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Ratlos schaut Heinrich Wulfes, 59, Bauer aus dem mecklenburgischen Zirtow und Vorsitzender des Landbundes Mecklenburg-Vorpommern, auf einen Papierstapel mit offiziellen Anfragen aus dem Kreis seiner Privatlandwirte. Die meisten von ihnen, die sich auf kleinen Höfen im Wiederaufbau abrackern, darunter Bio- und Ökobauern, Nebenerwerbslandwirte und Enteignungsopfer der Landwegnahmen aus der SBZ/DDR-Zeit, die ihre Betriebe wieder einrichten, wollen wissen, ob sie es überhaupt riskieren können, bei dem großspurig als "größtes Privatisierungsprogramm deutscher Agrargeschichte" propagierten Landkauf Ost überhaupt mitzumachen. Denn zu oft schon haben die in ihren Dörfern so verwurzelten Landleute seit der Wende von 89/90 bittere Enttäuschungen erlebt.
Und nun geistert seit einigen Wochen ein neues Gespenst durch die Dörfer der jungen Länder: die Angst vor gefährlichem Risiko beim Landerwerb aus Bundesbesitz und vor neuen Überraschungen in der schier unendlichen Geschichte der verworrenen Eigentumspolitik Ost.
Der Fall des Bauers Ulrich Goldbach und seines Vaters Siegfried aus dem sächsischen Bobritzsch ist typisch für das neuerliche Chaos in der ländlichen Szene zwischen Ostsee und Erzgebirge. Goldbach ist bisher der einzige Landerwerber er kaufte 1997 seine von den Kommunisten enteigneten Felder zurück , dem es dank eines guten Tips sozusagen in letzter Minute gelang, eine ihm abverlangte Nachzahlungssumme von sage und schreibe vierzigtausend Mark für und 30 Hektar Ackerland von der Treuhandnachfolgerin BVVG zurückzuholen. Aus purer Angst, seine einst väterlichen Felder zum zweiten Mal zu verlieren, hatte er sofort den vom Finanzministerium verlangten "Nachschlag" gezahlt. Und das ohne Grund weil für ihn die neuerliche Nachzahlungspflicht als Geschädigter der SBZ/DDR-Enteignungen, der überdies schon 1997 das Land kaufte, rechtlich überhaupt nicht gilt.
Wenn auch bei Landwirt Goldbach der Bauernfang mißlang: Für viele, so fürchten Bauernbetreuer Wulfes und seine Kollegen, kommt die Aufklärung über Eichels unberechtigten Nachschlag wahrscheinlich schon zu spät: formeller Fristablauf des Verwaltungsakts! Der müßte dann umständlich angefochten und für ungültig erklärt werden.
Die Vorgeschichte: Der Bund, nach der Wende 1990 Erbe von 1,8 Millionen Hektar "volkseigenem" Agrarland der DDR, versucht die Äcker, Wiesen und Wälder zum eigenen Nutzen zu verkaufen. Zwischen acht und fünfzehn Milliarden DM könnte das Geschäft dem Fiskus einbringen. Aber auf dem unverdienten Glück scheint kein Segen zu liegen. Im Bundesbahnhof für Eigentumsverschiebung entgleist ein Zug nach dem anderen. Und jetzt droht ein Chaos, wie es in der Europäischen Union einmalig sein dürfte. Denn die sogenannte Privatisierung der jetzigen und der vorigen Bundesregierung rief die EU-Wettbewerbshüter gleich mehrfach auf den Plan.
Zum ersten gelten die von 1995 bis 2000 von Bonn geforderten und von den Käufern auch bezahlten, um über die Hälfte des Wertes vergünstigten Landkaufpreise nur für frühere Geschädigte, nicht aber aus Gründen des fairen Wettbewerbs für die sonstigen Erwerber, insbesondere nicht für die von deutschen Politikern und Ämtern merkwürdigerweise vorrangig bedachten Ex-Funktionäre der früheren DDR-Agrarkombinate (LPG). Brüssel: "Keine Sonderrechte für die roten Barone!" Die Folge: Saftige Nachzahlungen werden fällig für rund 90 Prozent der Erwerber, nicht allerdings für Bauern wie Ulrich Goldbach, die vor 1999 gekauft hatten und als Enteignungsopfer ihr eigenes Land auch gratis so die EU-Kommission hätten zurückerhalten dürfen, ohne daß dies ein Wettbewerbsverstoß wäre.
Zum zweiten läuft gegen das durch Intervention der EU geplatzte und daraufhin von der Bundesregierung hastig neu zusammengeflickte "Flächenerwerbsprogramm" beim Europäischen Gericht in Luxemburg eine aussichtsreiche Klage, die für die deutsche "Aktionsgemeinschaft Recht und Eigentum" der renommierte Europarechtler Prof. Dr. Pechstein als Prozeßbevollmächtigter führt. Scheitert das neue deutsche Flächenerwerbsprogramm aus Gründen des EU-Wettbewerbsrechts und hierfür spricht einiges , so müssen alle inzwischen abgeschlossenen Kaufverträge womöglich aufwendig rückabgewickelt werden.
Schon haben zehn neutrale Rechtswissenschaftler die neuen Kaufinteressenten vor den Risiken des Landerwerbs Ost gewarnt. Das Gefährlichste dabei ist: Die Käufer verlieren im Ernstfall nicht nur ihren finanziellen Einsatz und die inzwischen getätigten Investitionen. Das nunmehr zur Anwendung kommende Europarecht kennt auch nicht den Schutz des gutgläubigen Erwerbs beim Erwerb von Land und Immobilien. Das heißt, daß zumindest alle Beihilfen zurückgefordert werden könnten. Kein Wunder also, daß im Osten die Sorge vor neuen Risiken beim Landerwerb umgeht. Zum Rechtschaos kommt für Investoren in Agrarland nun auch noch die nackte Existenzangst Manfred Graf v. Schwerin
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