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Der Berg ist überschritten

 
     
 
Niemand von den ausländischen Potentaten hatte damit gerechnet, daß ausgerechnet der den Künsten zugeneigte königliche Schöngeist Preußen einmal zur europäischen Großmacht erheben könnte. Man hatte einen Kreis von Hofschranzen aus Poeten und Gelehrten erwartet, aber nicht, daß "die Possen ein Ende" haben würden. Es war eben ein seltener Glücksfall der Geschichte, daß sich die vier aufeinander folgenden hohenzollernschen Herrscher so vorzüglich ergänzten und der letzte dieser Reihe, Friedrich der Große
, den höchsten Ruhm in sich vereinen konnte. Aus rein machtpolitischen Erwägungen entstand durch Friedrichs Heldentum die Keimzelle des späteren Deutschen Reiches.

Schon bald nach seinem Regierungsantritt erhob König Friedrich II. Erbansprüche auf Schlesien, und als Österreichs Herrscherin Maria Theresia (vgl.vom 26. November 2005) nicht darauf einging, begann er den Kampf um Schlesien. In zwei Kriegen standen sich zum ersten Male preußische und österreichische Truppen als Feinde gegenüber. Die berühmten Siege Friedrichs, der von Mollwitz und der von Hohenfriedberg, ändern leider nichts an der Tatsache, daß es deutsche Bruderkriege gewesen sind.

Zehn Jahre lang konnte sich Friedrich an dem Besitz Schlesiens erfreuen, dann begann aufs neue ein erbarmungsloser Kampf, der Siebenjährige Krieg (1756-1763). Die empörte Maria Theresia hatte inzwischen Bundesgenossen gewonnen und Preußen total eingekreist: Frankreich, Rußland, Schweden und Sachsen-Polen standen bereit, Preußen auszulöschen. Aber auch Friedrich war nicht untätig. Seine Hauptsorge galt dem Heer, das er auf 140000 Mann vergrößerte. Besondere Sorgfalt legte er auf die Ausbildung der Kavallerie und drillte seine Armee ganz auf den Angriff, den er "die beste Verteidigung" nannte.

An allen Fürstenhöfen jener Zeit haben Maler und Bildhauer die historischen Ereignisse in mancherlei Werken gewürdigt. Oft trugen die Maler pomphafte Zutaten in die Gemälde hinein, was den Spott des Preußenkönigs hervorrief, der einmal sagte, "solch eine Kostümierung passe besser für die Helden des Theaters". Man denke an die Porträts von Antoine Pesne, der den König mit Brustpanzer, Armschienen, den Kommandostab auf dem Schlachtfelde ausstreckend, darstellte. Ganz anders der Peintgraveur Daniel Chodowiecki, der während der langen Regierungszeit den König bei seinen Berliner Ausritten immer wieder beobachtete, beispielsweise wenn Friedrich bei der großen Frühjahrsparade auf dem Tempelhofer Feld an der Spitze seiner Generäle die Fronten der Regimenter entlang galoppierte. Infolge ihrer realistischen Darstellung ließen diese Zeichnungen oder Radierungen das Bild Friedrichs in den Herzen seines Volkes weiterleben. Dabei war für jeden sichtbar, wie sich das Äußere ihres Königs im Verlaufe des Krieges verändert hatte, das Gesicht schmaler, die Gestalt gebückter geworden war. Statt der goldgestickten Röcke trug er die einfache blaue Uniform seines Leibregiments.

Bei Roßbach schlug Friedrich die verhaßten Franzosen vollständig. 22000 Preußen stießen auf 41000 Mann der Reichsarmee und der Franzosen. Unter der Führung des jungen Reitergenerals v. Seydlitz entschied die preußische Kavallerie den Tag von Roßbach. Der Volksmund spottete bald: "Und kommt der Große Friederich und klopft nur auf die Hosen, so läuft die ganze Reichsarmee, Panduren und Franzosen." Es war ein schwer errungener Sieg, doch keiner machte den Preußenkönig volkstümlicher. In ganz Deutschland fand er neue Anhänger, und auch im Hause des jungen Goethe war man nun "fritzisch" gesinnt. Durch Anwendung der "schiefen Schlachtordnung" - der Angriff fand nur auf einem Flügel statt - gewann Friedrich der Große, trotz dreifacher Überlegenheit des Gegners, bei Leuthen einen glänzenden Sieg gegen die Österreicher. Napoleon hat diesen Sieg Friedrichs ein Meisterwerk genannt. Nach dem Kampf stimmte einer der Grenadiere den Choral an "Nun danket alle Gott", das gesamte Preußenheer stimmte in den Gesang ein.

Trotz vieler Erfolge wurde Preußens Lage immer verzweifelter, da die Gegner von allen Seiten angriffen. Friedrich war der letzte Monarch, der an der Spitze seiner Truppen mit gezogenem Degen gegen den Feind stürmte. Aber daß er siegte, war nicht das Große, sondern daß er ausharrte, ohne zusammenzubrechen. Darauf beruhten auch die nationalen Folgen. "Daß deutsche Kraft einer Welt von Feinden standgehalten hatte, wurde eine Quelle deutschen Nationalgefühls, aus der jeder Deutsche, nicht nur der Preuße, schöpfen durfte."

