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EU-Frust soll Siegen helfen

 
     
 
Die britischen Konservativen haben einen neuen Parteichef und dieser neue Vorstellungen zur Zusammenarbeit in der EU – David Camerons Versuch, die Torys durch Rückzug aus der Europäischen-Volkspartei (EVP) zu der euroskeptischen Partei schlechthin zu wandeln und zugleich neue Mehrheiten in der Europäischen Union nebst ihrem Parlament zu schaffen, stößt auf Widerstand.

Mit 134446 gegen 64398 Stimmen setzte sich David Cameron (39) im Dezember gegen seinen letzten verbliebenen Rivalen um die Tory-Spitze, David Davis, durch. Noch im Kampf um die Spitze der Torys bezichtigte Alt-Tory Kenneth Clarke David Cameron, der „größte Euroskeptiker
aller Zeiten an der Spitze der Konservativen“ werden zu wollen, „größer als alle seine Vorgänger“. Gegenüber der BBC machte der für seine EU-freundliche Haltung bekannte Clarke seiner Besorgnis über die derzeitigen europapolitischen Vorgänge in seiner Partei und seinem Ärger über Cameron Luft: „Einige unserer wirklichen Hardliner haben ihn überredet, er müsse mit all den Christdemokraten, Skandinavischen Konservativen und Gaullisten brechen und lostänzeln, sich neue Verbündete unter den ultra-nationalistischen Rechten in Mitteleuropa suchen.“ Als Einstieg seiner politischen Ambitionen in Europa seien solche Bündnisse denkbar schlecht und würden ein schwaches Bild seines Führungsanspruches abgeben, mahnte Clarke den Aufsteiger.

Alles Machtgeplänkel im nun zu Camerons Gunsten entschiedenen Ringen um die Führung in der Konservativen Partei? – Mitnichten. Oliver Letwin, einer der engsten Berater Camerons sagte, es komme auf konsistente, sprich gleiche Politik auf EU-Ebene und im britischen Parlament an. Camerons eigene Position bleibt verschwommen, auch wenn er sich schon früher für einen Bruch mit den anderen Konservativen der EVP aussprach. Die Gründe: die Stärkung Camerons konservativer Positionen und Frust wegen der oft geringen Gemeinsamkeiten mit den EU-Fraktionsfreunden. Der Fokus in Camerons Antrittsrede liegt neben Emanzipation, Umwelt, Steuern und Gesellschaft nicht umsonst auf dem Punkt „Vertrauen“. Gleiches dem Wähler und den europäischen Partnern sagen – Cameron ist es offenbar ernst damit. Ernst ist es ihm auch mit der Suche nach neuen europäischen Freunden für seine Agenda. Und die sieht, wie schon die früherer Tory-Politiker Nachverhandlungen der britischen EU-Bedingungen sowie mehr nationale Souveränität vor.

Den britischen Wähler im Blick, den Cameron erst noch überzeugen muß, scheint ihn ein mehr oder weniger großer Flurschaden auf europäischer Ebene nicht zu stören – im Gegenteil. Es gilt, sich bei den EU-kritischen Briten zu profilieren, wo der nächste Konkurrent so offensichtlich mit Reformansätzen scheiterte. Dieser nächste Gegner heißt Gordon Brown, Kronprinz von Labourpremier Blair. Das Thema Europa ist einfach zu verführerisch günstig für eine erfolgversprechende Abgrenzung, mangels anderer zündender Themen. Als Europaexperte gilt Cameron nicht. Ein europapolitisches Konzept ist bisher nicht erkennbar, taktisches Kalkül oder ein dem Wähler abgeschautes Bauchgefühl dürfte den Ausschlag für die Austrittsgedanken gegeben haben. Gedanken eines Mannes, den Weggefährten als keinen durch abweichende Meinungen auffallenden politischen Denker beschreiben.

