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Das Schweigen der Presse

 
     
 
Fast dreißig Jahre alt sind die Tonbänder über den Besuch des deutschen SPD-Kanzlers Willy Brandt beim US-Präsidenten Richard Nixon, der, wie man weiß, ein gewisses Faible für Tonbänder hatte. Die "Welt am Sonntag" (30. Januar 2000) stöberte diese Bänder jetzt auf und teilte mit, Nixon habe damals am 15. Juni 1971 in einem Gespräch mit seinem Sicherheitsberater Henry Kissinger
unter Bezug auf Brandt gesagt: "Großer Gott, wenn der Deutschlands Hoffnung ist, dann hat Deutschland verdammt wenig Hoffnung", und später Brandts Tischrede "eine gottverdammt schändliche Vorstellung" genannt.

Das mag heute der vielzitierte "Schnee von gestern" sein und nur noch historisch interessant, ebenso wie der Dialog Nixons mit Kissinger nach dem Gespräch mit Brandt. Kissinger meinte, bezogen auf Brandt, das Hautproblem liege darin, "daß er nicht sehr helle" sei, worauf Nixon entgegnete: "Dieser Bursche. In der Tat, Brandt ist ein bißchen dumm." Kissinger pflichtete seinem Präsidenten bei: "Brandt ist dumm. Und faul. Und er trinkt."

Die Deutschen erfuhren natürlich damals nichts davon, wie Nixon seinen deutschen Gast einschätzte. Und sie mußten es auch nicht. Was allerdings nicht "Schnee von gestern" ist, sondern eindrucksvolles Lehrstück über das Wirken von Medien und Presse bis in unsere Tage, ist die Tatsache, daß über das Treffen Nixon/Brandt die führenden deutschen Zeitungen ein Bild von Harmonie und Eintracht zeichneten. So meldeten die "Süddeutsche Zeitung": "Nahtloses Einvernehmen in Washington" und "Die Welt": "Nahtlose Übereinstimmung". Von links bis rechts strickte die Presse an der Kultfigur Willy Brandt, mit der die SPD ein Jahr später zum ersten Male zur stärksten Partei in der Bundesrepublik Deutschland wurde.

Die Mitverantwortung der Medien ist jedoch seitdem nicht geringer, sondern viel größer geworden. Heute haben die Bürger angesichts einer für sie undurchsichtigen Entwicklung von Spenden- und Selbstbedienungs-Skandalen im parteipolitischen Bereich über das Mißmanagement in vielen Unternehmen bis hin zu den Euro-Fehlprognosen sogenannter Chefvolkswirte der Großbanken mehr und mehr das Gefühl, über den Tisch gezogen zu werden. Wenn sich an Kommunalwahlen in diesen Tagen nur noch rund 30 Prozent der Wahlberechtigten beteiligen, ist das erträgliche Maß der  Parteienverdrossenheit überschritten. Dabei herrscht der Eindruck vor, daß die oft selbstgerechte "vierte Gewalt", also die Medien, selbst zum Bestandteil eines politisch korrekten Systems geworden sind, statt vorurteilslos zu arbeiten und damit ihren Beitrag zum demokratischen Gemeinwesen zu leisten. Wäre sonst der Spiegel-Beitrag zum "System Kohl" aus dem Jahr 1995 weitgehend unbeachtet geblieben oder die vor sieben Jahren gemachte Vorhersage des früheren italienischen sozialistischen Außenministers Gianni de Michelis, daß Deutschland eines Tages einen Spendenskandal erleben werde? Heute erklärt er, wie "Die Welt" am 31. Januar 2000 meldet: "Wir wußten, daß Elf mit dem Geld Kohls Politik finanziert."

Vorurteilslos zu arbeiten heißt heute, die unsinnige und reaktionäre Einteilung von Politikern und Politik in das Links-Rechts-Schema endlich zu überwinden. Mag es vor hundert Jahren eine Orientierungshilfe gewesen sein, heute gehört es in die Mottenkiste politischer Schlagwörter. Die etablierten Medien benutzen das irrationale Politikraster links-rechts und machen sich damit zum Erfüllungsgehilfen der arrivierten Akteure und Mitläufer der 68er und der geistigen Traditionskompanien des Marxismus, die nach althergebrachter "antifaschistischer" Machart Konservative als "rechts" und Nationalsozialisten als "rechtsextrem" einstudieren, um beide als "Verwandte" erscheinen zu lassen und selbst politischen Einfluß auszuüben und Pfründe zu besetzen oder zu behalten. Dieses Agitationsmuster soll zugleich davon ablenken, daß Nationalsozialismus in erster Linie eine sozialistische Bewegung war, die sich überwiegend als solche verstand, und daß Kommunismus und Nationalsozialismus gleichermaßen ideologisch bedingt totalitäre Herrschaftsformen waren und in ihren Restbeständen auch heute noch sind. Wer die gegenwärtige Krise unseres parteipolitischen Systems überwinden will, darf diese Tatsachen nicht übersehen, vor allem nicht die Medien mit ihrer in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr gewachsenen Verantwortung in unserer Informationsgesellschaft.

 
     
     
 
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