Die Rettung aus der furchtbaren Not brachte der Tod der Zarin Elisabeth. Ihr Nachfolger, Peter III., ein Bewunderer Preußens, schloß mit Friedrich Frieden. Ostdeutschland und Hinterpommern wurden zurückgegeben. Auch Schweden lenkte ein. Im sächsischen Jagdschlößchen Hubertusburg einigten sich Österreich, Preußen, Sachsen und das Reich. Schlesien blieb bei Preußen, dafür versprach Friedrich, bei der nächsten Kaiserwahl seine Stimme dem Sohne Maria Theresias, Joseph II., zu geben.

Bedeutend waren die politischen Folgen. Vor den Kriegen war Österreich die einzige deutsche Großmacht gewesen, nunmehr gab es deren zwei. Auf die Dauer konnte der Dualismus im Reich nicht gut gehen. Erst Otto v. Bismarck gelang die "kleindeutsche Lösung", mit der zweiten Reichsgründung, ohne Österreich.

Im März 1763 zog Friedrich wieder in Berlin ein, krank, gealtert, doch geistig ungebrochen. Und nun begann eine viertelhundertjährige Friedens- und Aufbauarbeit, die ihn zum "ersten Diener seines Staates" werden ließ. Er kümmerte sich buchstäblich um alles: Kartoffeln wurden als Volksnahrungsmittel eingeführt, für bessere Düngung der Felder gesorgt, Saatkorn verteilt, Militärpferde den Bauern überlassen. Bis ins kleinste wurden Vorschriften über den Fruchtwechsel und den Anbau von Krautpflanzen gegeben. An der Oder, Netze und Warthe wurden riesige Moorgebiete kultiviert. Preußen, bis dahin ein Agrarstaat, wandelte sich Dank der Hebung von Gewerbe, Handel und Industrie zu einem Merkantilsystem. Den schlesischen Bergbau nebst der Verhüttung von Eisenerzen förderte der König durch Einrichtung des Siebten Departements im Generaldirektorium für das Bergwerkswesen. Nach modernsten Erfordernissen errichtete man in Gleiwitz und Königshütte neue Industriebetriebe und Hochöfen. Luxusgegenstände und Genußmittel wurden mit hohen Steuern belegt. Das Kaffeetrinken, in allen Ständen äußerst beliebt, war nach Meinung des Königs ein Luxus, der eingeschränkt werden müsse. Er befahl, die Preise zu erhöhen, womit der Kaffee für kleine Einkommen bald nicht mehr erschwinglich war.

Als echtes Kind der Aufklärung war Friedrich in seinem Verhalten gegenüber der Religion vollständig tolerant. In seinem Auftrag entstand für die wenigen Katholiken in Berlin die Hedwigskathedrale, ein barocker Zentralbau, nahe dem Stadtschloß, nach dem Vorbild des Pantheons in Rom. Auch die Presse erhielt viel Freiheit, seine Ansicht lautete: "Gazetten dürfen nicht genieret werden, wenn sie interessant sein sollen." So rieb sich Friedrich der Große in Sorge um sein Land auf, nach der Devise "Alles für das Volk, nichts durch das Volk".

Die letzten Monate seines Lebens brachte der "Alte Fritz" unter körperlichen Schmerzen in den Potsdamer Schlössern zu. Sobald die Sonne schien, ließ er sich einen Sessel auf die Freitreppe stellen, "ich habe immer das Licht geliebt", sagte er zu einem Kabinettsmitglied. Im Juni 1786 konsultierte Friedrich den berühmten Arzt Ritter von Zimmermann aus Hannover. Dieser erkannte, daß eine Heilung ausgeschlossen war. Der König litt an Gicht, an Ruhr, an Husten, an Abszessen und vor allem an Wassersucht. "Seine Krankheiten hätten ausgereicht, um zehn Männer umzubringen", hieß es. Aber Friedrich hielt sich nicht an den Rat der Ärzte, dieser merkwürdige Monarch, der noch mit 74 Jahren bei einer Revue seiner Truppen sechs Stunden im strömenden Regen aushielt, ohne den Mantel anzuziehen: "Je mehr man sich verwöhnt, desto schwächer und empfindlicher wird der Körper." Hatte er nicht selbst am Unglückstag von Kolin die Fahne ergriffen und war mit wenigen Getreuen gegen den Feind gestürmt?

Die letzte eigenhändige Verfügung des Königs trägt das Datum vom 15. August 1786, zwei Tage vor seinem Tode, und obgleich er außerordentlich litt, konnten die Minister kein Zeichen von Schmerz an ihm erkennen. Er starb mit den Worten: "Der Berg ist überschritten, jetzt wird es besser gehen."

Friedrichs des Großen Sterbesessel (links) und der Alte Fritz mit seinen Hunden auf seinem Sessel vor Schloß Sanssouci (Stich von Daniel Chodowiecki mit dem Titel "Bald werde ich dir näher kommen") Fotos (2): SPSG (links) / Archiv (rechts)
 
     
     
 
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