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Von Wahlkämpfern werden derzeit Themen aufgegriffen, die bisher tabuisiert waren. Die zur Wahl aufgerufenen Bürger wissen allerdings sehr wohl, wer sich kurz vor der Wahl vordergründig eines Themas annimmt, das er bisher gemieden, vernachlässigt oder auf die lange Bank geschoben hat und nun mit Blick auf die Wahlen instrumentalisieren möchte. Keine Partei ist von solchen Versuchungen frei.
So hatte unlängst Tilman Krause von der Tageszeitung "Die Welt" allen Grund festzustellen, daß, wenn es so weitergeht wie bisher, die SPD dabei sei, bald alle konservativen Themen "einzusacken". Er schloß aus Meinungsäußerungen von Gerhard Schröder s Kulturkandidaten Michael Naumann zum Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses und zum Holocaust-Denkmal sowie aus Verlautbarungen anderer Kulturberater des SPD-Kanzlerkandidaten, daß dieser so etwas wie die einst von Helmut Kohl versprochene "geistige Wende" einläuten und den "linken Nationalmasochismus" in Deutschland überwinden könne.
Daß diese Spekulation nicht mehr mit einem knappen Hinweis auf die 68er Ikone Joschka Fischer und den Altkommunisten Jürgen Trittin als den erklärten Wunschpartnern Schröders vom Tisch gefegt werden kann, liegt daran, daß das in früheren Jahrzehnten deutliche konservative Profil der CDU weitgehend abgebaut oder im wahrsten Sinne stillgelegt worden ist. Darum lag es auf der Hand, daß sich die SPD in ihrem Wahlkampftheater heute erlauben kann, konservative Themen aufzugreifen und scheinbar konservative Darsteller auftreten zu lassen, die ihr Publikum haben.
Zwar war die CDU nie eine ausschließlich konservative Partei, aber heute ist sie es überhaupt nicht mehr. Als sie erfolgreich deutsche Politik gestaltete, herrschte in ihr ein Gleichgewicht von Sozialen im Sinne der christlichen Soziallehren, Wirtschaftsliberalen und Wertekonservativen, insbesondere nationaler und christlicher Prägung. Gerade das machte ihren Charakter als Volkspartei aus.
Mit ihrem Kurs, in einem imaginären Rechts-Links-Schema die Mitte und nichts anderes als die Mitte sein zu wollen, wurde das konservative Element in der CDU politisch und personell immer weiter zurückgedrängt und sogar mit den Grünen geliebäugelt. Angesichts der weltweiten sowjetischen Bedrohung hatte sich die CDU früher sicher sein können, daß die konservativen Bevölkerungsschichten ihr als dem "kleineren Übel" die Stimme gaben. Heute dürfte es vielen der CDU-Führungskräfte eher peinlich sein, als "konservativ" bezeichnet zu werden, überwiegend aus Angst, daß man sie dann als "rechts" einstufen könnte, was das Schlimmste in der heutigen Medienlandschaft ist. In weiten Teilen der CDU-Basis sieht das zwar anders aus, aber die ist den Medien kein Interviewpartner und in den Talkshows nicht zu Gast.
Auch angesichts der in konservativen Revieren wildernden SPD ist es immer noch fraglich, ob die CDU die Kraft finden wird, dem linken Nationalmasochismus entgegenzutreten. Voraussetzung dafür wäre, den von ihr selbst zwar mit dem Volk, aber gegen die Spätfolgen der 68er Kulturrevolution und deren sozialistisch-kommunistischen Affinitäten durchgesetzten demokratischen Nationalstaat Deutschland endlich als solchen anzuerkennen, statt ihn "überwinden" zu wollen. Deutsche Einheit und Europäische Einheit sind eben nicht "zwei Seiten ein und derselben Medaille", wie es immer wieder von der offiziellen CDU zu hören ist. Ob man es nun wahrhaben will oder nicht, die Bindung der Menschen in Hamburg und Dresden zueinander ist eine andere als die der Menschen in Helsinki und Athen.
Die deutsche Einheit war vielmehr die Voraussetzung dafür, daß Deutschland im Sinne der europäischen Geschichte in die Lage versetzt wurde, seinen erzwungenen Sonderweg zu beenden und als demokratischer Nationalstaat gemeinsam mit den anderen ein auf Gleichberechtigung gegründetes Europa dieser Nationalstaaten aufzubauen.
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