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Der Schatten des Dritten Reiches

 
     
 
Die Wiedervereinigung normalisierte das Leben der Deutschen, aber dem Schatten des Dritten Reichs, das in allen Poren der deutschen Öffentlichkeit nistet und spukt, entrinnen sie offenbar nicht.

Dieses Trauma veranlaßte zwei Spiegel-Redakteure, Stefan Aust und Gerhard Spörl, einen Sammelband herauszugeben, der 37 Beiträge höchst unterschiedlicher Autoren vereint. Wissenschaftler, darunter Ian Kershaw, Yehuda Bauer und Heinrich August Winkler, analysieren historische Aspekte des National
sozialismus. Persönliche Erlebnisse aus der NS-Zeit berichten Joachim Fest und Helmut Schmidt. Auch wird der Leser über die Schicksale "stiller Helden" informiert, die bedrängten Juden Hilfe leisteten.

Unfreiwillig begründet Fest, warum viele Deutsche die Vergangenheit nicht "bewältigen". Hitler sei die "Verkörperung des Bösen", dem ein "unerklärlicher Rest" anhafte; die Nazis, eine "Bande von Eroberern", hätten in beispielloser Weise barbarische "Instinkte" freigesetzt.

Hitler zu dämonisieren heißt aber, ihn als historisches Phänomen zu begreifen und der rationalen Erklärung zu entziehen. Denn die Weltgeschichte, bis zum Rand voll gestopft mit Völkermorden und Eroberungszügen aller Art, mochten sie auch vielfach "zivilisatorische" Masken tragen, bietet dem "Bösen" seit jeher eine willige Heimstatt. Auch unterschätzt Fest die abstrakt ideologischen Antriebe gerade des Holocaust, den man nicht nur auf entfesselte "Instinkte" zurückführen kann. Und keine der "Ideen", die Hitler vertrat, hat er selbst "erfunden".

Die These, daß die ständige Beschwörung des Nationalsozialismus das deutsche Selbstwertgefühl lähmen solle, findet bei Aust und Spörl keine Stimme. Letztlich enttäuscht dieses Buch, insofern es die engen Grenzen der "political correctness" selten sprengt.

Wie beurteilten die Deutschen damals den Antisemitismus des NS-Regimes? Zwar existierten, schreibt Klaus Wiegreffe, breite antisemitische Strömungen in der Bevölkerung, aber Gewalt und Deportation hätten die meisten Deutschen abgelehnt. Die Frage, wer über die "Endlösung" Bescheid wußte, harrt immer noch der Klärung.

Daß die Deutschen im Schatten der Vergangenheit leben, erklärt Ian Kershaw damit, daß sie der "Zivilisationsbruch" namens Drittes Reich schockiere und ratlos mache. Manche fürchten seit der Wiedervereinigung, daß ein neuer deutscher Nationalismus vor der Tür stehe.

Stalin ermordete mehr Menschen als Hitler, doch habe das stalinistische Regime primär nach innen agiert, während Hitler im Zentrum Europas vor allem andere Völker drangsaliert habe.

Heinrich August Winkler sieht die "Ursache letzter Instanz" für Hitlers Machtergreifung darin, daß dieser "Nutznießer der ungleichzeitigen Demokratisierung" in einem Land gewesen sei, welches das allgemeine Wahlrecht schon kannte, bevor es ein parlamentarisches System gab.

Ganz unbefriedigend erscheinen die Thesen des britischen Historikers Richard Overy. Deutschland hätte den Zweiten Weltkrieg gewinnen können, glaubt er. Die materielle Überlegenheit der Alliierten habe nicht deren Sieg garantiert. Letzteres stimmt zweifellos; doch ignoriert Overy die fundamentale Tatsache, daß in Europa noch jeder Versuch scheiterte, eine Hegemonie zu errichten. Je hemmungsloser ein Land das europäische Gleichgewicht gefährdete, desto entschlossener kooperierten die übrigen Staaten, um den Angreifer abzuwehren. Schon deshalb konnte das Dritte Reich militärisch nicht siegen. Auch ist Overys zynische Rechtfertigung des alliierten Bombenkriegs wissenschaftlich nicht zu halten.

Am ehesten trifft Bernhard Schlink den Kern der Problematik. Die Deutschen müßten ihr Trauma überwinden, indem sie "erinnern und vergessen können, ein Ruhen, das gleichermaßen Erinnern und Vergessen einschließt". Rolf Helfert

Stefan Aust / Gerhard Spörl (Hrsg.): "Die Gegenwart der Vergangenheit. Der lange Schatten des Dritten Reichs", Spiegel-Buchverlag und DVA, München 2004, 411 Seiten, 24,90 Euro

 
     
     
 
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