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Der anhaltende Streit um das tschechische Atomkraftwerk Temelín wird hierzulande von vielen Menschen verfolgt. Erst recht, nachdem die FPÖ in Österreich ein erfolgreiches Volksbegehren gegen den Reaktor initiierte und Ende Januar auch Bayerns Umweltminister Schnappauf gegenüber der Welt am Sonntag Sicherheitsbedenken anmeldete.
Weniger bekannt ist die Auseinandersetzung um das bulgarische AKW Kosloduj. Bulgarien ist im Vergleich zum benachbarten Böhmen weit weg und die Bedrohung durch eventuelle Störfälle entsprechend geringer.
Trotzdem verdient das Hickhack in balkanischen Gefilden unsere Aufmerksamkeit, weil es aufzeigt, wie sich Abschaltungsforderungen für ein nach sowjetisch er Bauart errichtetes, technisch veraltetes Kernkraftwerk zur innen- und außenpolitischen Zerreißprobe auswachsen.
Im Jahr 1999 hatte die bulgarische Regierung mit der Europäischen Kommission eine Vereinbarung unterzeichnet, wonach bis Ende 2002 der erste und zweite Block von Kosloduj geschlossen und eine Frist für die Stillegung der Blöcke 3 und 4 festgelegt werden soll. Der letztere Punkt war heftig umstritten und ist es bis heute geblieben: Während Sofia die Abschaltung des Kernkraftwerks nicht vor 2008-2010 wünscht, beharrt Brüssel auf einem Termin zwischen 2006 und 2008.
Noch bis zum Januar dieses Jahres schienen die Fronten festgefahren. Dann brachte der nationalkonservative Ministerpräsident Simeon Sakskoburggotski (alias Zar Simeon II. von Sachsen-Coburg) nach einem Treffen mit seinem griechischen Amtskollegen Kostas Simitis in einem Gespräch mit Journalisten die Diskussion in Bewegung.
Wörtlich sagte er: „Die wahrscheinliche Frist für die Schließung der Reaktorblöcke Nr. 3 und 4 im AKW Kosloduj ist das Jahr 2006.“ Faktisch bedeutete das die Anerkennung der Maximalforderung der Europäischen Union.
Sofort hagelte es Proteste seitens der Opposition, es gab unklare oder verlegene Kommentare von Kabinettskollegen sowie allerlei Mutmaßungen, ob es sich um einen Alleingang des Regierungschefs handelte oder um die Gegenleistung für einen in Aussicht gestellten früheren Beitrittstermin zur EU und NATO.
Die Tageszeitung Dnevnik zitierte regierungsnahe Quellen mit der Behauptung, der Ministerpräsident habe sich tief beeindruckt gezeigt vom Temelín-Streit und den Wiener Drohungen eines Beitrittsboykotts gegen Tschechien.
Um die Bedeutung des Zugeständnisses zu ermessen, muß man wissen, daß auf Kosloduj fast die Hälfte der gesamten Stromerzeugung Bulgariens entfällt und der billige Atomstrom in fast alle Länder des Balkans exportiert wird. Außerdem wurde in den letzten Jahren in die Modernisierung der Blöcke 3 und 4, die 15 Prozent der nationalen Stromkapazitäten ausmachen, über 100 Millionen US-Dollar investiert.
Bulgarische Fachleute befürchten nach der Abschaltung von Kosloduj einen Kollaps der nationalen Energieversorgung, Abhängigkeit von teuren Importen und einen Anstieg der Strompreise um 15 bis 60 Prozent. Eines scheint daher sicher: Das letzte Wort in der Auseinandersetzung um Kosloduj ist trotz der Äußerungen des Ministerpräsidenten noch längst nicht gesprochen.
Das deutschsprachige Bulgarische Wirtschaftsblatt zitierte in ihrer Februarausgabe denn auch einen hochrangigen Regierungsvertreter mit der Bemerkung, der Standpunkt Sakskoburggotskis spiegele nicht die „offizielle Position Bulgariens“ wider. (LvV)
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