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Bei der Osterweiterung der Europäischen Union drohen gerade in den Grenzregionen diesseits von Oder, Neiße und Böhmerwald wirtschaftliche Verwerfungen.
Deren mögliche Ausmaße kann man erahnen, wenn man sich vor Augen führt, wie schwierig es beispielsweise für Handwerker im östlichen Niedersachsen, in Hessen oder in Oberfranken ist, sich gegenüber der mit niedrigeren Löhnen wirtschaftenden Konkurrenz in den angrenzenden mitteldeutschen Ländern zu behaupten.
Angesichts der Sorgen vieler kleiner und mittelständischer Betriebe haben sich auch die Industrie- und Handelskammern sowie die Handwerkskammern des Themas angenommen. Im Herbst 1998 schlossen sich bundesdeutsche, österreichische, italienische und griechische Grenzlandkammern zu einer Arbeitsgemeinschaft mit heute 28 Mitgliedern zusammen, deren Forderungen in einer "Agenda 2000" zusammengefaßt sind.
Nachdem die grundsätzliche politische und wirtschaftliche Notwendigkeit der Erweiterung anerkannt wird, hebt das Papier hervor, daß speziell für die grenznahen Regionen "ganz neue Perspektiven und Chancen", aber auch "Probleme und Risiken" absehbar seien, die vor allem in dem bis auf weiteres erheblichen Lohn- und Preisgefälle gründeten sowie in der Freizügigkeit von Personen und Dienstleistungen, der gefährdeten inneren Sicherheit und den unterschiedlichen Umweltstandards.
Als Rezepte für eine schonende Abwicklung des Erweiterungsprozesses empfiehlt die AG der Politik, die Grenzräume vorübergehend zu besonderen Zielen der einzelstaatlichen und europäischen Strukturförderung zu erheben. Außerdem tritt man in einigen Bereichen nachdrücklich für national und regional flexible Übergangsfristen ein.
In der im November letzten Jahres veröffentlichten Schrift "Controlling für die EU-Erweiterung in den Grenzregionen" werden als dringlichste Handlungsfelder die Arbeitnehmerfreizügigkeit und die Dienstleistungsfreiheit genannt. Nach Auffassung der Arbeitsgemeinschaft sollten insbesondere das Bau- und baunahe Gewerbe sowie alle sonstigen arbeitskräfteintensiven Dienstleistungen vor der Niedriglohnkonkurrenz aus dem Osten geschützt werden.
Kaum Probleme für die einheimische Wirtschaft sieht man darin, daß sich polnische, tschechische oder ungarische Firmen auf dem Gebiet der alten EU niederlassen könnten, da sie dann den jeweiligen Gesetzen und Vorschriften des Mitgliedsstaates unterlägen und somit annähernd gleiche Kostenstrukturen hätten. Ganz anders ist die Ausgangslage bei jenen Dienstleistungen, die werkstattunabhängig über Grenzen hinweg beim Kunden erbracht werden können. Hier seien Übergangsregelungen ebenso unverzichtbar wie bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit.
Die Zuwanderung von Arbeitskräften werde, so glauben die Wirtschaftskammern, "nach Erreichen eines bestimmten Höhepunktes rückläufig sein", während das Pendler-Problem in den Grenzregionen sich "verstetigen" dürfte.
Angesichts derartiger Gefahren sei es höchste Zeit, durch die Entwicklung neuer grenzüberschreitender Untenehmens- und Marketingkonzepte, durch geeignete Vertriebsstrukturen, berufliche Fortbildung usw. die "Standortbedingungen in den Regionen beiderseits der Grenzen, auf denen im Zuge der EU-Erweiterung der größte Anpassungsdruck lastet, konsequent zu verbessern". Sorgfalt ist dabei nach Meinung der Arbeitsgemeinschaft wichtiger als Schnelligkeit.
Das geforderte "Sonderaktionsprogramm für die Grenzregionen" solle deutlich vor den ersten Beitritten in Gang gebracht werden, schließlich habe es bei der EU-Süderweiterung für die entsprechenden Programme eine Vorlaufzeit von sechs Jahren gegeben. Und, so ließe sich hinzufügen, die damaligen Anpassungen waren im Vergleich zu den bevorstehenden Herausforderungen nur "Peanuts".
Ein Beispiel für den aus der jahrzehntelangen Teilung Europas resultierenden Nachholbedarf ist die Verkehrsinfrastruktur. Hier zeichnet sich, so die Kammern, angesichts der schon jetzt schwierigen Lage an den wenigen Grenzübergängen im Falle einer baldigen Osterweiterung ein "verkehrspolitischer Kollaps" ab, da die Grenzregionen unweigerlichen zum "Nadelöhr" der transeuropäischen Handelsströme würden.
Da die Arbeitsgemeinschaft aber nicht bloß mahnen und meckern will, hat sie Verbesserungsvorschläge unterbreitet und 47 Straßen-, 24 Schienen-, 8 Wasser- und 8 Luftverkehrvorhaben aufgelistet, die es schleunigst umzusetzen gelte. Diese Pläne können ebenso wie alle grenzüberschreitenden Projekte der Kammern (Tagungen, Weiterbildungen, Kulturvorhaben, Messen) über die Handwerkskammer Niederbayern-Oberpfalz (Ditthornstr. 10, 93055 Regensburg, Tel.: 0941/7965-0) oder via Internet ( www.ts.camcom.it/agenda2000/deutsch/ ) angefordert werden.
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