollte nun das durch Personalunion mit ihnen verbundene relativ schwache Kurfürstentum Hannover vor den Franzosen schützen, wenn Österreich die Seiten wechselte, fragten sie sich. Diese Frage machte Preußen als Bündnispartner für die Insulaner attraktiv.

Durch die internationale Entwicklung wurde jedoch nicht nur Preußen für Großbritannien, sondern umgekehrt auch Großbritannien für Preußen als Bündnispartner zusehends attraktiver. Ende August erfuhr Friedrich der Große vom Abschluß eines Bündnisvertrages zwischen England und Rußland. Wie jeder vernünftige preußische Herrscher hatte auch er vor Rußland großen Respekt. Der britische Gesandte in Berlin ging sogar soweit, dem Preußenkönig eine größere Angst vor Rußland als vor Gott nachzusagen. Jedenfalls sah der britisch-russische Vertrag vor, daß Rußland gegen die Zahlung hoher Subsidien 55000 Soldaten in Hannover zu dessen Schutz stationierte. Um diese Umklammerung durch Russen abzuwehren, schlug Friedrich Großbritannien eine Alternative vor, das Kurfürstentum zu schützen. Am 7. Dezember 1855 schrieb er nach London: „Ich glaube, die Sache könnte sich machen, indem der König von England und ich für die Zeit der augenblicklich bestehenden Wirren einen Neutralitätsvertrag für Deutschland abschlössen, ohne weder die Franzosen noch die Russen zu erwähnen, um niemanden zu verstimmen, und um mich durch diese Maßnahme instand zu setzen, desto wirksamer auf die Aussöhnung der beiden verfeindeten Nationen hinzuwirken.“ Neun Tage später wurde eine entsprechende preußisch-britische Konvention zur Neutralisierung Deutschlands in Westminster unterzeichnet.

Wenn entsprechend Friedrichs Wunsche wie Rußland auch Frankreich nicht explizit genannt wurde, so erkannten doch die Franzosen, daß Friedrichs Zusicherung, Hannover weder anzugreifen noch zu einem Angriff auf das Kurfürstentum fremden Truppen das Recht zum Durchmarsch zu gewähren, gegen sie gerichtet war. Sie betrachteten das Verhalten des Preußen als Verrat und führten nun den Bündnispartnerwechsel durch, für den Österreichs Kanzler Kaunitz so lange vergebens geworben hatte. Am 1. Mai 1756 schloß Frankreich mit Österreich in Versailles einen Neutralitäts- und Verteidigungsvertrag.

Für Österreichs Neutralität im britisch-französischen Krieg sicherte Frankreich seinem Vertragspartner zu, nicht nur auf einen eigenen Angriff auf ihn zu verzichten, sondern diesem sogar militärische Hilfestellung zu leisten, wenn er vom Osmanischen Reich oder Preußen angegriffen würde.

Ebenso wie in Versailles war Wien auch in Sankt Petersburg erfolgreich. Friedrichs Hoffnung, daß sich über das gute Verhältnis Berlin-London und London-Petersburg auch das Verhältnis Berlin-Petersburg verbessern würde, erfüllte sich nicht. Dafür war die Zarin ob Friedrichs spitzer Bemerkungen über ihr ausschweifendes Liebesleben zu erbost. Elisabeth erklärte sich auf Anfrage aus Wien nicht nur mit den österreichisch-französischen Abmachungen einverstanden, sondern schlug darüber hinaus ein umfassendes Offensivbündnis vor. Gemäß ihren Kriegszielen sollte nicht nur Österreich Schlesien zurückerhalten, sondern darüber hinaus ihr eigenes Land Ostdeutschland bekommen, um es gegen Kurland an Polen eintauschen zu können. Das Bündnissystem der drei kontinentalen Großmächte sollte später um Sachsen und Schweden erweitert werden. Sachsen sollte dafür mit dem Gebiet um Magdeburg und Schweden mit Preußisch-Pommern belohnt werden. Bemerkenswerterweise war es nicht Maria Theresia, sondern Elisabeth die zu schnellem Zuschlagen drängte. Österreich hingegen wollte erst das antipreußische Bündnissystem aus französisch-österreichischer und österreichisch-russischer um eine französisch-russische Komponente vervollständigen und seine Rüstung vervollkommnen. Zudem griff das österreichisch-französische Bündnis ja nur, wenn Österreich von Preußen angegriffen wurde. „Niemand hier will Eure Majestät angreifen“, wurde Friedrich von seinem Gesandten in Wien denn auch gemeldet, „weil man dann allein und ohne Verbündete dastünde. Sondern man will Euer Majestät die Rolle des Angreifers aufbürden und sammelt zu diesem Zweck Vorwände aller Art, um dann dem Publikum weismachen zu können, daß Preußen den Frieden gebrochen habe. Denn man ist hier zu allem fähig.“

Friedrich sah sich vor der Wahl, entweder um jeden Preis einen eigenen Angriff zu vermeiden, in der Hoffnung, daß dann das französisch-österreichische Bündnis niemals zur Wirkung kommt, oder anzugreifen, bevor das Bündnissystem und die Rüstung der „drei Unterröcke“ vervollkommnet waren. Friedrich vertrat in dieser Frage den Standpunkt: „Besser praevenire als praeveniri“, sprich: lieber zuvorkommen, als sich zuvorkommen lassen.

Am 28. August 1756 schrieb Friedrich an seine Lieblingsschwester Wilhelmine, der Markgräfin von Bayreuth: „Meine liebe Schwester. Wir sind in vollem Marsch, um uns Ihnen zu nähern. Unser Briefwechsel wird dadurch nur noch lebhafter werden. Ich will meinem dicken Nachbarn einen kleinen Besuch abstatten.“ Einen Tag später fielen 61000 Preußen in das mit Österreich zwar traditionell sympathisierende, aber zumindest formal nicht verbündete Sachsen ein. Bereits vier Jahre vor diesem Beginn des Dritten Schlesischen Krieges, der ob seiner Länge als Siebenjähriger Krieg in die Geschichte einging, hatte Friedrich in seinem „Politischen Testament“ geschrieben: „Wenn Sachsen im Bunde mit der Königin von Ungarn stünde, so würde dies die Eroberung erleichtern. Damit wäre ein Vorwand gegeben, in Sachsen einzurücken, die Truppen zu entwaffnen und sich in diesem Lande festzusetzen.“
 
     
     
 
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