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Ostdeutschland liegt weit ab von den großen keramischen Zentren und war in älterer Zeit auf eigene Produktion angewiesen", schrieb Karl Heinz Clasen 1926 in seinem Buch "Deutsche Volkskunst - Ostdeutschland". "Erst mit dem Ausbau der Eisenbahnen kamen Bunzlauer und hessische Waren auf den Markt. Bis dahin besaß das Land seine großen Töpfereien, namentlich am Frischen Haff von Cadinen bis Elbing, aber auch im Oberland in fast allen kleineren Orten ..."
Reiche Tonlager um Cadinen und an einem Teil der Haffküste hatten es mit sich gebracht, daß dort Ziegeleien entstanden waren, so auch auf dem Rittergut Cadinen, das eine Handstrichziegelei besaß. Cadinen wird urkundlich erstmals 1255 erwähnt und wechselte mehrmals den Besitzer. Zu besonderer Bedeutung aber gelangte es, als am 15. Dezember 1898 Kaiser Wilhelm II. das Gut erwarb. Er ließ die Handstrichziegelei modernisieren und für die Arbeiter Häuser im englischen Landhausstil bauen. 1903 begann man dann mit der Herstellung unglasierter roter Terrakotta, 1904 mit der farbig glasierten Majolika. Dieses Jahr gilt als die allgemeine Eröffnung der Fabrikation von Kunstkeramik in Cadinen. 1905 schließlich wurde die Majolika-Werkstatt in Betrieb genommen.- "Majolika bezeichnete ursprünglich italienische, weiß und farbig glasierte Keramik", liest man in einschlägigen Nachschlagewerken. "Der Name leitet sich von Mallorca ab, woher im Mittelalter maurische Keramik nach Italien kam. Im späten 19. Jahrhundert bürgerte sich der Begriff allgemein für bemalte und glasierte Kunstkeramik ein." Maler und Handwerker kamen aus Cadinen und den Nachbarorten, aber auch von weit her. "Bei der Produktion aus Cadinen, namentlich der früheren aus der Zeit zwischen etwa 1903/4 und 1918, hat man es mit Werken zu tun, die dem Kunstgeschmack Wilhelms II. entsprachen. Von Anbeginn scheint sich der Kaiser die letztendliche Genehmigung aller Entwürfe für die Cadiner Produktion vorbehalten zu haben", schreibt Jörn Barfod in der bei Husum herausgekommenen Publikation zur Ausstellung (bis 19. Oktober) im Ostdeutschen Landesmuseum Lüneburg: Des Kaisers Keramik - 100 Jahre Königliche Majolika-Werkstätten Cadinen (48 Seiten mit zahlr. farbigen und sw Abb., brosch., 6 Euro). "Aus heutiger Sicht", so Barfod weiter, "ist diese enge Bindung der Cadiner Keramik an den persönlichen Geschmack Wilhelms II., vor allem bis in die 1920er Jahre hinein, von besonderem Interesse. Der Kunstgeschmack des Kaisers war vom Historismus geprägt, und dies zeigten auch die Cadiner Keramiken deutlich. Sie reflektieren Gefäßformen und Dekore von Vorbildern v. a. der griechischen Antike und der italienischen Renaissance, oft eben der eigentlichen Majolika, gehen aber in der Nachahmung sogar bis auf ägyptische Vorlagen zurück. Daneben sind Produkte deutlicher Neoromantik und Neorenaissance zu erkennen, aber auch solche des Jugendstils ..."
In Cadinen entstanden Gegenstände für den alltäglichen Gebrauch - Tafelgeschirr, Aschenbecher, Wandteller, vor allem aber Kunstgegenstände zur Verschönerung des Heims wie Reliefs, Büsten und kleine Tierplastiken. Baukeramik hingegen verbreitete den Ruf der Werkstätten bis ins Reich. Jeder Entwurf bildete ein in sich geschlossenes Ganzes und unterschied sich dadurch von herkömmlicher, serienmäßiger Baukeramik. Erste Aufträge erhielten die Cadiner aus Berlin, so für die Ausschmückung des Cadiner Saales im Weinhaus Kempinski und den Cadiner Hof im Kaufhaus Wertheim. Aus Danzig kam der Auftrag, die Decke des Schalterraums und die Gewölbeverkleidungen im Vestibül des Reichsbankgebäudes (heute ist dort die Polnische Nationalbank beheimatet) zu gestalten. Kacheln und Fliesen wurden für die in Berlin damals neu entstehenden Unter- grundbahnhöfe wie Kaiserhof, Klosterstraße und Reichskanzler-Platz (heute Theodor-Heuss-Platz) oder für den (alten) Hamburger Elbtunnel hergestellt. Doch auch in Ostdeutschland waren viele Beispiele aus der Produktion von Cadinen zu finden, so im Hauptbahnhof in Königsberg (Wartesaal dritter Klasse, Friseurraum), in der Eingangshalle des beliebten Alhambra-Kinos oder in der Vorhalle der Berufsschule in Osterode. Im Hamburger Nobel-Hotel Atlantic findet sich ein Fliesenbild mit dem Ganzkörper-Porträt Kaiser Wilhelms II.
In einem Beitrag für die vorliegende Publikation beschreibt Frank Heinrich eingehend die Bedeutung der Baukeramik für Cadinen, vergleicht sie aber auch mit der Produktion der Großher- zoglichen Majolika-Manufaktur in Karlsruhe. Beide orientierten sich an dem Historismus, beide erhielten Aufträge aus anderen deutschen Gebieten. So gestalteten die Karlsruher Abteilungen der Berliner Wertheim-Kaufhäuser.
Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges brachte Wilhelm Dietrich die Werkstätten zu neuer künstlerischer Blüte. Wirtschaftlichkeit war nun besonders gefragt. So produzierte man neben damals sehr geschätzten Tiergruppen nach den Entwürfen von Arthur Steiner oder Albert Heinrich Hussmann auch Ofenkeramik, darunter Kacheln nach Vorbild barocker Öfen aus Elbing und Danzig. Dietrich soll es auch gewesen sein, der den heute noch so beliebten Farbdreiklang Cadiner Rot, Kobaltblau und Gold fand. Oft wurden nun andere Materialien wie Bernstein oder Silber mit dem feinen Ton kombiniert.
Der Zweite Weltkrieg brachte schließlich das Ende: unter polnischer Leitung wurde zwar die Backsteinproduktion wieder aufgenommen, berichtet Barfod, "Ansätze einer Kunstkeramik kamen über kleine Anfänge nicht hinaus". Das Cadiner Schloß beherbergt heute Hotelgäste ... - Und so ist die Broschüre aus dem Husum Verlag nicht zuletzt auch eine Erinnerung an eine versunkene Zeit und ihre Schätze, von denen auf wundersame Weise jedoch eine stattliche Zahl die Wirren des 20. Jahrhunderts überstanden hat.
Vielseitige Produktion: Rote Keramik mit Silber (um 1910, unten) un´d Kaffeegeschirr in Bauhausformen (um 1925/30)
Fotos: aus dem vorgestellten Band Tierplastiken: Löwengruppe nach einem Entwurf von Arthur Steiner |
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