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Vor 25 Jahren gründete Marianne Kühn, die Ehefrau des damaligen Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Heinz Kühn, in ihrem Haus am Roteichenweg in Kölns Gartenvorort Dellbrück die Naive-Kunst-Galerie. In 65 Ausstellungen widmete sie sich der Malerei und der Bildhauerei von Naiven aus der ganzen Welt, unter anderem aus Osteuropa, Israel, Äthiopien, Argentinien, China und Tansania.
Im Mittelpunkt der Schar von rund 250 Ausstellern standen allerdings jene aus Mittel und Westdeutschland sowie den deutschen Ostgebieten. Aus Ost- und Westpreußen stammen Minna Ennulat, Gertrud George, Irene Jahn, Edda Kirchgaesser, Marek Radke, Juschi Otte, Erich Grams, Manfred Söhl und Edeltraut Pankraz, aus Pommern Renate Hille, aus Mecklenburg Christiane Seymour sowie aus Schlesien Rita Martin, Eva Blum, Ursula Rumin, Marta Vogt, Sigrid Lokowandt, Eva-Maria Sonneck und Annemarie Pietschner. In Berlin wurden Horst Siebert und Jutta Römer geboren, in Thüringen Gerda Marquardt, in Sachsen Ulrich Pietzsch, Eva Hoyer, Hein Köhler, Ines Schulze, Gisela Braunsdorf und Olaf Ulbricht. Ferner sind zu nennen Antje Eckardt aus Kronstadt in Siebenbürgen, Marianne Kirchner aus Pilsen und Ilona Klawitter aus Melnik. 1983 setzte Marianne Kühn die Ausstellung von Blume nbildern der 1912 in Pulnitz geborenen und in Pirna bei Dresden lebenden Johanna Ksier unter die Überschrift "Naive Kunst aus der DDR".
Anläßlich des 25. Jubiläums im Jahr des 90. Geburtstages der Galeristin findet einen repräsentative Dreierausstellung statt, die noch bis März dauert. Eduard Odenthal (geboren 1929 in Köln) vertritt seine westdeutschen Kollegen. Er ist durch seine Kölner Stadtansichten bekannt geworden, von ihm stammen auch die Bilder "Schneekoppe im Riesengebirge", "In der Ukraine" und "Trachtenpaar in Polen". Die Bildhauerin Renate Hille (geboren 1940 im pommerschen Bogenhagen) weist nach Ostdeutschland.
Ihre bemalten Holzfiguren komponiert sie aus Fundstücken und Möbelfragmenten zu Menschen und Tieren voller Witz und Humor, Geist und Charme. Vivian Ellis (geboren 1933 in Orleans, Louisiana), seit 1961 in München als Krankenschwester tätig, schlägt mit ihren Bildern eine Brücke zwischen den beiden Kontinenten. Sie malt vorzugsweise biblische, aber auch Szenen aus dem Alltagsleben ihrer Landsleute.
Die Laienkünstler gehen ihren Berufen nach, sind erziehende Mütter und Hausfrauen, Landwirte, Handwerker, Beamte und Ärzte. Sie malen und bildhauern aus Liebe zur Kunst, haben allerdings nie Kunstunterricht gehabt, und ihre Arbeiten entstehen ohne Kenntnisse von Anatomie und Perspektive. Die Themen sind Familienleben, Darstellungen des Alltags und des Berufs, biblische Szenen. Mensch, Tier und Pflanze, Stadt und Land sind die Motive. Die künstlerischen Stile gleichen sich. Weder gucken die Naiven ihren akademischen Kollegen Pop Art oder abstraktes Komponieren ab, noch hatten politische Tendenzen der SED in der DDR Einfluß auf das "naive Bild der Welt".
Während die Naive-Kunst-Galerie in Köln über die Grenzen hinaus bekannt wurde, haben alle anderen privaten Galerien dieser Art in der Domstadt am Rhein ihre Pforten geschlossen. Ein Museum naiver Kunst gibt es dort nicht. Vor Jahren hat die Gründerin Marianne Kühn der Stadtverwaltung eine großzügige Stiftung angeboten. Es gab unzählige Gespräche und eine umfangreiche Korrespondenz. Der Tenor läßt sich in einem Satz zusammenfassen: "Mir scheint die Idee einer Sammlung naiver Kunst im Kontext eines Museums Ludwig durchaus sympathisch und nachdenkenswert." (Aus einem Schreiben des Kulturdezernates 1981.) Letzten Endes wurde die Schenkung abgelehnt, obwohl nach dem Auszug des Wallraf-Richartz-Museums aus dem Doppelgebäude Räume frei wurden. Heute besitzt Köln einen einzigen Ort, wo man sich mit der naiven Kunst auseinandersetzen und sich an ihr erfreuen kann: Bei Marianne Kühn - das sollte man nicht übersehen - wird auch der Bogen zwischen Ost und West gespannt.
In Recklinghausen beherbergt das Vestische Museum seit rund 50 Jahren Exponate naiver Künstler. Diesem Museum stiftete nun Marianne Kühn 360 Gemälde, Skulpturen und Plastiken aus ihrer kostbaren Sammlung. Diese Stadt, die auch ein Ikonen-Museum besitzt, das die Blicke nach dem christlich-orthodoxen Osten öffnet, hat im Rahmen der Ausstellungen der Ruhrfestspiele, die vorrangig an die Adresse der Kumpel aus dem Ruhrgebiet gerichtet waren, wiederholt auch Laienkunst dargeboten. In der Kunst- und Museumsstadt Köln geschieht das weiterhin einzig und allein in Marianne Kühns Naive-Kunst-Galerie.
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