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Ein Künstler der leisen Töne und klaren Formen

 
     
 
Im Nachlaß des Bildhauers Otto Drengwitz, der heute von seiner Nichte Hella Leuchert-Altena verwaltet wird, finden sich zahlreiche Dokumente, die nicht nur die wichtigsten Mosaiksteinchen für eine noch zu schreibende, fundierte Künstlerbiographie bilden, sondern zugleich ein interessantes und spannendes Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte widerspiegeln.

Otto Ewald Drengwitz wurde am 19. April 1906 in Georgenburg, Kreis Insterburg, als Sohn des Gestütswärters Friedrich August Drengwitz (14. 1. 1873–16. 4. 1939) und seiner Frau Johanna Emma, geb. Kammer, (19. 11. 1870–6. 3. 1964) geboren. Mit sechs Jahren wurde Otto Drengwitz in die Volksschule seines Geburtsortes eingeschult. Anschließend besuchte er die Knabenmittelschule im benachbarten Insterburg, einer Kleinstadt, die vor allem von der Möbel- und Holzverarbeitung
lebte. Dort absolvierte er von 1923 bis 1926 bei dem Bildhauermeister Alfred Jorende eine Lehre als Holzbildhauer.

Nach abgelegter Gesellenprüfung bei der Handwerkskammer in Gumbinnen ging der künstlerisch Begabte nach Königsberg an die 1845 gegründete Kunstakademie, um dort Bildhauerei zu studieren. Vier Jahre, von 1926 bis 1930, besuchte er die von Stanislaus Cauer (1867–1943) geleitete Bildhauerklasse, zu dessen Meisterschüler er 1930 ernannt wurde. Aus dieser Zeit stammen die ersten selbständigen bildhauerischen Arbeiten: ein Kinderkopf (Gips, 1926), ein Porträtkopf des Cauer-Meisterschülers Walter Hempel (Gips, 1927) und ein weiterer Porträtkopf des Malers Johannes Schulz (Gips, 1928). Alle drei Frühwerke waren 1928 in der Königsberger Kunstakademie ausgestellt. 1930 ließ sich Otto Drengwitz als freischaffender Bildhauer in Insterburg nieder, wo er ein eigenes Atelier an der Angerapp besaß. Dort entstanden unter anderem die meisterhaften Figuren "Stillende Mutter" (1932) und der "Sämann" (1937). Zweifellos waren die Insterburger Jahre die produktivsten und glücklichsten seines Lebens.

Ein jähes Ende der sich am Horizont deutlich abzeichnenden, erfolgversprechenden Bildhauerkarriere von Otto Drengwitz brachte der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Nur drei Tage vor seinem 33. Geburtstag starb der Vater, und im August 1939 erfolgte die Einberufung zum Wehrdienst. Mitten im Krieg, am 23. Dezember 1942, heiratete er die in Berlin-Charlottenburg lebende Herta Rückert. Keine sechs Jahre später wurde die Ehe geschieden. Über das Deutsche Rote Kreuz hatte Otto Drengwitz nach seiner Rückkehr aus britischer Gefangenschaft erfahren, daß es seine Mutter und seine Schwester auf ihrer Flucht von Insterburg nach Woltersdorf bei Berlin-Erkner verschlagen hatte. Dort fand er für zwei Jahre Unterkunft.

Nach einem kurzen Intermezzo in Berlin-Tempelhof zog er 1950 in die Wohnung seiner neuen Lebensgefährtin Käthe Schulze, geb. Munzer (15. 2. 1908 – 30. 3. 1998) in Berlin-Neukölln, mit der er bis an sein Lebensende zusammenlebte. Erst 1956 konnte er sich im zweiten Hinterhof des Mietshauses in der Körtestraße 28 in Berlin-Kreuzberg wieder ein bescheidenes kleines Bildhaueratelier mit Ofenheizung und ohne elektrisches Licht einrichten.

An die bildhauerisch erfolgreiche Zeit in Insterburg konnte Otto Drengwitz nach zehnjähriger Schaffenspause nicht mehr anknüpfen. Die Kunstrichtung im Stile eines Stanislaus Cauer, der im weiteren Sinne noch der Berliner Bildhauerschule zuzurechnen ist, war nicht mehr gefragt. Vor freier künstlerischer Arbeit und der Suche nach neuen Ausdrucksformen stand zunächst der notwendige Aufbau einer neuen Existenz.

