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Ein hehres Ziel

 
     
 
Es gibt kaum einen bekannteren Gerichtsprozeß in der Weltgeschichte als jenen, der am 1. Oktober 1946 mit elf Todesurteilen, "Death by hanging", endete: Der Nürnberger Prozeß gegen die deutschen Hauptkriegsverbrecher des Zweiten Weltkrieges. Und obwohl die Angeklagten die Hauptbeteiligten an einem erbarmungslos geführten Krieg waren, der Prozeß der Welt den Glauben an die Gerechtigkeit wiedergeben sollte, wurde dieser zugleich der umstrittenste. Der amerikanische Chefankläger Robert Jackson erklärte zu Beginn der Verhandlungen, es ginge in Nürnberg darum, "nicht Rache zu üben, sondern die Macht dem Recht unterzuordnen". Ein hehres Ziel und ein hoher Anspruch, dem der Nürnberger Prozeß nicht gerecht werden konnte.

Die jetzt bei Polarfilm erschienene DVD "Death by hanging" analysiert anhand von erschütternden Original-Filmszenen aus dem Prozeß noch einmal die eklatanten Bruchstellen des Prozesses. In zahlreichen Interviews erläutern der Historiker Franz Seidler, der Völkerrechtler
Alfred Maurice de Zayas, der Strafrechtsexperte und ehemalige Generalbundesanwalt Alexander von Stahl, der ehemalige russische Gorbatschow-Berater Wjatschew Daschitschew sowie weitere Experten, Prozeßbeteiligte und Beobachter die Abläufe und werfen Fragen auf: Ist der Sieger nicht befangen, wenn er über den Besiegten zu Gericht sitzt? Mehr noch - darf jemand, der im verhandelten Fall selber Schuld auf sich geladen hat, überhaupt als Ankläger auftreten? Was waren die Rechtsgrundlagen für die Schuldsprüche? Darf im Prozeßprotokoll etwas völlig anderes stehen, als mündlich vorgetragen worden ist? Geht es noch mit normalen Dingen zu, wenn mit einem Mitarbeiter von Rudolf Heß, der den Englandflug vorbereitet hatte, ein Zeuge der Verteidigung am Tage eines Besuchs von alliierten Geheimdienstlern aus heiterem Himmel sich mit seiner Frau erhängt? Der Film zeigt, daß der Prozeß mehr Fragen aufgeworfen als Antworten gegeben hat.

In Nürnberg sollte Recht gesprochen werden, doch es war Siegerjustiz. Ob es nun klassische Rache war, wie der Film unterstellt, oder ob es eine Form der zu einseitigen und prozeßrechtlich inakzeptablen und damit letztlich untauglichen Urteilsfindung zur Befriedung der Völker war, das mag dahinstehen. Der Nürnberger Prozeß taugt jedenfalls nicht als Maßstab für internationale Strafgerichtshöfe, gegen welche massenmordende Kriegsverbrecher und Diktatoren auch immer prozessiert wird.

Es ist begrüßenswert, daß die Filmemacher auch auf den nicht ganz so spektakulären, aber dafür um so fragwürdigeren Malmedy-Prozeß eingehen, in dem frühere Angehörige der Kampfgruppe Peiper wegen einer angeblichen Massenliquidierung amerikanischer Soldaten verurteilt worden waren. Die Geständnisse der Beteiligten wurden in Serie durch Folter abgepreßt. Einige der "Geständigen" erklären vor der Kamera die Umstände der "Verhöre". Die Beschreibungen erinnern an Szenen peinlicher Verhöre in mittelalterlichen Hexenprozessen.

Der Film enthält auch bisher unveröffentlichte Dokumente und Zeitzeugenaussagen und ist damit ein wertvoller Beitrag, der ein wichtiges Stück Zeit- und Justizgeschichte zu erhellen vermag. G. Langer

DVD: "Death by Hanging - Tod durch den Strang. Nürnberger Prozeß: Recht oder Rache?", 75 Minuten plus 85 Minuten Bonusmaterial; Polarfilm 2006, 14,95 Euro, Best-Nr. 5725
 
     
     
 
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