Wie man sich medienwirksam präsentiert, weiß Cameron immerhin – seine langjährige Tätigkeit in einem Medienkonzern sowie seine (Medien-)Beratertätigkeit für konservative Politiker haben ihn geschult. Anders als die häufig wechselnden Parteichefs der letzten Jahre stammt Cameron – schon aufgrund seiner Herkunft und Ausbildung – aus „der obersten Schublade des Establishments“, so ein britischer Kommentator. Entfernt mit der Königin verwandt, Nachfahre prominenter konservativer Politiker des 19. und 20. Jahrhunderts und Eton-Schüler sowie Euroskeptiker, so könnte ein Kurzporträt den „jungen Wilden“ beschreiben. Er ist erst seit 2001 im Unterhaus. Mit Cameron scheint ein Typ Konservativer widererstanden, der keine Notwendigkeit für ein kleineres Britannien in einem größer werdenden Europa sieht. Damit unterscheidet er sich von maßgeblichen konservativen Politikern, die aufgrund der wirtschaftlichen Not des Landes in den 70er und 80er Jahren zum institutionalisierten Europa keine Alternative entdecken konnten, ohne den Briten je plausibel erklärt zu haben, worin eigentlich der Vorteil ihrer EU-Mitgliedschaft besteht. Sie blieben später trotzdem bei der (EU-)Stange – Cameron will nun mehr für die Briten rausholen. Er will eine Scharte auswetzen und die Außenseiterposition in der Gemeinschaft passend zum Ende der mißglückten britischen EU-Ratspräsidentschaft überwinden. Es geht um seinen Einstieg – nicht nur in Europa, sondern auch in die anvisierte Regierungsverantwortung, falls Brown Blair nicht erfolgreich beerbt.

Mit seinen Unterstützern geht Cameron zur Konfrontation mit der eigenen Partei über. Am Dienstag bekräftigte er seine Idee eines Rückzuges aus der größten Fraktion im EU-Parlament, der konservativen Volkspartei. Es sei falsch als euroskeptische Partei mit der föderalistischen Volkspartei zusammenzuarbeiten. Nun formieren sich seine parteiinternen Gegner – Sir Robert Atkins, Ältester der Europaparlamentarier, sagte, Cameron könne nicht allein eine solche Entscheidung fällen – „er muß das erst mit uns diskutieren“. Die Gruppe der 27 britischen Konservativen im Europaparlament müsse eingeweiht werden, so Atkins weiter. Deren Anführer Timothy Kirkhope wurde jüngst als Vorsitzender der Gruppe bestätigt – gerade wegen seines Beharrens auf dem Verbleib in der Volkspartei. Statt Austritt droht nun der Gruppe, wenn nicht den britischen Konservativen, die Spaltung. Ausgerechnet, seien doch viele nur aus Parteiloyalität im EU-Parlament, klagt Kirkhopes Gegenkandidat. Verkehrte Welt – die, die rauswollen sollten, verteidigen die Kooperation mit den konservativen Europafreunden der anderen Staaten.

Nicht nur intern hat Cameron noch einiges an Überzeugungsarbeit zu leisten. Die ost- und mitteleuropäischen Neumitglieder der EU, um die er für eine neue, euroskeptische konservative Front werben will, dürften wenig Interesse haben. Denn es geht nicht um Souveränität für den Nationalstaat, sondern ganz konkret um Fördergelder. Die Briten wollen weniger einzahlen, die Neuen mehr rausholen. Die von Cameron angebotenen „Nachverhandlungen“ der Beitrittsbedingungen der Neuen lösen bei denen daher bisher schlicht kein Echo aus.

Angela Merkel gratulierte dem rebellischen Briten bereits zum Parteiamt. Sie versuchte ihn aber eher freundlich vom Verbleib in der Volkspartei zu überzeugen: „Großbritannien und die britischen Konservativen sind ein unverzichtbares Element in der europäischen Politik. In diesem Sinne freue ich mich auf eine gute und intensive Zusammenarbeit mit Ihnen, gerade auch im Rahmen der EVP / ED-Kooperation als Grundlage für unseren partnerschaftlichen bilateralen Dialog.“ Am Ende dürfte sich, wie schon oft in der britischen EU-Politik, bewahrheiten: Nachverhandelt werden kann viel, doch müssen die Briten damit nicht immer zufrieden sein.

Hoffnungsträger der britischen Konservativen: Der 39jährige David Cameron im Kreise seiner Anhänger
 
     
     
 
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