Nur mühsam konnte sich der Bildhauer Drengwitz mit gelegentlichen Auftragsarbeiten über Wasser halten. Am Anfang steht seine drei Monate währende Mitarbeit im Jahre 1949 an einem der Keno-taphreliefs für das Sowjetische Ehrenmal in Berlin-Treptow – dem nach Helmut Börsch-Supan "gewichtigsten Zeugnis stalinistischer Kunst in Berlin". Sie darf keinesfalls als prostalinistisches Credo des Künstlers interpretiert werden. Denn hier war ein bildhauerischer Entwurf von Wutschetitsch bereits vorgegeben, den Drengwitz ohne eigenschöpferisches Dazutun nur in Stein umzusetzen hatte. Er selbst sagte einmal zu derlei Auftragsarbeiten: "Ich nahm alles, was kam." Weitere Auftragsarbeiten waren die Anfertigung von Bühnenmöbeln für die Aufführung des "Rosenkavalier" an der Deutschen Staatsoper (1950), künstlerisch gestaltete Hinweisschilder für Parkanlagen sowie Grabkreuze für Friedhöfe in Neukölln, Tempelhof und Zehlendorf. Daneben stehen auch anspruchsvollere Auftragsarbeiten wie etwa die in Bronze gegossenen Porträtbüsten. In seinem künstlerischen Schaffen spielte das Thema "Verlust der Heimat" hingegen nur eine untergeordnete Rolle. Zumindest enthält der Nachlaß von Otto Drengwitz nur wenige Graphiken (Ostdeutsche Dünenlandschaft, 1956; Ansicht der Ordensburg in Georgenburg, undatiert; Ansicht von Insterburg, undatiert; Weidende Pferde in ostdeutscher Landschaft, undatiert), die Bezug auf seine ostdeutsche Heimat nehmen.

Über die lebensnotwendigen festen Aufträge, die ihm zumeist der Berliner Senat im Rahmen der "Künstler-Nothilfe" gab, vernachlässigte Otto Drengwitz nicht die freie, eigenschöpferische Arbeit. Erstmals 1962 und 1963 und dann regelmäßig von 1970 bis 1992 ist er Jahr für Jahr mit einer Arbeit auf der Freien Berliner Kunstausstellung in den Messehallen am Funkturm vertreten. Das stilistische Spektrum seiner bildhauerischen und graphischen Werke reicht vom Impressionismus und Expressionismus über die Neue Sachlichkeit bis hin zum Abstrakten, wobei Einflüsse von Bildhauern und Malern wie Stanislaus Cauer, seinem einstigen Lehrer, Ernst Barlach, Georg Kolbe, Käthe Kollwitz und Henry Moore bzw. Paul Gauguin und Franz Marc unübersehbar sind. In spielerischer Weise experimentiert er mit den verschiedenen Stilrichtungen der Moderne, immer auf der Suche nach neuen, eigenen Ausdrucksformen.

Das zentrale Thema von Drengwitz’ Plastiken ist der Mensch, insbesondere das Bild der Frau (Schreitende, Stehende, Sitzende, Hockende, Tanzende). Insofern darf man ihn unter die Humanisten einreihen. Manchen seiner aus Gips bestehenden Figuren, Köpfe und Reliefbildnissen, allesamt Gipsmodelle für einen Bronzeguß, sieht man die Herkunft von der Holzbildhauerei deutlich an, zumal Haare und Gewänder "geschnitzt" zu sein scheinen. Ein weiteres Charakteristikum der Drengwitz-Skulpturen – es sind ausschließlich Einzelfiguren – ist deren Kontur. Immer sind es klare, schwungvoll abgerundete Formen und Linien, die er für die Darstellung der menschlichen Gestalt verwendet. Seine abstrakten Arbeiten wie "Zweiklang" (1978), "Arabeske" (1980), "Variation zur Acht" (1983) und "Windrose (1986) sind ausgesprochene Spätwerke. Otto Drengwitz blieb bis ins hohe Alter künstlerisch aktiv, weil er nach eigener Aussage einfach nicht von der Bildhauerei loskam. Erst 1992, also mit 86 Jahren, gab er sein Atelier in Kreuzberg auf. Fünf Jahre später, am 18. Januar 1997, starb der Künstler; beigesetzt wurde er auf dem Friedhof Ruhleben an der Charlottenburger Chaussee.

Im Gegensatz zu seinem Bruder Erich Drengwitz, der sich nach dem Zweiten Weltkrieg in Bayreuth und Düsseldorf einen Namen als Maler und Graphiker schuf, blieb Otto Drengwitz der große künstlerische Erfolg zu Lebzeiten versagt. Möglich, daß er, der den lauten Kunstrummel scheute und dessen Werke nie in den "Schickeria-Galerien" Berlins zu finden waren, auf den großen künstlerischen Durchbruch oder Erfolg keinen allzu großen Wert legte. Vermutlich haben diejenigen recht, die ihn einen "Künstler der Stille" nannten. In seiner ostdeutschen Bescheidenheit hat Otto Drengwitz den Anschluß an die Künstlerszene verpaßt. Er blieb letztlich ein Einzelgänger, der sich den vorherrschenden Kunstströmungen versagte und sein Abseits vermutlich als produktive Nische empfand.

Ein erster zaghafter Versuch, das Werk des Bildhauers Otto Drengwitz zu würdigen, war die postume Ausstellung vom 20. März bis 11. April 1999 in der Galerie des Deutschlandhauses in der Stresemannstraße. Was bisher fehlt, ist die Präsentation und kunsthistorische Aufarbeitung des Gesamtwerkes. Auch wenn Otto Drengwitz nie viel Aufsehen von seiner Person und seinen Werken gemacht hat: ein bißchen mehr Beachtung hat der ehemalige Meisterschüler von Stanislaus Cauer verdient.

 

Ein ausführlicher Beitrag über Otto Drengwitz ist von dem gleichen Verfasser in der Ausgabe April der Berlinischen Monatsschrift (Luisenstädtischer Bildungsverein e. V., Markgrafendamm 24, 10245 Berlin) zu finden.

 
     
     
 
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