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Darf ich fragen, woher Sie kommen?" Der Madrider Taxifahrer beugt sich leicht nach hinten, damit er meine Antwort besser verstehen kann. "Aus Deutschland", sage ich. "Ah - Alemania. Sehr gut." Er konzentriert sich wieder auf den zäh dahinfließenden Verkehr in der spanischen Hauptstadt. Dann hellen sich plötzlich seine bis dahin ernsten Gesichtszüge auf. "Mercedes!" ruft er unvermittelt aus. "Volkswagen!" Seine Stimme klingt wie ein Triumphgeheul, das sich um eine weitere Nuance steigert, als er schmettert: "Bayern Munich! Olli Kahn!" Sein Kopf wendet sich abermals in meine Richtung, um mir einen freundschaftlich-verschwörerischen Blick zuzuwerfen.
"Alemania es un pais muy bueno y con mucha fuerza", strahlt er, was soviel bedeutet wie Deutschland sei ein gutes Land, das über sehr viel Kraft verfüge. Bei den Madrider Taxifahrern sind die Deutschen in der Regel beliebt, und nimmt man diesen Berufs stand als Gradmesser für die Beziehungen zwischen dem spanischen Volk und dem unseren, so muß man feststellen, daß das Bild des häßlichen Deutschen auf der iberischen Halbinsel so gut wie keine Gültigkeit besitzt. Aber vielleicht bedarf dieser hoffnungsfrohe Silberstreif am Horizont der Völkerverständigung dennoch einer Einschränkung. Wer schon einmal auf Mallorca oder auf den Kanarischen Inseln Urlaub gemacht hat und dies Ende August / Anfang September, der wurde womöglich von einem Ober am Rande des Nervenzusammenbruchs bedient. Die Freundlichkeit hat dann kurze Beine, auch uns Deutschen gegenüber.
Der Grund dafür besteht weniger in einer freundschaftlichen Ablehnung als vielmehr darin, daß die einheimischen Beschäftigten in der Tourismusindustrie nach einem fast fünfmonatigen Dauereinsatz, der gewöhnlich keine Unterbrechung kennt, am Ende ihrer Kraft sind.
Grundsätzlich gilt, daß die Spanier zu den wenigen europäischen Völkern gehören, die uns mit Sympathie und Wertschätzung begegnen. Warum mögen uns die Spanier? Vielleicht liegt die Antwort in der Geschichte verborgen. Fest steht: Spanien und Deutschland haben nie Krieg gegeneinander geführt. Die Mobilisierung von Hass und Vorurteilen, die unser Zusammenleben mit Frankreich, England und Rußland über Jahrhunderte hinweg begleitet hat, fällt weg. Hinzu kommt die Gültigkeit des alten Sprichworts: "Dein Nachbar ist dein Feind." Wenn man einen Blick auf die Befindlichkeiten der Niederländer uns gegenüber wirft, dann weiß man, daß dieser Satz keineswegs aus der Luft gegriffen ist. Spanien und Deutschland hingegen sind weit voneinander entfernt. Stimmig ist auch die alte Erfahrung: "Der Feind meines Feindes ist mein Freund." Spanier befanden sich über lange Zeit hinweg mit den Franzosen und Engländern im Clinch, angefangen von der napoleonischen Besetzung Spaniens, die zu einem erbitterten Kleinkrieg führte, bis hin zur schmachvollen Niederlage der spanischen Armada gegen die Flotte Nelsons. Mit der britischen Verwaltung Gibraltars hat sich Madrid noch immer nicht richtig abgefunden. Rivalitäten prägen, so weiß man, das kollektive Unbewußte eines Volkes. Blickt man auf die neuere Geschichte, so hat die Bundesrepublik viel für die Aufnahme Spaniens in die Europäische Gemeinschaft geleistet. Der frühere spanische Regierungschef und Vorsitzende der sozialistischen PSOE, Felipe Gonzalez, war eng mit Willy Brandt befreundet. Beide arbeiteten in der Sozialistischen Internationalen zusammen und die persönliche Wertschätzung, die beide Politiker miteinander verband, ging weit über das Geschäftsmäßige hinaus. Augenblicklich mögen die Beziehungen zwischen Spanien und der Bundesrepublik zwar weitgehend konfliktfrei sein, ihre frühere Herzlichkeit aber haben sie eingebüßt. Das liegt an der außenpolitischen Orientierung beider Länder. Während Berlin die Achse mit Paris pflegt, baut Spaniens Regierungschef Jose Maria Aznar als Gegengewicht die Verbindungslinie Madrid - London - Washington aus. Das Ergebnis dieser Entwicklung trat mit der einseitigen Parteinahme der spanischen Regierung für Bush und Blair augenfällig zutage. Aber zurück zu Senor Garcia, wie der Durchschnittsbürger jenseits der Pyrinäen genannt wird. Die Psychologie hat uns gelehrt, daß wir am jeweils Anderen immer das schätzen, was wir selbst nicht haben. Und so bewundern uns die Spanier ob unserer deutschen Gründlichkeit; sie finden unsere Sekundärtugenden wie Pünktlichkeit, Pflichtbewußtsein und unseren Fleiß gut - ganz im Gegensatz zum früheren SPD-Vorsitzenden Oskar Lafontaine, der sie zu notwendigen Accessoires eines KZ-Wärters herabgewürdigt hat. Nun soll mit diesen Zeilen keineswegs der Eindruck herbeigeführt werden, Spanier seien weder pünktlich, pflichtbewußt oder fleißig. Zum einen ist das Bild des fleißigen Deutschen längst obsolet geworden, zum anderen können auch Spanier ausgesprochen hart und zielgerichtet arbeiten - und sie tun es auch.
