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In einem fingierten Gespräch läßt der große Frankreich-Kenner Friedrich Sieburg in einem Bändchen historischer Miniaturen den Maler David und den Revolutionär Saint Just über die Stimmung zur Zeit des großen Terrors sinnieren. "Ja", meint Saint Just, Ideologe und Anhänger Robespierres, "ich bin ein Mann des Schreckens, weil mir die Republik wichtiger ist als der Mensch. Wer das Glück aller will, der kann auf den einzelnen Menschen keine Rücksicht nehmen." Und nachdem der Künstler leicht erschrocken als Antwort wolkig die Wirkungen des frischen Frühlingsduftes beschrieben hatte, setzte Saint Just nach: "Ja, man bedauert, wenn man dich reden hört, daß es unmöglich ist, den Frühling verhaften zu lassen."
So sind die Radikalen. Sie würden am liebsten auch den Frühling verhaften und töten, wenn er ungläubig bleibt. Aber die Radikalen der Al Quaida sind nicht dumm. Ihr Zieldenken ist radikal, ihre Logik, um zu diesem Ziel zu gelangen, ist nachvollziehbar. Saudi-Arabien ist für sie aus zwei Gründen ein vorrangiges Ziel.
Zum einen versorgt es den We-sten, mithin die Ungläubigen, mit Öl. Der Ausfall der saudischen Ölexpo rte wäre für die Industrienationen Europas und Amerikas in der Tat eine Art Ernstfall. Das war auch einer der Gründe des Irak-Kriegs: Ersatz für das saudische Öl sichern. Natürlich hat Washington auch ein Auge auf das Öl aus der Region um das Kaspische Meer geworfen. Eine Pipeline durch Afghanistan ist geplant und teilweise schon im Bau. Man will Rußland und Iran umgehen und direkt nach Karatschi pumpen. Eine weitere Pipeline soll durch Aserbeidschan, Georgien und die Türkei bis ans Mittelmeer führen. Aber das sind unsichere Länder. Die Militärpräsenz im Vorderen Orient dagegen garantiert den Zugriff auf das schwarze Gold. Erst recht, wenn es gelänge, in dieser Region demokratische und marktwirtschaftliche Strukturen oder wenigstens Elemente zu etablieren.
Der zweite Grund ist religiöser Natur. Saudi-Arabien ist "Heiliges Land" (Achram), auf seinem Boden stehen die heiligsten Stätten des Islam, Mekka und Medina. Wer diesen Boden beherrscht, der übt Einfluß aus auf die gesamte islamische Welt. Der Krisenbogen zwischen Casablanca und Taschkent ist schon jetzt in Unruhe. Ein Sturz der Monarchie in Saudi-Arabien hätte unabsehbare Folgen. Es ist schwer vorstellbar, wie Washington oder die Nato Krisen in diesem Raum bewältigen sollen, und es ist angesichts dieser Unwägbarkeiten logisch, daß die Terroristen um Osama bin Laden gerade die saudische Säule des Weltsystems zum Einsturz bringen wollen.
Das Problem allerdings sind die Saudis selbst. Die Klasse der rund 5.000 Prinzen ist keineswegs geschlossen. Mehrere Sippen und Familienstränge rivalisieren untereinander. Zur Zeit führt Kronprinz Abdallah die Geschäfte. Er selbst ist zwar ein radikal denkender Muslim und entschlossener Gegner der amerikanischen Präsenz auf dem "Heiligen Boden", aber er ist auch ein ebenso entschlossener Befürworter der eigenen Macht. Im Zweifelsfall bekämpft er auch die Radikalen, die mit ihm um die Krone des Islam wetteifern. Deshalb ließ er seit den Attentaten im Frühjahr auch die Terroristen verfolgen. Daß es den Terroristen dennoch gelang, in ein bewachtes Terrain einzudringen und ein Gemetzel anzurichten, zeigt, daß die Al Quaida in Saudi-Arabien über ausreichend Sympathisanten und eine gewisse Infrastruktur verfügt. Der Kampf um den "Heiligen Boden" und um die Krone, sprich das Öl, ist noch nicht entschieden.
Zwischen Casablanca und Taschkent leben mehrere hundert Millionen Menschen. Die meisten von ihnen kennen die Trennung zwischen Kultur, Religion, Politik und sozialem Leben nicht. Denn der Koran ist nicht nur Bibel, er ist gleichzeitig bürgerliches Gesetzbuch. Es gibt allein 500 Koranverse, die Probleme des Straf-und Zivilrechts behandeln. Der Islam dieser Völker erhebt den Anspruch, gleichzeitig religiöser Glaube und Staat - din wa daula - zu sein. Er hält an einem in sich geschlossenen Rechtssystem fest, das auf dem Koran, auf Aussprüchen des Propheten Mohammed und den aus diesen beiden Quellen abgeleiteten Interpretationen der mittelalterlichen Rechtsschulen beruht.
