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Die Koalitionsverhandlungen der SPD mit der Linkspartei gehen in die letzte Runde. Es spricht alles dafür, daß Klaus Wowereit mit den Stimmen der Postkommunisten erneut zum Regierenden Bürgermeister Berlins gewählt werden wird.
Trotzdem ist das Verhältnis zwischen der SPD zu ihrem Koalitionspartner nicht einfach. Auch Ex-Kanzler Schröder nennt die Partei in seinen Memoiren eine "zweifach gewendete Partei". Vor 60 Jahren vereinnahmte die KPD die SPD der Sowjetzone in einem Fusionsprozeß, der auch als Zwangsvereinigung bezeichnet wird.
Doch die vereinigte SED erlitt eine derbe Niederlage bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus 1946 . Wie sehen die SPD-Genossen heute die kommunistischen Unterdrücker von damals?
Um Ulrike Huhn herum steht eine 16köpfige Gruppe von Berlinern, die ihren Sonnabendnachmittag mit einem Rundgang im Prenzlauer Berg beginnt. Die Historikerin will ihren Zuhörern die "Orte der politischen Auseinandersetzung bei der Wahl 1946" zeigen. Sie ist 27. Ihre Zuhörer sind im Schnitt doppelt so alt. Trotzdem ist für sie alle die "kommunistische Gewaltherrschaft" ein Art Neuland, das sie gerade erst entdecken.
Es sind gutsituierte Leute, gehobene SPD-Klientel. Dem Anschein nach alle eingeschriebene Mitglieder oder treue Anhänger. Man ist unter sich. Ein Spaziergang im Herbst - unter Freunden.
Es gelten bestimmte Grundannahmen, die niemand in Frage stellt. Wenn Ulrike Huhn sagt, "Berlin ist von der Roten Armee befreit worden", ohne die teils schrecklichen Folgen der Besetzung für die - vornehmlich weibliche - Zivilbevölkerung auch nur zu erwähnen, räuspert sich niemand. Auch nicht, wenn sie schablonenhaft schwadroniert, "die demokratischen Parteien arbeiteten zusammen in den antifaschistischen Ausschüssen", und damit die Stalinisten glatt zu Mit-Demokraten adelt. Solche Floskeln scheinen in diesem Kreis so unhinterfragbar geworden zu sein wie simple Jahreszahlen.
Dann aber kommt es recht heftig über die SPDler-Schar. Die Historikerin berichtet von den Berliner Folterkellern des sowjetischen Geheimdienstes NKWD. Die Gruppe lauscht ihren Worten, als höre sie zum ersten Mal davon. Huhn beruhigt: "Da waren viele Kriegsverbrecher und Gegner der sowjetischen Besatzungsmacht." Dann jedoch relativiert sie: "Da kamen aber auch viele Demokraten hin, viele junge Menschen. Das kann man ja auch weit fassen - Gegner der sowjetischen Besatzungsmacht ..."
Sie ist sich selbst nicht sicher, ob es ein Verbrechen ist oder nicht, Gegner der sowjetischen Besatzungsmacht zu sein. Dann beschreibt die 27jährige das Schicksal Gefangener - so zum Beispiel die Odyssee eines ehemaligen Hitlerjungen durch russische Speziallager, weil er angeblich dem "Werwolf" angehört hatte.
Dann der Vereinigungsprozeß von KPD und SPD. Er wurde begleitet von Bedrohungen, Verhaftungen und Erpressungen. Ulrike Huhn zeigt Flugblätter sehr kämpferischer Sozialdemokraten, die ihre Unabhängigkeit mit Worten zu verteidigen versuchten. Andere Sozialdemokraten, die aus Angst vor den Sowjets zunächst kooperierten, hätten einen Rückzieher gemacht, als sich herausstellte, daß die SED gar nicht zur Einheitspartei wurde, sondern zur erweiterten KPD. Die Referentin nennt das Beispiel Werner Rüdiger, den SPD-Kreisvorsitzenden im Prenzlauer Berg. Er wurde SED-Mitglied und verließ die Partei dann wieder. Als er wieder in die SPD eintrat, waren seine alten und nun neuen Parteifreunde wenig begeistert - schließlich gab es bereits einen neuen Kreisvorsitzenden.
Eine Frau meldet sich: "Gab es auch Ausschlüsse von Sozialdemokraten aus der SED?" Huhn muß passen. Das ist alles sehr weit weg. Sie kennt es nur aus Büchern und Archiven.
Während andere Parteien offen erkennbar um Stimmen warben, trat die SED nur als Liste Zwei an. Ulrike Huhn reicht Flugblätter der Liste Zwei herum, in denen das Kürzel SED gänzlich ungenannt bleibt. Im Spiel mit nicht gleich zu durchschauenden Namen - wie 1989/90 mit PDS, jetzt Linkspartei - haben die Genossen offenbar lange Erfahrung.
Die West-Berliner SPD-Führung sei über die Unterdrückung der Ex-Parteifreunde im Osten genau im Bilde gewesen, informiert die Historikerin. Ulrike Huhn verliest aus einem internen SPD-Schreiben, aus dem hervorgeht, daß die SED-Genossen angewiesen seien zu überprüfen, wer welche Zeitung im Haus lese, wer gewerkschaftlich organisiert sei, von wem Widerstand zu erwarten sei. Kurzum: Sie sollten Spitzeldienste leisten, Sozial- und andere Demokraten ans Messer liefern.
Kuhns Zuhörer sind schockiert. Politisch waren sie groß geworden in den Jahren der Entspannung. Sie waren es gewohnt, jeden Hinweis auf den totalitären Kern der SED als hetzerisches Gerede "kalter Krieger" abzutun.
Es ist fast vergessen, aber Teil unserer verworrenen Geschichte: Vor 20 Jahren erarbeiteten die SPD- und die SED-Führung ein gemeinsames Grundsatzpapier, in dem von den "gemeinsamen humanistischen Wurzeln" beider Parteien gelogen wurde. Das war ein Schlag ins Gesicht all jener, damals schon alter und oft (zu Recht) verbitterter Sozialdemokraten, die nach 1945 nicht den Schalmaienklängen Ulbrichts und Grotewohls nachgegeben hatten. Die Wiedervereinigung kam nur wenige paar Jahre zu spät, um die SPD von dem Sündenfall des "SPD-SED-Papiers" abzuhalten, das 1987 verabschiedet wurde.
Der Prozeß der Aufarbeitung eigener Irrtümer im Umgang mit der roten Diktatur hat für viele Sozialdemokraten offenbar erst begonnen. Das Grüppchen am Prenzlauer Berg hat sich gerade erst auf den Weg gemacht. Für viele wird es ein langer werden. |
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