Von den Katalanen, die im Nord-osten der Halbinsel leben, wird beispielsweise gesagt, sie würden aus Steinen Brot backen, so entschlossen geschäftstüchtig seien sie. Und die Zentralregierung in Madrid hat durch nichts anderes als durch knochenharte Arbeit eine wirtschaftliche Entwicklung erreicht, von der wir Deutsche nur träumen können: Das Wachstum des Bruttosozialprodukts betrug in den ersten vier Monaten dieses Jahres 2,1 Prozent, der spanische Staatshaushalt ist so gut wie ausgeglichen. Wer in Madrid unterwegs ist, kann die Prosperität mit eigenen Augen sehen - an allen Ecken und Enden der Stadt wird gebaut, renoviert, gewerkelt.
Die Kapitale, aber auch Barcelona, die große Industriestadt Kataloniens, boomen und schaffen jeden Tag neue Arbeitsplätze. Trotz aller wirtschaftlichen Erfolge sind die Spanier in ihren Herzen, wie könnte es auch anders sein, ein südländisches Volk geblieben, das die Sinnlichkeit schätzt und lebt. Würde man Volkskunde anhand des Geldbeutels betreiben und postulieren: "Sage mir, wofür du dein Geld ausgibst, und ich sage dir, wer du bist", so würde Senor Garcia antworten: 1. für eine Eigentumswohnung, 2. für elegante Kleidung und 3. fürs Ausgehen. Und Herr Meier aus Deutschland würde erwidern: 1. für ein Auto, 2. für Reisen und 3. für Versicherungen. Beide Antworten haben so gar nichts miteinander gemein, aber sie ergänzen sich - und das wiederum läßt die kulturellen Unterschiede in einem interessanten, vielleicht sogar versöhnlichen Licht erscheinen. Apropos kulturelle Unterschiede: Die Kulturarbeit der deutschen Institutionen hier in Madrid - vor allem die des Goethe-Instituts - kann als vorbildlich bezeichnet werden. Die deutsche Buchwoche fand in der spanischen Presse ein großes, anerkennendes Echo und die erst vor kurzem zu Ende gegangene deutsche Filmwoche einen enormen Publikumszulauf. Deutsche Kultur wird in der Regel außerordentlich geschätzt.
Was die deutsch-spanischen Beziehungen von Angesicht zu Angesicht betrifft, so haben sie die letzten 15 Jahre eine spürbare Qualitätsveränderung durchlaufen. Viele Gastarbeiterfamilien sind inzwischen nach Spanien zurückgekehrt. Kinder, die in Deutschland die Schule besucht haben, sprechen fließend Deutsch, was den Touristen zu einer gewissen Vorsicht bewegen sollte. So erzählte kürzlich ein Freund, daß er zusammen mit einem Besuch aus Deutschland im Taxi gefahren sei.
"Hoffentlich fährt der uns direkt zum angegebenen Ziel und macht keine unnützen Umwege, nur um Geld zu schinden", bemerkte der deutsche Gast ziemlich respektlos gegenüber dem Taxifahrer. Worauf dieser sich umdrehte und in einem tadellosen Deutsch antwortete: "Da brauchen Sie keine Sorge zu haben. Ich werde Sie direkt zu der angegebenen Adresse bringen." Aber, wie gesagt, normalerweise mögen uns die Taxifahrer. |
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