Aus dieser dreifachen Wurzel ist die Scharia entstanden, das Rechtssystem mit den für uns unmenschlichen Strafen, das in mehreren Ländern, vor allem in Afrika, wieder eingeführt wurde und in Saudi-Arabien seit Jahrzehnten zu blutigen Hinrichtungen und Strafen führte.
Der radikale Islam hat viele Facetten. Sein stärkster Trend geht zurück auf Raschid Rida, einen Gelehrten und eifernden Prediger in Syrien, der wiederum aus der Gedankenwelt eines Vorläufers, Tamiah, aus dem 14. Jahrhundert schöpfte. Dies aber war bereits ein Jahrhundert der Defensive für den Islam, der Reaktion des Abendlandes. Ende des 15. Jahrhunderts waren die Muslims aus Europa vertrieben, es begann die Zeit der Schmach. Sie dauerte bis in unser Jahrhundert. Vor allem das beginnende 20. Jahrhundert war für die arabische Welt eine Zeit des Kampfes gegen westliche Überlegenheit, gegen Kolonialallüren, gegen die Instrumentalisierung der Region im Dienste des Imperialismus der Briten oder der Franzosen, später auch der Amerikaner.
Raschid Rida gründete eine Zeitung, Al Manar. Sie wurde zum Sprachrohr der 1928 von einem seiner Schüler, Hassan als Bana, in Ägypten ins Leben gerufenen Moslembruderschaft. Die Bruderschaft verschrieb sich dem Kampf gegen die Ungläubigen in Europa und Amerika, später auch der Sowjetunion. Banas bedeutendster Schüler war Sayed Qutb, ein viel gelesener ägyptischer Autor. Er spitzte die Thesen gegen das Abendland zu. Man solle die westliche Lebensweise und Kultur nicht nur ablehnen, sondern den Westen auch bekehren. Und zwar nicht nur mit dem Wort, sondern auch mit Schwert, ja sogar mit dem Schwert des Terrors. Dieses Schwert solle aber auch gegen schwache und prowestliche arabische Regime gezogen werden, denn der islamischen Welt mangele es an Glauben und deshalb sei sie nicht vereint.
Aus dieser Denkschule kommen Leute wie der Stellvertreter Osama bin Ladens, der Ägypter Dr. Ayman als Zawahiri. Und auch der Kommandochef vom 11. September, Atta, gebürtig in Ägypten, kam aus dieser Denkschule. 14 der 19 Attentäter waren Saudis. Es sind Leute, die in ihren Überzeugungen und Predigten bis zur Quelle der Schmach des Islam im Mittelalter zurückgehen und die Schlachten der Vergangenheit neu schlagen wollen. Sie predigen ihre Version der Geschichte in den Moscheen und Koranschulen. Sie sind von der Verschwörung der Welt gegen den Islam überzeugt und stehen dagegen auf, mit Hilfe des Propheten und des Koran. Osama bin Laden zitiert in seinen Schriften und Briefen immer den Koran direkt. Er will die eine Milliarde Muslims hinter sich vereinigen im Kampf gegen die Ungläubigen. "Bekämpft sie, bis alle Versuchung aufhört und der Glaube an Allah überall verbreitet ist", heißt es in der Sure 8, in der Sure 47 noch etwas drastischer: "Wenn ihr den Ungläubigen begegnet, schlagt ihnen das Haupt herunter und richtet unter ihnen ein großes Gemetzel an."
Das ist das Ziel des Osama bin Laden: Die muslimische Welt vereinen, notfalls mit dem Schwert, und dann gegen die Ungläubigen zu Felde ziehen. Das mutet mittelalterlich an. Und das ist es auch. Der Islam hat keine Aufklärung erlebt. Osama bin Laden ist ein Robespierre des Orients. Es wäre ein Fehler, ihn zu unterschätzen. Saudi-Arabien liegt uns näher, als wir glauben.
König Fahd im Visier Osama bin Ladens: In Saudi-Arabien mehren sich die Attentate. Es werden nicht mehr nur westliche Ziele getroffen. Zunehmend sind Araber selber die Opfer der Bomben. Die Königsfamilie befüchtet, daß radikale Islamisten einen Gottesstaat errichten wollen. Fotos (2): dpa
Der Koran ist eine Art bürgerliches Gesetzbuch
Erbitterter Kampf gegen die Ungläubigen mit Feuer und Schwert |
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