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Ein Wechsel der Epochen

 
     
 
Wie geht es weiter in Nahost? Israel ist gefordert, der internationale Druck wächst, offenbar spürt man auch in Washington eine Chance oder einen Druck zu handeln. Noch-Außenminister Powell reist in die Region. Aber die Europäer waren schon da. Der EU-Außenbeauftragte Solana stattete kurz nach dem Tod Arafats der neuen PLO-Führung einen Besuch ab, und Israel gibt eingefrorene Konten frei. Sind das Anzeichen eines politischen Tauwetters, oder Chancen für eine neue Nahost-Initiative? Gernot Erler, der führende Außenpolitiker in der SPD und stellvertretende Fraktionschef seiner Partei, sieht in der Tat "eine neue Chance, weil wir an einem Wechsel der Epoche
n in der Entwicklung in dieser Region stehen". Solche Wechselphasen würden auch immer Chancen in sich bergen.

Allerdings gebe es auch einige Unsicherheiten. Jetzt komme es darauf an, so Erler im Gespräch mit dieser Zeitung, "ob es gelingt, auf zwei Partner hier wirklich einzuwirken: Einmal auf die Palästinenser, daß sie so schnell wie möglich die Nachfolgefrage überzeugend klären". Es gebe Anzeichen dafür, daß die Führungsgruppe das tatsächlich versuche. Ferner müsse man "dafür sorgen, daß die Bereitschaft besteht, tatsächlich im Sinne der Roadmap ("Fahrplan") palästinensische Verpflichtungen zu erfüllen". An erster Stelle sei das ein offen erklärter Verzicht auf gewalttätige und blutige Anschläge. Erler weist in diesem Zusammenhang auf Ankündigungen hin, wonach irgendein Attentat zu Ehren des gestorbenen Arafat verübt werden sollte. "Das wäre natürlich ein Rückschlag für eine neue Chance." Aber es gehe auch, zweitens, darum, auf die israelische Führung einzuwirken, damit diese von ihrem einseitigen Handeln absehe und wieder Bereitschaft zeige, nun "zu gemeinsamem Handeln zu kommen". Das seien die Voraussetzungen dafür, daß die "neuen Chancen in Nahost tatsächlich gewahrt werden".

Das Attentat auf den neuen Chef der Palästinenser, Mahmud Abbas, bei dem immerhin zwei Leibwächter getötet worden seien, habe die Frage der Repräsentativität auf Seiten der Palästinenser aufgeworfen. Es gebe offensichtlich "eine Zwischengeneration, die im Augenblick versucht, untereinander die Funktionen zu verteilen". Mahmud Abbas gehöre dazu, ebenso wie Kurei, der Ministerpräsident. Aber hinter oder neben ihnen stehe auch eine Generation, die mindestens zehn bis 15 Jahre jünger sei. Noch sei nicht entschieden, wer demnächst über welche Gruppe die Kontrolle übernehmen wird. Zunächst laufe es auf die Generation um Kurei und Abbas hinaus. Auf diese Generation setze auch die EU. Allerdings stehe im Hintergrund auch der populäre Palästinenserführer Barguti. Der sitze zwar im Augenblick mit einem lebenslänglichen Urteil im israelischen Gefängnis, aber "es könnte natürlich sein, daß es diplomatische Versuche auch von den Palästinensern gibt, ihn frei zu bekommen, weil man sagt: Das ist eigentlich derjenige, der uns jetzt führen soll."

