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Obwohl dieses Ereignis in den Medien vom Aufstand der französischen Spediteure etwas überschattet wurde, bedeutet der Rücktritt des Innenministers Jean-Pierre Chevènement einen harten Schlag für die Regierung Lionel Jospin. Zwar sind es noch zwei Jahre bis zu den Präsidentschaftswahlen, und bis dahin kann noch vieles an der Seine passieren, doch bedeutet die Demission Chevènements, daß im ersten Durchgang der Elysée-Wahlen mit einer Überfülle von Kandidaten zu rechnen sein wird. Chevènement, der die Korsika-Politik der Staatsregierung nicht mehr mittragen wollte oder konnte und sich gerne in der Rolle des Fahnenträgers der sogenannten Republikaner oder Jakobiner sehen würde, hat nämlich den Eindruck erweckt, er werde 2002 ebenfalls für das Präsidentenamt kandidieren.
Die liberale "Le Monde", die Chevènement nie geliebt hat, beschuldigt ihn, aus persönlichem Ehrgeiz die linke Regierung verlassen zu haben. Ganz so einfach ist die Sache aber nicht. Bisher hat Chevènement vergeblich versucht, sich als der Sammler linker Strömung en, die patriotisch denken und sich sozial nicht abgrenzen wollen, zu profilieren. Seine Bürgerbewegung ("Mouvement des citoyens") braucht die Stimmen der kommunistischen Wählerschaft, um eine Chance zu haben, Abgeordnete in die Nationalversammlung entsenden zu können. Als Industrieminister hatte er schon 1983 die Regierung Mauroy verlassen, um gegen die Sparpolitik zu protestieren. 1992 legte er aus Protest gegen die französische Politik im Golfkrieg sein Amt als Verteidigungsminister nieder. Diese Konsequenz hat ihn zu einem der beliebtesten Politiker in Frankreich gemacht, den Gang der französischen Politik aber kaum beeinflußt. Ob er als Präsidentschaftskandidat eine Chance hätte, wird sich wohl zeigen, bleibt aber zweifelhaft.
Auf jeden Fall hat sich seine Popularität mit seinem Rücktritt wegen der französischen Korsika-Politik erheblich vergrößert. In den Meinungsumfragen gewann er neun Prozentpunkte und genießt gegenwärtig die Gunst seiner Landsleute. 60 Prozent der Franzosen möchten, daß er eine größere Rolle in der französischen Politik spielt. Die einzige Politikerin, die ihm Paroli bieten könnte, ist die derzeitige Sozialministerin Martine Aubry. Sie ist die Tochter des ehemaligen EU-Kommissionspräsidenten Jacques Delors und dürfte mit der Unterstützung der Finanzkreise rechnen können. Gegenwärtig ist die Situation in der Schwebe, denn niemand weiß an der Seine, ob der Neogaullist Chirac wiedergewählt wird und ob die Linke erneut die Mehrheit der Abgeordneten in der Nationalversammlung stellen wird. Die derzeitige Ohnmacht der Partei des Staatsoberhaupts, der "Rassemblement pour la République", und die Zersplitterung der Rechten machen jegliche Vorhersage für die zukünftige Politik Frankreichs vorerst unmöglich. Das ändert sich frühestens Ende nächsten Jahres, wenn die Gemeindewahlen durchgeführt worden sind. Insofern läßt sich resümieren, daß das Ausscheiden Chevènements aus der Regierung sicherlich zumindest kurzfristig bedeutungsvoll ist, doch nicht bedeutend genug, um wirklich das Verhältnis der politischen Kräfte im Lande zu ändern.
Aufgrund der Unklarheit über die weitere Entwicklung ist es schwierig zu prognostizieren, inwieweit die Links- und die Rechtsjakobiner in Paris und im Europäischen Parlament eine größere Rolle spielen werden. Zu einer Einigung zwischen diesen beiden Richtungen könnte es im Falle einer Volksabstimmung über Korsika oder ein die EU betreffendes Thema kommen. Das hat zur Konsequenz, daß Lionel Jospin und seine Nachfolger daran interessiert sind, den plebiszitären Charakter der Fünften Republik stetig zu minimieren. Das herrschende politische System, das demjenigen Napoléons III. am Anfang ähnlich war, würde demnach immer mehr demjenigen der Dritten Republik vergleichbar werden, die 1940 ein unrühmliches Ende gefunden hat. In dieser Hinsicht ist der Rücktritt Chevènements vielleicht ein Vorzeichen künftiger Entwicklungen und Brüche in der Politik Frankreichs.
Francisco Lozaga
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