Israels Botschafter Stein fordert eine Änderung in der europäischen Nahost-Diplomatie. Erler sieht dafür keinen Anlaß. "Die europäische Diplomatie hat immer auf der Basis der Roadmap, dieses Friedensplans, der die höchst denkbare Autorität hat, gewirkt. Ich meine mit dieser Autorität, daß die EU, die UN, Amerika und Rußland hinter diesem Plan stehen. Zu dieser gemeinsamen Basis gibt es keine glaubwürdige Alternative. Ich glaube nicht, daß die Europäer bereit sind, von dieser Grundlage, von diesem Fundament für den Friedensprozeß abzugehen." Es fehle auch nicht an Bekenntnissen von allen Seiten, "in neuerer Zeit interessanterweise auch wieder stärker von der amerikanischen Seite", daß das die Grundlage sein soll. Erler: "Ich wüßte nicht, warum die Europäer von dieser Basis abgehen sollen." Die europäische Rolle sieht der SPD-Politiker eher als komplementär zur amerikanischen an. Auf keinen Fall sollte "die europäische Seite irgendeinen Ehrgeiz entwickeln, hier eine führende Rolle zu übernehmen". Er glaube nicht, daß das passiert. Es gehe jetzt eigentlich darum, "die guten Kontakte, die Europa in der Region hat, vor allem auf arabischer Seite, zu nutzen". Da habe Washington ein gewisses Defizit. So könnte man die Chance des Epochenwechsels für einen Neuanfang im Friedensprozeß wahren. "Das ist eher eine dienende Rolle, die die Europäer hier einnehmen können, denn uns ist völlig klar: Amerika ist die einzige Größenordnung, die wirklich eine echte Beeinflussungschance auf Israel hat, ohne Amerika kann dieser Neuanfang nicht gelingen. Wir brauchen auf jeden Fall Amerika als Partner bei diesem Friedensprozeß." Amerika müsse letztlich die Führungsrolle behalten. "Falscher Ehrgeiz ist hier überhaupt nicht gefragt."

Ähnliches gelte auch für die Irankrise. In den laufenden Verhandlungen mit den europäischen Ländern zum umstrittenen iranischen Atomprogramm habe die Regierung in Teheran zwar "jetzt wieder mal eingelenkt". Sonst hätte die Internationale Atomenergiebehörde in Wien den Fall an den Weltsicherheitsrat der Uno weitergeleitet. Aber eine Automatik gebe es dafür nicht. Erler betrachtet auch die Ankündigung Teherans mit Skepsis. Zu oft schon hätte das Regime der Mullahs auf Zeit gespielt und die Versuche der Urananreicherung dann doch fortgesetzt. "Wir haben in den letzten Tagen wieder positive Signale gehört, aber ehrlich gesagt, ist es so, daß in den vergangenen Wochen das immer ein Schwanken zwischen Ja und Nein gewesen ist. Es gab immer so eine Wellenbewegung positiver Nachrichten und dann kamen wieder negative Nachrichten. Dieses Spielchen, das befürchte ich, wird auch noch die nächsten Tage weitergehen, aber es wäre natürlich außerordentlich wünschenswert, wenn hier wenigstens Teheran das Minimum der Forderungen erfüllen würde. Das hieße, das Aussetzen des Atomprogramms." Dann, so Erler, "bräuchte man nicht diese etwas gefährlichen Eskalationsmaßnahmen zu ergreifen, denn wenn der Gouverneurs-Rat der IAEO einen negativen Bericht an die Vereinten Nationen gibt, dann ist dort die Tür offen für einen Sanktionsmechanismus". Dieser Mechanismus wäre zwar auch kein Automatismus, aber die Amerikaner hätten schon immer gesagt, sie würden dann versuchen, eine strengere Resolution des Sicherheitsrates herbeizuführen, der unter Umständen auch Sanktionen androhe. Erler: "Das ist eine schiefe Bahn, die kennen wir aus der Vorbereitung des Irakkrieges und das würde die ganze Weltöffentlichkeit doch sehr beunruhigen."

 

Gernot Erler, geboren 1944 in Meißen, verheiratet, eine Tochter, studierte Geschichte, slawische Sprachen und Politik. Nach dem Staatsexamen 1967 arbeitete er als Verlagsredakteur, wissenschaftlicher Assistent und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für osteuropäische Geschichte der Universität Freiburg sowie danach als Verlagsleiter. Seit 1970 ist er SPD-Mitglied, und seit 1987 Mitglied des Bundestages; 1994 wurde er Mitglied des SPD-Fraktionsvorstandes, und ist seit 1998 stellvertretender Fraktionsvorsitzender; verantwortlich für Außenpolitik, Sicherheitspolitik, Menschenrechte, Entwicklungspolitk.

 
     
     
 
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